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jemand einer strafbaren Handlung beschuldigt. Dies ist der Thatbestand des § 83 unseres Strafgesetzes.

Wie steht es nun aber, wenn solche Anzeigen nicht dolos, sondern in unbesonnener, fahrlässiger Weise gemacht werden? Bei Beantwortung dieser Frage sind zwei Möglichkeiten denkbar.

Soll, da nur die dolos erfolgte Anzeige für strafbar erklärt wird, die nicht wider besseres Wissen, also fahrlässig gemachte Anzeige für straflos erachtet werden, oder ist nicht ausgeschlossen, dass die fahrlässig gemachte Anzeige auf andere Weise, d. h. als Ehrbeleidigung bestraft werden kann?

Hinsichtlich dieser beiden Möglichkeiten giebt uns die Entstehungsgeschichte des Strafgesetzes Aufschluss.

Im Kriminalgesetze von 1846 war in § 135 bestimmt, dass derjenige sich einer falschen Anklage schuldig mache, der mit dem Bewusstsein der Unwahrheit seiner Angabe jemand eines Verbrechens bei der Obrigkeit anklagt, oder auf solche Art beschuldigt, dass seine Beschuldigung eine peinliche Untersuchung veranlasst.

Im korrektionellen Gesetze von demselben Jahre wurde derjenige bestraft, der bei der Behörde mit dem Bewusstsein der Unwahrheit oder grober Übertreibung einen andern wegen eines Vergehens anzeigt oder hinterlistigerweise eine Untersuchung gegen ihn veranlasst (§ 23).

Im ersten Entwurfe eines neuen Strafgesetzes vom Oktober 1869 war neben der wissentlich falschen Anklage cine Bestimmung über Anklage aus Unbesonnenheit oder Mangel an Überlegung aufgenommen worden. Diese letztere Bestimmung wurde fallen gelassen und fand, wie erwähnt, auch in unserem geltenden Strafgesetze von 1872 keine Aufnahme.

Die falsche Anklage wird ferner getrennt von den Ehrbeleidigungen behandelt; sie ist unter die Eidesdelikte rubriziert und als Offizialdelikt behandelt. Dies im Gegensatz zu Strafgesetzen anderer Kantone, welche die falsche Anklage als Verleumdung strafen. Siehe Stooss, Die schweizerischen Strafgesetzbücher, Seite 345-350. Die $$ 78-81 unseres Strafgesetzes erwähnen die drei Verbrechen des Meineids, des falschen Handgelübdes und des falschen Zeugnisses. Dem falschen Handgelübde wird die falsche Aussage von Beamten und Bediensteten gleichgestellt. In allen diesen Fällen handelt es sich um eine wissentlich falsche Aussage. Nach § 82 ist jedoch auch strafbar, wer fahrlässigerweise einen Eid oder ein Handgelübde an Eidesstatt falsch ablegt, oder fahrlässigerweise nach Ablegung eines Handgelübdes an Eidesstatt, oder nach geschehener Hinweisung auf seinen Diensteid falsch aussagt. Das falsche einfache Zeugnis wird nur bestraft, wenn es wissentlich, und nicht, wenn es fahrlässig falsch abgelegt wird. Der Bericht des Justizkollegiums im Oktober 1870 sagt hierüber

Seite 48 folgendes: Zu weit in dieser Richtung (d. h. in der Bestrafung der fahrlässig begangenen falschen Aussagen) darf man aber nicht gehen, daher das einfache Zeugnis, das durch keinen Eid, kein Handgelübde und keine Hinweisung auf den Diensteid bekräftigt ist, hier nicht genannt wird.“

