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zuchtpolizeilichen Abwandlung zuwies. Auch darin wird ein Grund zu jener Abnahme liegen, obschon dieselbe schon vorher (in der Periode von 1882-1886) begonnen und sich gezeigt hat.

2. Die Verminderung der schwurgerichtlichen Bestrafungen gegenüber den kriminalgerichtlichen ist, wenn sie auch nur 5,52 % beträgt, doch eine auffallende. Man möchte daraus schliessen, die kriminalgerichtliche Beurteilung habe an Vertrauen gewonnen, die schwurgerichtliche aber verloren. Die Angeklagten lassen es weniger mehr auf den Wahrspruch der Geschworenen ankommen als früher, vielleicht weil sie wahrgenommen haben, dass die Geschworenen nur höchst selten ein freisprechendes Verdikt abgeben und dass auf ein Schuldig" des Schwurgerichtes in der Regel auch eine wohlgemessene Strafe erkannt wird. Wenigstens macht sich bei solchen Strafgefangenen, welche vom Schwurgerichte verurteilt worden sind, häufig das Gefühl geltend, man hätte bei ihnen deshalb das Strafmass so voll genommen, weil sie den kostspieligen Apparat des Schwurgerichtes angerufen und dadurch dem Staate grössere Kosten verursacht haben.

Frägt man uns endlich noch, welche Wahrnehmungen und Erfahrungen wir bei solchen Sträflingen, die vom Schwurgerichte verurteilt worden sind, bezüglich späterer Bekenntnisse gemacht haben, so antworten wir, dass uns ungefähr ein Drittel derselben bei gegebenem Anlasse ein umfassendes Geständnis abgelegt hat, ein anderes Drittel behauptete fortwährend bis zur Entlassung und mit Hartnäckigkeit seine Unschuld, während das letzte Drittel mit aller Ruhe über seine Verurteilung hinwegging und sich nicht gern auf dieses Kapitel einliess.

Strafprozessrevisionen für Strafgefangene sind in den letzten 20 Jahren im Aargau unseres Wissens nicht vorgekommen, wohl aber sind Kassationsgesuche zu öftern Malen eingereicht worden, jedoch ohne Erfolg. In drei sehr zweifelhaften Schwurgerichtsfällen dagegen, wo die betreffenden Sträflinge nie zur Ruhe kamen und Tag für Tag aufs neue immer wieder ihre Unschuld behaupteten, trat ausserordentlich früh die definitive Begnadigung ein.

Entscheidungen in Strafsachen. - Jurisprudence pénale.

Bundesgericht.

Tribunal fédéral.

Mitteilung des Herrn Bundesgerichtsschreibers Dr. E. Rott in Lausanne.

2. Urteil vom 17. März 1893 in Sachen des Friedrich Köster, Schlossers, von Rodenberg (Preussen), zur Zeit in Zürich.

Ein Delikt gegen Rechtspflege (Anstiftung zum Meineid), das begangen wird, um der Bestrafung wegen eines politischen Delikts (Majestätsbeleidigung) zu entgehen, hat den Charakter eines relativpolitischen Delikts. Nach dem Auslieferungsvertrag mit Deutschland findet die Auslieferung wegen relativ-politischer Delikte nicht statt.

A. Durch Urteil der I. Strafkammer des königlich preussischen Landgerichts in Magdeburg, vom 1. Oktober 1891, wurde Friedrich Köster aus Rodenberg (Preussen) der Majestätsbeleidigung für schuldig erklärt und dafür mit einem Monate Gefängnis bestraft. Das Gericht nahm als erwiesen an, Köster habe am 2. oder 3. Mai 1891 mit dem Gastwirte Hoppe in Benneckenbeck bei Gr. Ottersleben, in dessen Lokal die Anhänger der Socialdemokratie in Gr. Ottersleben und Benneckenbeck am 3. Mai 1891 die socialdemokratische sog. Maifeier abhalten wollten, wegen der Zurichtung des Saales für die Feier Rücksprache genommen. Der Saal sei damals mit Fahnen, vorwiegend in den deutschen und preussischen Farben, und mit von frühern Festlichkeiten herrührenden Guirlanden geschmückt gewesen; auch seien an der einen Wand desselben die Büsten des Kaisers Wilhelm I., Friedrich II. und des jetzt regierenden Kaisers Wilhelm II. angebracht gewesen. Köster habe nun, auf diesen Saalschmuck und insbesondere auf die drei Kaiserbüsten hinweisend, zu Hoppe geäussert: „Der „Krempel“ muss raus!“ In dieser Äusserung erblickte das Gericht den Thatbestand der Majestätsbeleidigung. Der Angeklagte hatte geleugnet, die inkriminierte Äusserung gethan zu haben. Der als Zeuge einvernommene Gastwirt Hoppe hatte dieselbe bei einer ersten (unbeeidigten) Einvernahme bestätigt, später aber seine Aussage geändert und in der Hauptverhandlung vom 1. September 1891 beschworen, Köster habe den Ausdruck „Krempel" nicht gebraucht.

