Page images
PDF
EPUB
[ocr errors]

Während in Absatz 1 des § 316 R.-St.-G.-B. die Fahrlässigkeit begriffsmässig bedingt, dass der Handelnde die Gefährdung des „Transportes als mögliche Folge seiner Handlung vorhersehen „konnte, genügt in den Fällen des Absatz 2 der Kausalnexus ..zwischen der Dienstrernachlässigung und der eingetretenen Gefahr, d. h. es tritt die Strafe auch dann ein, wenn keine Möglichkeit, ..den eingetretenen Erfolg vorherzusehen, gegeben war. Diese Erweiterung der Verantwortlichkeit beruht offenbar auf den Er„wägungen, dass einerseits eine Sicherheit im Eisenbahnbetriebe sich nicht erreichen lässt, wenn nicht eine grosse Zahl von Bediensteten genau ihre Pflichten erfüllt, und dass andererseits bei „der verwickelten Gestaltung des Betriebes der einzelne Bedienstete ,,selten die möglichen Folgen einer Pflichtvernachlässigung zu übersehen in der Lage ist."

Ferner Entsch. d. R.-G. VIII, 66: ...Die in § 316, Absatz 2, R. St.-G.-B. gedachte Pflichtvernachlässigung ist nicht identisch mit „krimineller Fahrlässigkeit. Die letztere setzt neben dem objektiv pflichtwidrigen oder sonst den Anforderungen sorgfältiger und -gewissenhafter Handlungsweise zuwiderlaufenden Verhalten subjektiv die Zurechenbarkeit des durch dieses Verhalten herbei..geführten schädigenden Erfolges zur Schuld voraus, und hierzu ist erforderlich, dass der Thäter den Eintritt dieses Erfolges bei Anwendung pflichtmässiger Sorgfalt auch hätte voraussehen können „oder müssen. Der Thatbestand der in § 316, Absatz 2, a. a. O. „gedachten Transportgefährdung, . . ., dagegen ist schon gegeben, Wenn der eingetretene Tod eines Menschen objektiv im KausalZusammenhange mit der Pflichtvernachlässigung und der durch letztere veranlassten Transportgefährdung steht er erfordert auf „seiten des Thäters nicht die Vorhersehbarkeit dieser Folgen, er „deckt sich daher keineswegs mit dem allgemeinen Thatbestand der durch Fahrlässigkeit verursachten Tötung eines Menschen. Enthält aber die Pflichtvernachlässigung zugleich eine in obigem Sinne zurechenbare Fahrlässigkeit, so konkurriert neben der Vorschrift in § 316, Absatz 2, a. a. O. zugleich die Vorschrift in $ 222 a. a. O."

Ebenso auch Entsch. d. R.-G. XII, 203: „... Die subjektive „Verschuldung des Angeklagten ist deshalb verneint, weil er diese Folge der falschen Weichenstellung (nämlich die Gefährdung eines Eisenbahnzuges) den Umständen nach nicht habe vorhersehen können, die Handlung ihm daher nicht zur strafbaren Fahrlässigkeit zugerechnet werden könne. Nun ist aber das subjektive Ver„Schulden im Falle des § 316, Absatz 2, Str.-G.-B. in der Pflicht„vernachlässigung gegeben, für Absatz 2 a. a. O. reicht es aus, dass die Handlung dem Eisenbahnbediensteten zur Pflichtversäumung zugerechnet werden kann, und dieses eigenartige Amtsver..gehen ist nur hinsichtlich der Strafe der im Absatz 1 a. a. O.

,,behandelten Transportgefährdung durch Fahrlässigkeit gleichge,,stellt. Die zum Wesen der letztern gehörige Voraussehbarkeit des „Erfolges der strafbaren Handlung durch den Thäter wird für die „Fälle des Absatz 2 a. a. O. dadurch erübrigt, dass der Eisenbahn„beamte in der genauen Befolgung der Dienstvorschriften die „Grenzlinie zu finden hat, hinter welcher er für den Eintritt „gemeingefährlichen Erfolges verantwortlich wird; kommt zur ,,Pflichtversäumung Fahrlässigkeit hinzu, so tritt Konkurrenz von „Absatz 1 und 2 nach § 73 St.-G.-B. ein.“

