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allen Kirchen und Konfessionen, und bilden nicht etwa bloss Ausnahmsbestimmungen, die gegen die eine oder die andere Religionsgenossenschaft gerichtet wären, vielmehr will das Gesetz eine allgemein geltende und allumfassende Regelung der Ausübung gottesdienstlicher Handlungen auf Grund der den Kantonen durch die Bundesverfassung zugewiesenen Befugnisse geben.

Dies wird auch durch die Entstehungsgeschichte des Gesetzes bestätigt.

Ursprünglich war nämlich beabsichtigt worden, bloss eine Verordnung betreffend den Privatkultus zu erlassen (Entwurf der Kirchendirektion des Kantons Bern vom 21. Januar 1875). Der Regierungsrat fand jedoch bei der Beratung dieses Entwurfes, es sei die Basis, auf welcher er beruhe, nicht ganz befriedigend, indem er einerseits nur eine Klasse von Bürgern, nur den Privatkultus betreffe, und anderseits als blosse Verordnung zu wenig scharfe Bestimmungen enthalten könne. Aus diesem Grunde wurde diese Basis aufgegeben und der Boden eines Gesetzes betreten, welches den öffentlichen wie den Privatkultus gleichmässig regelte und strengere Strafbestimmungen enthielt. (Vergleiche Aktenstücke betreffend den Gesetzesentwurf über Störung des religiösen Friedens; ferner Tagblatt des Grossen Rates, 1875, p. 164 ff.)

Das Bestehen eines Bedürfnisses nach Regelung dieser Materie ergiebt sich schon aus dem Wortlaut des Art. 50 der Bundesverfassung der Staat hat nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, Übergriffen von kirchlicher Seite und konfessionellen Friedensstörungen entgegenzutreten, dies nicht nur im Interesse der öffentlichen Ordnung, die er zu schützen hat, sondern auch gerade mit Rücksicht auf die verfassungsmässig garantierte Glaubens- und Gewissensfreiheit, welche allen Staatsbürgern und allen Konfessionen gleichmässig zusteht. Damit alle Konfessionen, alle religiösen Ansichten geschützt seien, ist eben notwendig, die Äusserung dieser Ansichten, die Kultushandlungen nur innerhalb gewisser Schranken zu erlauben, wie ja überhaupt jede Freiheit im Staate im Interesse aller eine gewisse Beschränkung erleiden muss. (Vergleiche Tagblatt des Grossen Rates 1875, pag. 166.)

Über die Frage der Kompetenz des bernischen Gesetzgebers kann mit Rücksicht auf Art. 50 der Bundesverfassung ernstlich nicht gestritten werden. Die Kultusfreiheit darf die verfassungsmässigen Schranken der öffentlichen Ordnung und Sittlichkeit nicht durchbrechen, und den Kantonen steht das Recht zu, zur Wahrung dieses Grundsatzes die geeigneten Massnahmen, eventuell auf dem Gesetzgebungswege, zu treffen.

Der Weg der Gesetzgebung auf diesem Gebiete ist deshalb vorzuziehen, weil auf diesem allgemein gültige Bestimmungen und dauernde Verhältnisse geschaffen werden können, während durch polizeiliche und administrative Verfügungen stets nur der einzelne Fall getroffen wird.

Das Gesetz selbst muss durch Aufnahme von Strafbestimmungen wirksam gemacht werden. Hierdurch wird ein derartiges Gesetz über die Ausübung der gottesdienstlichen Handlungen, beziehungsweise die Schranken der Ausübung derselben zum natürlichen Ausbau eines blossen Organisationsgesetzes (wie des Kirchengesetzes vom 18. Januar 1874), andererseits auch zur Ergänzung des bernischen Strafgesetzbuches, welches die notwendigen Bestimmungen nicht

enthält.