B. Köster entzog sich der Vollziehung der gegen ihn verhängten Strafe durch die Flucht. Gegen den Gastwirt Hoppe wurde die gerichtliche Voruntersuchung wegen Meineids eingeleitet. Hoppe gestand in dieser Untersuchung zu, wissentlich falsch geschworen zu haben, denn Köster habe in der That die fraglichen Worte gebraucht. Zu seiner unwahren Aussage sei er durch Köster verleitet worden, der ihm am Terminstage auf dem Wege zum Gericht aufgelauert und gesagt habe, er solle als Zeuge aussagen, er (Hoppe) wisse nicht genau, ob er (Köster) jene Worte ausgestossen habe. Später gab Hoppe auch an, er habe falsch geschworen, aus Furcht vor Köster und in der Erwartung, dass nunmehr die Socialdemokraten in seinem Lokal verkehren würden. Nunmehr wurde auch gegen Köster die Voruntersuchung wegen Anstiftung zum Meineid eröffnet; in dem Haftbefehle des Untersuchungsrichters I bei dem königlichen Landgericht in Magdeburg wird Köster beschuldigt: „im Sommer 1891 auf dem Wege zwischen „Gr. Ottersleben und Magdeburg bezw. in Magdeburg den Gastwirt Karl Hoppe „zu Benneckenbeck zu dem von demselben geständlich am 1. September 1891 „begangenen Meineid durch Überredung, Missbrauch des Ansehens und andere „Mittel vorsätzlich bestimmt, und sich durch diese Handlung des in §§ 153, 154 „und 48 des Strafgesetzbuches für das deutsche Reich unter Strafe gestellten „Verbrechens schuldig gemacht zu haben“.

C. Gestützt auf diesen Haftbefehl suchte die kaiserl. deutsche Gesandtschaft in Bern beim schweiz. Bundesrate um Auslieferung des (in Zürich verhafteten) Friedrich Köster nach. Köster erhob gegen seine Auslieferung Einsprache. Nachdem der schweiz. Bundesrat eine Aktenvervollständigung veranstaltet und inzwischen die provisorische Freilassung des Köster gegen eine Kaution von 2000 Fr. bewilligt hatte, hat er mit Schreiben vom 24. Februar 1893 die Akten dem Bundesgerichte zur Entscheidung übermittelt.

D. Zur Begründung seiner Einsprache gegen die Auslieferung macht Köster geltend: Er habe sich der Anstiftung zum Meineide nicht schuldig gemacht. Das Zeugnis des Gastwirts Hoppe, auf welches die Anschuldigung sich stütze, sei diesem in der Untersuchungshaft abgepresst worden, wie derselbe nachher in der öffentlichen Gerichtsverhandlung selbst zugegeben habe. Zudem sei er (Köster) wegen Majestätsbeleidigung und Pressvergehen in Magdeburg zu 17 Monaten Gefängnis verurteilt worden, und hätte, wenn er ausgeliefert würde, auch diese Strafen zu verbüssen, obwohl sie nicht wegen Auslieferungsdelikten ausgefällt worden seien. In rechtlicher Beziehung führt der Anwalt des Requirierten, Professor Zürcher in Zürich, im wesentlichen aus:

1. Für die Auslieferungspflicht der Eidgenossenschaft gegenüber dem deutschen Reiche sei auch gegenwärtig noch ausschliesslich der Auslieferungsvertrag vom 24. Januar 1874 und nicht das Bundesgesetz vom 22. Januar 1892 massgebend. Dagegen könne, nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes, eine Einsprache gegen die Auslieferung nur noch auf dieses Gesetz gestützt werden. Rechte des Auszuliefernden seien nur noch durch das Gesetz begründet.