Der Art. 67b B.-St.-R. enthält nun nur eine dem Alinea 1 des § 316 d. R.-G.-B. entsprechende Vorschrift, wonach eine durch Nichterfüllung einer bestehenden Dienstpflicht herbeigeführte Beschädigung oder Gefährdung von Post- oder Eisenbahnzügen (abgesehen von litt. a des Art. 67) nur dann strafbar ist, wenn diese Verursachung der Beschädigung oder der Gefährdung auf leichtsinnige oder fahrlässige Weise hervorgerufen worden ist, d. h. es muss auf seiten des Thäters als subjektives Moment eine kriminelle Fahrlässigkeit vorliegen, damit demselben der eingetretene Erfolg als strafbar zugerechnet werden kann. Die Nichtbeobachtung einer Dienstvorschrift genügt hierzu nicht, vielmehr muss dazu kommen, dass der Thäter voraussehen konnte oder nach den Umständen voraussehen musste, dass sein vorschriftswidriges Verhalten eine erhebliche Gefahr für den Bahndienst, beziehungsweise eine Beschädigung eines Eisenbahnzuges wahrscheinlicherweise nach sich ziehen müsse. Die blosse Möglichkeit des Eintretens eines derartigen Erfolges genügt nicht, vielmehr gehört dazu die Wahrscheinlichkeit desselben. Für den Unterschied zwischen Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit ist das vernünftige, auf Erfahrung beruhende Ermessen des geistig ausgebildeten normalen Menschen massgebend, nach welchem als Folge des Eintrittes gewisser Umstände auch eine Veränderung in der Aussenwelt erfahrungsgemäss als bevorstehend erscheint. (Vergleiche hierüber Siebenhaar, Der Begriff der Gemeingefährlichkeit u. s. f., Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft, Band IV, pag. 245 ff., auch Entsch. d. R.-G. X, 173 ff.)

3. Die Prüfung, ob im vorliegenden Falle der Angeschuldigte sich einer fahrlässigen Handlungsweise schuldig gemacht habe, ergiebt ein negatives Resultat.

Allerdings hat er pflichtwidrig gegen Art. 35 der Vorschriften über den Rangierdienst gehandelt, als er das fragliche Schemelpaar in das Geleise E 4 abstossen liess, statt dasselbe bis an die Wagenreihe, an welche es angekuppelt werden sollte, hinzustossen. Wenn es ferner auch zweifelhaft sein könnte, ob er sich nicht sagen musste, der Stoss könnte zu schwach sein, um die Kuppelung des Schemelpaares zu ermöglichen, so war er dagegen jedenfalls berechtigt, anzunehmen, dass der Bahnarbeiter J. G., welcher diese Kuppelung vorzunehmen hatte, das Schemelpaar jedenfalls bremsen

und sichern werde, falls die Kuppelung selbst nicht möglich sei. Er konnte daher nicht voraussehen, dass durch eine ganze Reihe von Verumständungen, von denen nur die erste (nämlich das Abstossen) ihm zur Last gelegt werden kann, eine erhebliche Gefahr, beziehungsweise Beschädigung eines Eisenbahnzuges eintreten werde.

Da das begriffsmässig zur strafbaren Fahrlässigkeit gehörende Moment der Voraussehbarkeit des Erfolges in casu fehlt, so ist in Bezug auf den Angeschuldigten A. G. die Zurechenbarkeit des durch sein Verhalten herbeigeführten Erfolges zur Schuld ausgeschlossen.

A. G. ist demnach in Bestätigung des erstinstanzlichen Urteils yon Schuld und Strafe freizusprechen, freilich ohne Entschädigung. VI. Die Verurteilung des Angeschuldigten J. G. zu Fr. 20 erstinstanzlicher Staatskosten ist zu bestätigen. Da sich derselbe im heutigen Termine dem Antrage der Staatsanwaltschaft im Prinzip nicht widersetzt hat, sind demselben keine Rekurskosten aufzuerlegen.

Sämtliche übrigen Kosten trägt der Staat; dem freigesprochenen Angeschuldigten A. G. sind seine Verteidigungskosten in oberer Instanz mit Fr. 30 durch den Staat zu ersetzen.

Aus diesen Gründen wird

erkannt:

I. A. G. wird von Schuld und Strafe freigesprochen, jedoch ohne Entschädigung.

II. J. G. wird schuldig erklärt der Beschädigung und Gefährdung eines Eisenbahnzuges, leichtsinniger- oder fahrlässigerweise begangen durch Nichterfüllung von Dienstvorschriften in Bern am 5. Oktober 1900,

und in Anwendung von Art. 67b des Bundesgesetzes über das Bundesstrafrecht der schweizerischen Eidgenossenschaft vom 4. Hornung 1853, Artikel 368 und 468 St.-V.

verurteilt:

1. Korrektionell zu einem Tag Gefängnis.

2. Polizeilich zu einer Geldbusse von Fr. 5, welche gemäss Art. 8 des citierten Bundesgesetzes über das Bundesstrafrecht für den Fall der Nichteinbringlichkeit in einen Tag Gefängnis umgewandelt wird.

3. Zu Fr. 20 erstinstanzlichen Kosten des Staates.

Alle übrigen erstinstanzlichen Kosten, sowie die Rekurskosten werden dem Staate auferlegt; dem A. G. wird für seine Verteidigung in oberer Instanz ein Betrag von Fr. 30 gesprochen.

Strafgericht des Kantons Baselstadt.

Mitgeteilt von Strafgerichtspräsident Dr. Hübscher in Basel.

1. Vernichtung oder Beschädigung einer Urkunde.

Urteil vom 16. Januar 1901.

Der Angeklagte W. schnitt aus einer Hypothekar-Obligation, auf welcher er als Bürge unterschrieben hatte, nachträglich, als ihm die Obligation auf sein Verlangen gezeigt worden war, seinen Namen heraus und damit zugleich die auf der Rückseite befindliche Unterschrift des ausfertigenden Beamten.