§ 1 des damaligen Entwurfes (jetzt § 5 des Gesetzes) verbietet die kirchlichen Prozessionen ausserhalb der Kirchen und der andern näher bezeichneten geschlossenen Räume, von dem Grundgedanken ausgehend, dass jede öffentliche Prozession, namentlich da, wo verschiedene Konfessionen und Religionsgenossenschaften bestehen, eine gewisse Provokation für alle Andersdenkenden bildet und daher den religiösen Frieden und die öffentliche Ordnung gefährdet.

Bemerkenswert ist, dass bei der ersten Beratung des Gesetzes im Grossen Rate von keiner Seite die Meinung vertreten wurde. dass die Prozessionen prinzipiell zu gestatten seien, dagegen wurde von Herrn X. Kohler ein Abänderungsantrag gestellt in dem Sinne, dass die Prozessionen nur in Gemeinden, wo verschiedene Konfessionen vertreten seien, zu verbieten seien. Diesem Antrag gegenüber wurde die Schwierigkeit hervorgehoben, festzustellen, ob in einer Gemeinde alle Einwohner des gleichen Glaubens seien; und ferner, dass öffentliche Prozessionen von vornherein demonstrativen und ostentativen Charakter an sich tragen, und daher auch bloss zufällig anwesende Andersgläubige zu verletzen im stande seien. Der Abänderungsantrag wurde denn auch abgelehnt.

Auch in der zweiten Beratung des Gesetzes wurden die gleichen, schon erwähnten Gesichtspunkte betont, speciell die allgemeine Geltung der aufgestellten Bestimmungen für alle Konfessionen und den ganzen Kanton, im Interesse der Aufrechterhaltung der Ordnung und des religiösen Friedens; dies besonders gegenüber dem von jurassisch-katholischer Seite erhobenen Einwurf, es handle sich darum, die römisch-katholische Kirche zu unterdrücken.

Nachdem das Gesetz am 14. September 1875 durch den Grossen Rat mit 118 gegen 27 Stimmen angenommen worden war, erwuchs dasselbe infolge der am 31. Oktober 1875 erfolgten Annahme durch das Volk in Kraft (36,071 Ja gegen 17,934 Nein).

V. Die Verfassungsmässigkeit des § 5 leg. cit. ist speciell aus folgenden Gründen zu bejahen:

a) Eine Verletzung der in Art. 50 der Bundesverfassung garantierten Kultusfreiheit liegt nicht vor. Gesetzt auch und angenommen, die Fronleichnamsprozession bilde für die römisch-katholische Kirche wirklich eine wesentliche Kultushandlung, so wird deren Ausübung, beziehungsweise Vornahme durch § 5 leg. cit. nicht überhaupt rer

boten. Das Gesetz verbietet vielmehr bloss die kirchlichen Prozessionen oder sonstige kirchliche Ceremonien ausserhalb von Kirchen, Kapellen, Bethäusern, Privatgebäuden, Sterbehäusern oder andern geschlossenen Räumlichkeiten. Innerhalb der genannten, dem Kultus dienenden Räumlichkeiten dürfen sie unbeanstandet stattfinden. Daraus geht zur Evidenz hervor, dass nur die Art und Weise der Ausübung der Prozessionen in gewisse Schranken gebannt werden sollen, und dass nur solche Prozessionen, denen infolge der Öffentlichkeit ein die öffentliche Ordnung störender und den religiösen Frieden gefährdender Charakter anhaftet, verboten sein sollen.

Über diesen Sinn lassen weder der Wortlaut des § 5 noch die bei der Beratung des Gesetzes im Grossen Rate geäusserten Meinungen den geringsten Zweifel.

b) Auf dem gleichen Boden grundsätzlich wie das bernische Gesetz stehen auch gesetzliche Erlasse anderer Schweizerkantone und auswärtiger Staaten, z. B. :