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In gleicher Weise ist in unserem Gesetze bei der falschen Anschuldigung verfahren worden. Der oberwähnte Bericht sagt an gleicher Stelle: ,Das Verbrechen der falschen Anschuldigung (Entwurf § 86, Gesetz § 83) wird nur mit Gefängnis bestraft. Es genügt dies, da, wenn die Anschuldigung irgend Erfolg hat und es zu einer Strafuntersuchung gegen den Angeschuldigten kommt, der Anschuldiger als Zeuge vernommen wird und dann unter die Bestimmungen der §§ 81-83 (Entwurf) (Gesetz § 78--81), namentlich § 832 (Entwurf) (Gesetz § 812) fällt. Der Paragraph der Fahrlässigkeit (Entwurf § 84, Gesetz § 82) wird nicht erwähnt. Der Gesetzgeber wollte demnach, gerade wie beim falschen einfachen Zeugnis, die fahrlässig begangene Anschuldigung als solche nicht bestraft wissen. Hätte der Gesetzgeber eine Bestrafung wegen Ehrbeleidigung zulassen wollen, so hätte er auf diese Möglichkeit gleich wie beim falschen Zeugnis sicherlich auch in den Motiven hingewiesen.

Hiervon ist selbstverständlich die Frage unabhängig, ob nicht eine fahrlässige falsche Anzeige nicht sowohl wegen des angezeigten Inhaltes, als vielmehr wegen der darin enthaltenen Beschimpfungen, d. h. wegen der beschimpfenden Form, in welche die Anzeige unnötigerweise gekleidet ist, strafbar ist. Diese Frage wäre zu bejahen nach Analogie der Bestimmungen von § 133 des Strafgesetzes, wonach die an und für sich wegen geleisteten Wahrheitsbeweises straflose Behauptung einer verächtlichmachenden Thatsache dann einer Bestrafung unterliegen soll, wenn sie in beschimpfender Form vorgebracht wurde.

Nach dem Oberwähnten steht fest, dass der Gesetzgeber blosse unbesonnene Anzeigen, auch wenn dieselben als unrichtig erfunden werden, die aber lediglich darauf hinzielten, eine strafbare Handlung anzuzeigen und eine Untersuchung gegen den Beschuldigten herbeizuführen, nicht mit Strafe belegen wollte. Solche Anzeigen dennoch auf einem Umwege als Beleidigung strafen zu wollen, müsste als mit dem Gesetze in Widerspruch stehend betrachtet werden.

Dieser Standpunkt des Gesetzgebers ist kein vereinzelter, er hat seine volle Berechtigung.

Schon in der Kodifikation des römischen Rechtes findet sich in J. 1, § 5 D. ad Senat. consult. Turpill. 48, 16) folgender Passus: Quæri possit, si ita fuerit interlocutus; Lucius Titius temere accusasse videtur, an calumniatorem pronuntiasse videatur: et Papinianus temeritatem facilitatis veniam continere et inconsultum calorem calumniæ vitio carere et ob id hune nullam poenam subire oportere.

Das Interesse einer möglichst erfolgreichen Strafverfolgung verlangt es, dass das Anzeigerecht und die Anzeigepflicht, deren die öffentliche Ordnung nicht entbehren kann, nicht beeinträchtigt und die Anzeigenden nicht durch eine eventuelle Bestrafung eingeschüchtert werden. Wer würde noch eine Anzeige erstatten, wenn er, trotzdem er nach seiner Auffassung und nach den ihm vorliegenden Umständen in gutem Glauben Grund zu einer Anzeige zu haben glaubte, riskieren müsste, vor den Strafrichter citiert und bestraft zu werden?