Die Anklage nahm an, dass die Handlungsweise des Angeklagten als Vernichtung einer Urkunde zu beurteilen sei, indem sie in Übereinstimmung mit der Verteidigung die Urkunde in vier Teilurkunden zerlegte, von denen die letzte (Bürgschaftsverpflichtung) durch die Handlung des Angeklagten vernichtet worden sei. Die Entfernung der Unterschrift des Beamten wurde bei dieser Auffassung nicht berücksichtigt.

Das Gericht fasste jedoch die Urkunde als eine einheitliche auf, zog ferner in Erwägung, dass das Ausschneiden der Unterschriften den Inhalt der Urkunde in keiner Weise beeinträchtigt hatte, und betrachtete demnach die Handlungsweise des Angeklagten als Beschädigung einer Urkunde.

Der Angeklagte war nicht vorbestraft und besass einen guten Leumund; ausserdem wurden die Umstände, unter denen der Angeklagte zur Bürgschaftsleistung veranlasst worden war, in Betracht gezogen und das Minimum der angedrohten Strafe, zwei Wochen, ausgesprochen. Das Appellationsgericht bestätigte das Urteil.

2. Verbotene Selbsthülfe und Privaturkundenfälschung.
(Strafgesetzbuch §§ 61, 70 71.)

Urteil vom 20. April 1901.

Der Angeklagte Z. löste mit dem Kostgeber A. gemeinsam ein Patent zum Kleinverkauf von Bier und Wein. Das Patent wurde auf den Namen des Kostgebers gestellt. An die Patentgebühr von Fr. 80 zahlte jeder die Hälfte. Nach Differenzen nahm der Angeklagte, um sich seinen einbezahlten Betrag von Fr. 40 zu sichern, unbefugt das Patent weg, erklärte bei der Behörde Verzicht auf dasselbe und behielt den wegen Nichtbenützung ausbezahlten Betrag von Fr. 60 für sich, indem er mit dem Namen seines gewesenen Associé, des Kostgebers A., unterzeichnete.

Dieser stellte Strafantrag, forderte die von ihm bezahlten Fr. 40, sowie Entschädigung wegen Rückzugs des Patentes. Dieser letztere Anspruch wurde vom Gerichte auf den Civilweg verwiesen.

Das Gericht nahm verbotene Selbsthülfe, sowie Fälschung einer Privaturkunde in gewinnsüchtiger Absicht an und verurteilte den Angeklagten, der nicht vorbestraft war, zu drei Wochen Gefängnis.

3. Diebstahl.

Urteil vom 27. April 1901.

Zwei Frauen, Katharina St. und Josefine H., verkehrten viel in der Wohnung eines Hausierers. Die erstere entwendete demselben aus offenem Behältnis das Büchlein einer Ersparniskasse und fertigte fälschlich eine Vollmacht zur Erhebung von Fr. 50 aus. Die Josefine H., welche vom Diebstahl Kenntnis erhielt, erhob die Fr. 50 bei der Kasse und quittierte gemäss der Vollmacht mit falschem Namen. Das entwendete Büchlein brachte die Josefine H. in die Wohnung des Hausierers zurück, das Geld teilten die beiden Frauen.

Bezüglich der rechtlichen Qualifikation der Handlungen der beiden Angeklagten erblickte das Gericht hinsichtlich der Katharina St. in der Wegnahme des Büchleins einen einfachen Diebstahl, im Anfertigen der Vollmacht eine Privaturkundenfälschung in gewinnsüchtiger Absicht.

Das Gebrauchmachen von der Vollmacht und die Quittierung mit der falschen Unterschrift in den Büchern der Ersparniskasse durch die Josefine H. wurde als Privaturkundenfälschung in gewinnsüchtiger Absicht aufgefasst. Eine besondere Bestrafung der Josefine H. wegen Hehlerei, wie die Anklage annahm, wurde abgelehnt, weil die Josefine H. bei Erlangung der Fr. 50 als Mitthäterin (bei Urkundenfälschung) beteiligt war. Beide Angeklagte waren wegen Vermögensdelikten mit geringen Strafen vorbestraft: die Katharina St. häufiger als die Josefine H. Mildernd fiel das Verhältnis der Frauen zu dem Hausierer und der Umstand in Betracht, dass die Angeklagten von der cirka Fr. 400 betragenden Einlage nur Fr. 50 erhoben hatten. Die Katharina St. wurde zu zwei Monaten, die Josefine H. zu zwei Wochen Gefängnis verurteilt.

4. Falsche Anschuldigung und Ehrbeleidigung.

Urteil vom 1. Mai 1901.

Der Kläger G. M. hatte gegen den Beklagten E. B. wegen Ehrbeleidigung und Kreditschädigung Privatklage eingereicht, weil er vom Beklagten bei der Polizei fälschlicherweise eines Verbrechens beschuldigt worden sei.

Das Gericht wies die Klage aus einem formellen Grunde ab. Die Motive des Urteils sind folgende:

Nach dem geltenden Strafgesetze sind Anzeigen bei Behörden nur dann strafbar, wenn der Denunziant wider besseres Wissen

« PreviousContinue »