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aa) Der Kanton Genf. Die noch jetzt geltende Loi sur le culte extérieur du 28 août 1875" verbietet nicht allein jede Kultushandlung „toute célébration de culte, procession ou cérémonie quelconque“ auf öffentlicher Strasse (Art. 1), sondern sogar das Tragen geistlicher Kleidung irgend welcher Art, „le port de tout costume ecclésiastique ou appartenant à un ordre religieux", allen Personen, welche im Kanton ihren Wohnsitz oder Aufenthalt haben (Art. 3). Nur vorgeschriebene Militärgottesdienste sind von diesem Verbote ausgenommen (Art. 2). Widerhandlungen gegen die Art. 1 und 3 ziehen Strafen von 1-8 Tagen Haft und Fr. 10—50 Busse nach sich (Art. 4). (Vergleiche Dr. Karl Gareis und Dr. Philipp Zorn, Staat und Kirche in der Schweiz, Band 1, 2. Abteilung, Seite 654.)

bb) Frankreich: Die von Napoleon I. durch Gesetz vom 18. germinal an X (8. April 1802) gleichzeitig mit dem zwischen ihm und Papst Pius VII. abgeschlossenen Konkordat vom 23. fructidor an IX (10. September 1801) publizierten „Articles organiques", welche wenigstens von staatlicher Seite noch zur Stunde als zu Kraft bestehend anerkannt sind, enthalten im Titel III, du Culte, unter § 45 die Bestimmung: Aucune cérémonie religieuse n'aura lieu hors des édifices consacrés au culte catholique, dans les villes où il y a des temples destinés à différents cultes.“

cc) Auch im Kanton Tessin waren durch Gesetz vom 4. Dezember 1858 die Prozessionen (Wallfahrten) nach ausserhalb des Kantons befindlichen Örtlichkeiten untersagt. Diese Bestimmung wurde später durch das Gesetz vom 10. Mai 1883 ausser Kraft gesetzt.

dd) Endlich ist von Interesse, dass für die Hauptstadt des Kantons Bern in einer Verordnung über den katholischen Gottesdienst in der Hauptstadt vom 22. August 1823, Art. 4, bestimmt war:

„Der katholische Kultus soll sich auf den stillen Gottesdienst beschränken und diesemnach ausserhalb der angewiesenen Kirche keine Prozession oder öffentliche kirchliche Ceremonie irgend einer Art stattfinden und keine äusserlichen kirchlichen Kennzeichen aufgestellt werden." (Neue offizielle Gesetzessammlung des Kantons Bern, Band II, p. 35 ff.)

Auf diese Vorschrift wurde auch bei Beratung des § 5 des Gesetzes vom 31. Oktober 1875 hingewiesen.

c) Auch eine Verletzung des Art. 4 der Bundesverfassung, d. h. der Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz, liegt nicht vor. Das Gesetz vom 31. Oktober 1875 gilt in allen seinen Bestimmungen, und speciell auch in denjenigen des § 5, nicht etwa bloss für die römisch-katholische Kirche, sondern für alle Konfessionen und Religionsgenossenschaften, also auch für Protestanten, Christkatholische, Israeliten u. s. w. Es ist ein für alle gültiges Gesetz, das dann auch als solches das Referendum passiert hat und in der Volksabstimmung angenommen worden ist.

Seit 25 Jahren haben denn auch die Römisch-Katholischen im Berner Jura diesem Gesetz sich unterzogen, ohne dass ihr Kultus darunter litt. Im Gegenteil sind unter der Herrschaft dieses Gesetzes wieder ruhige und geordnete Zustände in den früher durch Kämpfe kirchlicher und religiöser Natur zerrissenen Landesteilen eingetreten.

d) Selbst angenommen übrigens, es liege für die Römisch-Katholischen im Verbot der öffentlichen Prozessionen eine Beschränkung der freien Ausübung einer gottesdienstlichen Handlung" (Art. 50 Bundesverfassung), so ist zu bemerken, dass diese Kultushandlung wie jede andere im betreffenden Art. 50 nicht absolut, unbedingt, sondern nur innerhalb der Schranken der Sittlichkeit und der öffentlichen Ordnung garantiert ist, und dass das 2. Lemma des Art. 50 den Kantonen sowie dem Bunde die Kompetenz vorbehält, „zur Handhabung der Ordnung und des öffentlichen Friedens unter den Angehörigen verschiedener Religionsgenossenschaften u. s. w. die geeigneten Massnahmen zu treffen".