2. Nach Art. 4 des Auslieferungsvertrages solle die Auslieferung nicht stattfinden, wenn die strafbare Handlung, wegen deren die Auslieferung verlangt werde, einen politischen Charakter an sich trage. Der Ausdruck „Verbrechen mit politischem Charakter" sei im weitesten Sinne aufzufassen, welcher nicht nur die absolut politischen Verbrechen, sondern auch das gemischt-politische VerZeitschr. f. Schweizer Strafrecht. 6. Jahrg.

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brechen (délit politique complexe) und das konnexe Verbrechen, d. h. das gemeine Verbrechen, das in ursächlichem Zusammenhange mit politischen Verbrechen stehe, umfasse. Köster sei nun wegen Majestätsbeleidigung verurteilt worden, welche sich als absolut politisches Verbrechen qualifiziere und wegen welcher die Auslieferung ausgeschlossen sei. Der äussere Kausalzusammenhang zwischen der dem Requirierten vorgeworfenen Anstiftung zum Meineide und der Majestätsbeleidigung liege am Tage. Es bestehe aber auch ein innerer begrifflicher Zusammenhang. Wenn man nicht auf die juristische Form, sondern auf das Wesen der Sache sehe, so werde dem Requirierten zur Last gelegt, dass er dritte zur Begünstigung mit Bezug auf ein eigenes politisches Verbrechen aufgefordert habe.

3. Ferner sei die Auslieferung nach Art. 4 des Auslieferungsvertrages auch deshalb zu verweigern, weil der Nachweis erbracht sei, dass der Auslieferungsantrag in Wirklichkeit mit der Absicht gestellt werde, den Ausgelieferten wegen eines Verbrechens politischer Natur zu bestrafen. Das Auslieferungsbegehren sei in That und Wahrheit auf das Bestreben zurückzuführen, den Socialdemokraten Köster für seine socialdemokratische Gesinnung und Thätigkeit zu bestrafen.

4. Der Haftbefehl entspreche den Anforderungen des Art. 7 des Auslieferungsvertrages nicht. Da Art. 7 cit. den Haftbefehl auf gleiche Linie mit den Beschlüssen über Versetzung in Anklagezustand stelle, so sollten die beiden Aktenstücke wesentlich gleichen Inhalts sein. Der vorliegende Haftbefehl entspreche aber den Erfordernissen, welchen ein Beschluss über die Eröffnung des Hauptverfahrens nach deutschem Rechte genügen müsse, durchaus nicht. Er sage nicht, welche Geschenke, Versprechen oder Drohungen der Requirierte gemacht habe, welches Ansehen und in welcher Weise er dasselbe missbraucht habe. Und doch seien diese Angaben unbedingt nötig, damit der ersuchte Staat sich ein Urteil über den strafrechtlichen Charakter der Handlung, wegen welcher die Auslieferung begehrt werde, bilden könne.

5. Wie nach dem schweizerisch-deutschen Auslieferungsvertrage, so sei auch nach dem Bundesgesetze vom 22. Januar 1892 die Auslieferung hier ausgeschlossen. Allerdings sei der Wortlaut des Gesetzes nicht allzuklar. Allein nach der ratio legis und der Entstehungsgeschichte des Gesetzes sei anzunehmen, dass auch das Gesetz die Auslieferung nicht nur wegen absolut politischer und gemischt politischer Delikte, sondern auch wegen sogenannter konnexer Delikte ausschliesse, sofern nur nicht der Charakter des gemeinen Verbrechens überwiege. Übrigens sei es auch nicht ausgeschlossen, die dem Requirierten zur Last gelegte That als absolut oder gemischt politisches Verbrechen aufzufassen. Denn der Meineid sei ein Delikt gegen die Rechtspflege und nach der alten Theorie haben die Verbrechen gegen die Rechtspflege zu den absolut politischen Verbrechen gehört; auch lasse sich die politische Natur nicht leugnen. Wenn die That begangen worden sei, so sei sie begangen worden zur Verteidigung gegenüber einer politischen Verfolgung. Der Socialistenführer und der die Majestät des Königs verteidigende Staat stehen auch da einander gegenüber.