Es ist ferner darauf aufmerksam zu machen, dass derjenige, welcher bei einer Behörde eine Anzeige erstattet, die Absicht hat, auf ein Verbrechen aufmerksam zu machen, entweder im Interesse der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, oder im eigenen Interesse, um zu seinem Rechte oder Eigentum zu gelangen. Zudem erfolgt die Anzeige mit dem Bewusstsein, dass die Behörde, welcher ausgiebigere Mittel zur Verfügung stehen als einer Privatperson, vorerst die Verdachtsmomente prüfen und erst dann einschreiten wird, wenn durch ihre Untersuchung die Anzeige für begründet erachtet wird. Aus dem Umstande allein, dass der Beweis für die Anschuldigung nicht geführt werden konnte, darf nicht auf einen dolus des Anzeigenden geschlossen werden. In den meisten Fällen sind es nun aber gerade die Schritte der Behörden, durch welche die dadurch Betroffenen sich beleidigt fühlen; hierfür kann aber der Denunziant nicht verantwortlich gemacht werden, da diese Handlungen der Behörden ohne seine Mitwirkung, selbst gegen seinen Willen geschehen.

Anders bei den Ehrverletzungen. Wenn jemand auch nur in unbesonnener Weise eine unwahre beleidigende Behauptung aufstellt, so weiss er, dass dieselbe ohne jede Prüfung weiter verbreitet wird. Darum hat er die Pflicht, vorher genau über die Wahrheit seiner Behauptung sich zu unterrichten. Er weiss auch, dass er für seine Aussage Beweise zu erbringen hat. Zudem findet eine noch so unwahrscheinliche und unbegründete Behauptung Drittpersonen gegenüber immer Glauben, während dagegen die Anzeige bei einer Behörde, je schwächer begründet sie ist, um so ungefährlicher wirkt.

Was den Inhalt der Anzeigen anbetrifft, so ist behauptet worden, der Gesetzgeber habe nur solche Anzeigen straflos lassen wollen, welche den nackten Thatbestand der begangenen strafbaren Handlung enthalten. Angaben über die bisherige Thätigkeit, den Leumund des Denunzierten etc. dagegen seien nicht mehr statthaft.

Abgesehen davon, dass in beiden Fällen die Beschuldigung, eine strafbare Handlung begangen zu haben, die gleiche ist, ist es für die untersuchende Behörde gewiss nur von Nutzen, wenn sie ausser den Verdachtsmomenten auch über die Persönlichkeit des Denunzierten, Leumund, Vorstrafen etc. Auskunft erhält. Solche

Mitteilungen sind für die Charakterisierung der angezeigten That nicht unwesentlich.

Diesen Standpunkt, den wir hier erörtert haben, hat das Strafgericht auch in einem Urteile deutlich fixiert. Wir verweisen auf das Urteil vom 22. Juni 1887 i. S. J. H. c. A. N., welches hinsichtlich der rechtlichen Erwägungen vom Appellationsgerichte am 1. September 1887 bestätigt wurde. Schon früher war in Urteilen des Einzelrichters dieselbe Ansicht vertreten worden.

Was die Litteratur anbetrifft, so sind die Meinungen geteilt. Für unsere Ansicht sprechen z. B.: Professor Hugo Meyer in seinem Lehrbuch des deutschen Strafrechtes von 1875, Seite 535, Nr. 2, woselbst derselbe sagt: „Es ist unrichtig, die falsche Anklage als Art der Beleidigung aufzufassen, indem es doch gar zu engherzig wäre, in dem Vorwurfe, ein Delikt begangen zu haben, unter allen Umständen eine Ehrenkränkung zu erblicken.“ Ferner Professor Dochow im Handbuch des deutschen Strafrechtes von Holtzendorff III, Seite 257: „Das Verbrechen der falschen Anklage erfordert dolus. Mit Recht ist die culpa aus dem Thatbestande ausgeschlossen. So grosse Nachteile auch durch culpose Anzeigen entstehen können, so muss sich der Gesetzgeber doch vergegenwärtigen, dass dadurch die Neigung, Anzeigen zu machen, die heute überhaupt nur in sehr geringem Grade vorhanden ist, noch mehr vermindert würde.“ Im Gerichtssaal, neue Folge, dritter Jahrgang, Seite 359 ff., bespricht Dr. Herzog in Eisenach in eingehender Weise die Frage der falschen Anklage und Beleidigung im Sinne von § 186 des ReichsStrafgesetzbuches; er kommt zum Schlusse, dass, da die fahrlässige falsche Anklage nicht strafbar sei, auch eine strafrechtliche Verfolgung wegen Beleidigung nicht stattfinden könne.