Gerade in Anwendung dieses Rechtes, beziehungsweise Vorbehaltes, hat der Kanton Bern, wie eingangs bereits bemerkt wurde, das Gesetz vom 31. Oktober 1875 und den angefochtenen Art. 5 erlassen (siehe Ingress des Gesetzes sowie die Beratung desselben).

Der allfällige Einwand, solche Massnahmen beziehungsweise Beschränkungen der Kultusfreiheit aus Gründen der öffentlichen

Ordnung und des konfessionellen Friedens dürfen nicht in allgemein gültigen, bleibenden Gesetzes vorschriften, sondern nur in transitorischen Verfügungen der Behörden zum Zwecke der Beseitigung eines Notstandes beziehungsweise der Prävention von momentan drohenden Gefahren für die öffentliche Ordnung und den konfessionellen Frieden bestehen, entbehrt der Begründung.

Wenigstens für solche Fälle, in welchen wie in casu die Möglichkeit einer Gefährdung beziehungsweise Störung der öffentlichen Ordnung oder des konfessionellen Friedens selbst auch eine allgemeine und fortdauernde ist, muss das Recht, solche Massnahmen auf dem Gesetzgebungsweg zu treffen, dem Staate gewahrt werden.

Dass aber öffentliche Prozessionen geeignet sind, eine Störung des religiösen Friedens auch jetzt stets noch hervorzurufen, ist nicht zu leugnen. Eine solche ist auch in dem Falle sehr wohl möglich, wenn in der betreffenden Gemeinde ausschliesslich nur Angehörige einer und derselben Konfession leben sollten (ein Fall, der übrigens nicht oft und nur in ganz kleinen Gemeinden vorkommen wird); denn es ist auch hier nicht ausgeschlossen, dass sich am Ort der Prozession zur Zeit der Vornahme derselben auch auswärtige Andersgläubige aufhalten.

Es ist durchaus nicht ausser acht zu lassen, dass öffentliche kirchliche Prozessionen infolge ihres demonstrativen Anstriches leicht einen provokatorischen Charakter annehmen, und dass speciell die römisch-katholische Fronleichnamsprozession zu Ruhestörungen Anlass geben kann, da die Teilnehmer erfahrungsgemäss von den Zuschauern Reverenzbezeugungen gegenüber dem in der Prozession einhergetragenen Allerheiligsten verlangen und im Falle der Nichtleistung derselben nicht selten zu Thätlichkeiten übergehen. Derartige Fälle können überall vorkommen und kommen thatsächlich auch wirklich vor, selbst an Orten, wo ganz oder zum grösseren Teil nur Römisch-Katholische residieren.

In dieser Hinsicht ist bemerkenswert, dass das Konzil von Trient gerade die Fronleichnamsprozession empfiehlt als Demonstrationshandlung gegenüber den Andersgläubigen, speciell den Protestanten, wie es heisst, zum Zwecke, „die siegende Wahrheit über Lüge und Irrlehre triumphieren zu machen, und dass ihre Widersacher, dem Anblick so vielen Glanzes und einer so grossen Freude der ganzen Kirche gegenübergestellt, entweder kraftlos und gebrochen vergehen oder, von Scham ergriffen und zu Schanden gemacht, mit der Zeit Busse thun". (Vergleiche Sessio XIII vom 11. Oktober 1551 de Sanctissimo Eucharistiæ sacramento Caput V De cultu et veneratione huie sanctissimo sacramento exhibenda. „Ac sie quidem oportuit victricem veritatem de mendacio et haeresi triumphum agere, ut eius adversarii in conspectu tanti splendoris, et in tanta universæ ecclesiæ lætitia positi, vel debilitati,

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