E. Die kaiserlich deutsche Gesandtschaft in Bern bemerkt gegenüber den Einwendungen des Requirierten mit Note vom 15. Februar 1893 im wesentlichen : Nach dem Auslieferungsvertrage habe der ersuchte Staat sich weder mit der Schuldfrage zu befassen, noch die Beweise, auf die sich der Verdacht gründe, zu prüfen. Die in dieser Richtung erhobenen Einwendungen des Requirierten

fallen also ausser Betracht. Was die Behauptung anbelange, die dem Verfolgten zur Last gelegte That trage einen politischen Charakter an sich, so sei richtig, dass der Meineid, zu welchem der Verfolgte den Hoppe angestiftet habe, in einem politischen Prozesse geleistet worden sei. Allein nichtsdestoweniger könne nicht anerkannt werden, dass der Meineid selbst und die Anstiftung dazu einen politischen Charakter an sich tragen. Die Ableistung des Meineids durch Hoppe sei nicht aus politischen Beweggründen, sondern aus Furcht und im Hinblick auf geschäftliche Vorteile erfolgt. Die Anstiftung hierzu entbehre aber gleichfalls des politischen Charakters. Habe Köster gewünscht, wegen der Majestätsbeleidigung straflos zu bleiben, so habe er nur, wie er es später gethan habe, Deutschland zu verlassen brauchen. Statt dessen habe er ein neues Verbrechen begangen, mit dem er das gemeine Recht verletzt habe. So wenig angenommen werden könnte, dass, wenn der Verfolgte etwa einen Raubmord begangen hätte, um sich die Mittel zur Flucht zu verschaffen, diesem Verbrechen ein politischer Charakter zukäme, ebensowenig werde auch der Anstiftung zum Meineidę, durch die sich Köster der Bestrafung entziehen wollte, ein solcher Charakter beizulegen sein. Wäre diese Anstiftung erfolgt, um dem vorangegangenen politischen Verbrechen zu besserer Wirkung zu verhelfen und dessen Erfolg zu sichern, so würde die Anstiftung vielleicht als eine Handlung angesehen werden können, die einen politischen Charakter an sich trage. In Wirklichkeit habe Köster sein politisches Vergehen aber zu verwischen gesucht, um nur für seine Person Deckung zu finden. Wenn er sich hierzu der Irreführung des Gerichts durch Verleitung eines Zeugen zum Meineide bedient habe, so stelle sich dieses als ein selbständiges Verbrechen gegen die Rechtspflege dar, das lediglich den Charakter eines gemeinen Verbrechens habe. Dass Köster im Falle seiner Auslieferung nicht wegen Majestätsbeleidigung und Pressvergehens werde verfolgt werden, ergebe sich schon aus Art. 4 Abs. 3 des deutsch-schweizerischen Auslieferungsvertrages; eine besondere Zusicherung sei daneben nicht erforderlich.

F. Der Generalanwalt der Eidgenossenschaft bemerkt: Die gewöhnlichen Voraussetzungen der Auslieferungspflicht treffen zu. Es könne sich nur fragen, ob die Auslieferung nicht deshalb zu verweigern sei, weil die That, für welche sie verlangt werde, einen politischen Charakter habe. Für die Entscheidung dieser Frage sei ausschliesslich der schweizerisch-deutsche Auslieferungsvertrag vom 24. Januar 1874 massgebend. Nach dem Wortlaute des Art. 4 1. 1 und 2 dieses Vertrages sei der Begriff des politischen Vergehens oder des politischen Charakters eines Vergehens im weitesten Sinne aufzufassen. Werde zunächst geprüft, ob das Verbrechen, wegen dessen Anstiftung die Auslieferung verlangt werde, ein politisches sei, so sei klar, dass man nicht im allgemeinen sagen könne, jeder in einem politischen Prozess verübte Meineid habe einen politischen Charakter, vielmehr müsse in jedem einzelnen Falle geprüft werden, ob wirklich Anhaltspunkte für eine derartige Annahme vorliegen. Der Meineid sei ein Verbrechen gegen die Rechtspflege und nach seiner objektiven Gestaltung kein politisches Verbrechen, es liege in concreto auch kein relativ politisches Verbrechen in dem Sinne vor, dass dasselbe in der Absicht begangen worden sei, ein politisches Verbrechen zu verüben oder bei der Verübung desselben mitzuwirken. Die angeblich falsche Aussage sei gemacht worden, nachdem das politische Verbrechen der Majestätsbeleidigung bereits verübt war, aber offenbar zu dem Zwecke, einen wegen eines politischen Verbrechens Verfolgten vor der drohenden Strafe zu

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