Richtig ist, dass das deutsche Reichsgericht und mit diesem verschiedene Strafrechtslehrer die Frage bejaht haben, dass eine nicht wider besseres Wissen erhobene falsche Anklage eventuell als Vergehen der Beleidigung bestraft werden könne, z. B. Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen, Band 1, Seite 233, Band 8, Seite 785, Band 29, Seite 54.

Abgesehen davon, dass diese Entscheidungen selbst in Deutschland, wie erwähnt, nicht unbestritten sind, ist darauf hinzuweisen, dass das deutsche Reichsstrafgesetzbuch noch in § 193 Bestimmungen enthält über Äusserungen, welche zur Ausführung oder Verteidigung von Rechten oder zur Wahrnehmung berechtigter Interessen gemacht werden und dieselben nur insofern strafbar erklärt, als das Vorhandensein einer Beleidigung aus der Form der Ausserung oder aus den Umständen, unter denen sie geschah, hervorgeht.

Das Reichsgericht anerkennt, dass dieser Paragraph davor schütze, dass das Denunziationsrecht oder die Pflicht nicht lahmgelegt werde. Da die Absicht einer Beleidigung aus der Form der

Äusserung oder den Umständen, unter welchen die Äusserung geschah, geschlossen werden soll, so dürfte, wenn diese Voraussetzungen fehlen, niemals lediglich mit Rücksicht auf den Inhalt der Äusserung Verurteilung wegen Beleidigung erfolgen. Olshausen. Kommentar I, § 193, Seite 723, 13. Siehe auch Franck, Deutsches Strafrecht, 1897, § 193, III, 24. Solche schützende Bestimmungen enthält unser Strafgesetz nicht.

Der Vertreter des Klägers hat sich für seinen Standpunkt im ferneren auf die Rechtsprechung des schweizerischen Bundesgerichts berufen. Das Urteil vom 24. Januar 1896 i. S. Blanco c. Zander, das derselbe anführte, kann nicht als zutreffend bezeichnet werden. Das Bundesgericht stellt lediglich fest, dass derjenige, der die Strafanzeige wegen Betrugs gemacht habe, widerrechtlich und schuldhaft gehandelt habe und daher civilrechtlich zu Schadenersatz verpflichtet sei für das dem Kläger verursachte moralische Leid. Die Frage, ob derjenige, der die Strafanzeige gemacht hat, ausserdem wegen Beleidigung zu bestrafen sei, hat das Bundesgericht nicht berührt. Dass aber eine civilrechtliche Haftbarkeit auch für fahrlässig falsche Anklagen zulässig sei, wird selbstverständlich nicht bestritten.

Was nun das eingeklagte Schriftstück anbetrifft, so handelt es sich, wie eingangs erwähnt, um eine Anzeige bei einer Behörde, in welcher der Beklagte den Kläger einer strafbaren Handlung beschuldigt.

Die Anzeige seitens des Beklagten erfolgte auf eine bestimmte Aufforderung durch seine Vorgesetzten. Da die Form derselben keine beschimpfende ist, so kann dem Begehren des Klägers, den Beklagten wegen Beleidigung zu beurteilen, aus den oben entwickelten Gründen nicht entsprochen werden.

Gegen dieses Urteil wurde die Appellation angemeldet, jedoch vor Entscheid der zweiten Instanz wieder zurückgezogen.

Urteil
des

Obergerichts des Kantons Schaffhausen
vom 18. September 1901.

In Sachen

der Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen

gegen

Rudolf Meili, Handlanger, von Weisslingen, Angeklagten, Appel

lanten,

Mord und Raub betreffend,

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