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In den ersten Bänden der Geschichte seit der Reformation stehen die kirchlichen Angelegenheiten im Vordergrunde. Die von der herkömmlichen abweichende Darstellung derselben fand damals großen Widerspruch und gereichte nicht Wenigen, die sich eine lieb gewordene, für unzweifelhaft gehaltene Tradition und darauf gegründete Ueberzeugung nicht gern entreißen lassen wollten, zum erger. Während ein angesehener Theologe seinem hinzutretenden Verdrusse, daß eine von ihm verfaßte, je= ner Tradition blindlings folgende, Reformationsgeschichte durch meine Darstellung indirect widerlegt wurde, in bitteren, eine Anklage auf Kirchenverrath in sich schließenden Klagen über Krypto-Katholizismus und Jesuitismus Luft machte, was gegen den Fortgang des Werkes äußere Hemmungen herbeiführen konnte, wurde von anderen, minder Leidenschaftlichen für gerathen erachtet, jede Erwähnung des unwillkommenen Buches sorgfältig zu vermeiden, um dasselbe durch Schweigen todt zu machen. Kei= ner dieser beiden Wege hat zum Ziele geführt. Die Nichtigkeit der Anklage war leicht darzuthun. Die Abwendung der nicht unbeträchtlichen Zahl derjenigen protestantischen Deutschen, die sich durch die bloße Aussprengung, daß ein Buch antiprotestantischen Intereffen diene, sogleich bestimmen lassen, solches für immer von sich zu weisen, wurde durch die größere Theilnahme, die mein Werk im katholischen Deutschland gewann, aufgewogen, und die Intention der Secretirungstaktik durch edlere Vertreter der deut= schen Kritik - auch der protestantisch-theologischen,

welche demselben eine parteilose Würdigung zu Theil werden ließen, im protestantischen Deutschland

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vereitelt. Seitdem ist im lehtern das historische Urtheil über die Vorgänge bei der Reformation und deren nächste Entwickelung mit der Tendenz meines Werkes, wie sie in der vom 1. September 1826 datirten Vorrede zum ersten Bande angegeben ist, ziemlich allgemein in Uebereinstimmung getreten ; selbst diejenigen, die mit der protestantischen Orthodoxie, oder mit deren Farben Geschäfte machen, kön nen sich der Betheiligung daran nicht immer erwehren. Wenn solche nun dennoch fortfahren, ihren Groll gegen ein Buch, welches zuerst das theologische Treiben im angepriesenen Blüthenalter der kirchlichen Gläubigkeit auch dem nicht-theologischen Publikum vor Augen stellte, durch finsteres Schweigen an den Tag zu legen, und ihm sogar anderweite literarische Anführungen zu entziehen befliffen sind, so mögen sie erwägen, ob sie hierdurch nicht noch etwas Anderes als ihren Unmuth bekunden.

Die späteren Bände, vornehmlich der lehte, ha= ben es mit Zeiten zu schaffen, in welchen die kirchlichen Dinge den Schauplatz des nationalen Lebens fast gänzlich geräumt, und politische Interessen und wissenschaftliche Geistesregungen ausschließende Geltung erlangt hatten. Die lehteren haben, nach den vorzüglichen Darstellungen in bekannten neueren Werken, einer neuen Behandlung nicht bedurft, und durch bloße Andeutungen erledigt werden können; unter den ersteren sind die Anlässe und Hergänge der zwischen den beiden deutschen Hauptmächten entstande= nen unheilvollen Spannung, durch welche der Untergang des deutschen Reichs und die Unterjochung der Nation herbeigeführt würde, mit größerer Ausführlichkeit behandelt worden, weil der deutschen Ge

schichtschreibung obliegt, den Lehrreichthum dieser, in Deutschland wenig oder doch nur in französischer Zurichtung bekannten Stoffe praktisch zu machen, die damaligen politischen Irrthümer und Sünden an= schaulich vor Augen zu stellen und eindringlich ans Herz zu legen, um ihres Theils zu verhüten, daß die Thorheiten der Väter nicht dereinst von den Enkeln wiederholt werden, und kein neuer Lucrez Veranlassung erhalte, den Deutschen zuzurufen:. O surdas hominum mentes, o pectora caeca!

Je mehr zu wünschen ist, daß diejenigen, welche nach ihrer Betheiligung an der Praxis der Geschichte sich am meisten veranlaßt fühlen sollten, den deutschen Geschichtsverhältnissen in das Innere zu schauen, der deutschen Geschichtschreibung größere Aufmerksamkeit widmen möchten, um desto weniger soll sich die lettere verheimlichen, daß sie an der ihr von jener Seite widerfahrenen Vernachläßigung und der gleichzeitig den Ausländern erwiesenen Bevorzugung nicht ganz ohne Schuld ist, weil sie dem Thatsäch= lichen als solchem zu vielen Werth beigelegt, zu wenig darauf Bedacht genommen hat, die fruchtba= ren Bestandtheile des Stoffes von der todten Masse zu sondern und durch den Geist für den Geist zur lebendigen Wahrheit zu erheben. Hierzu ist durchaus erforderlich, daß die Zeit durch den Mund ihrer bedeutsamsten Männer sich ausspreche, und daß diese, wie in den Geschichtswerken der Alten, ihre Gedanken selbst zum Vortrage und zur Erörterung bringen; fonst bleibt die Historie in den Urtheilen des Schriftstellers stehen, und kann auf solche, die nicht etwa an der Person des lehtern ein besonderes Interesse nehmen, keine Anziehung und Wirkung aus

üben. Auch durch ein bloßes Hinstreifen an der Oberfläche der geschichtlichen Dinge, durch geistreiche Abhübe aus Schriften, welche zufällig ungedruckt geblieben sind, wird, so wenig als durch das Schelten nach allen Seiten hin, der lebendige Leib der Zeit:

The very age and body of the time,
Its form and pressure

ins Leben geseht.

Um ihre von Cicero durch die Worte: vitae memoria, magistra vitae, treffend angegebene Aufgabe zu lösen, müßte die Geschichte alle auf das Gesammtleben der Nation einflußreichen Momente des Zeitenverlaufs erfaffen, und die darin enthaltenen bildenden Stoffe am Webstuhle der Zeit zum lebendigen Kleide der Gottheit verweben. Was in der Behauptung Fichte's, daß nur die durch das Denken erfaßte Welt die wahre und wirkliche Welt sei, Wahres enthalten ist, läßt sich nirgends an= schaulicher als durch die Geschichtschreibung nachwei= sen, da ihr allein, insofern sie aus der Masse des Geschehenen die lebensfähigen Stoffe durch das Denken auszusondern und durch den Geist zu beseelen vermag, die Vergangenheit ihre Fortdauer schuldig ist, ohne sie die spätern wie die frühern ,,Fortes qui vixere aute Agamemnona", dem weiten Reiche des Nichtgewesenen angehören würden. Auf die Auswahl des Stoffes ist hierbei nicht geringeres Gewicht als auf den Geist der Darstellung zu legen. Nicht nur Fürsten und Feldherren mit Staatsereig= niffen und Kriegsthaten, sondern auch Denker und Dichter mit ihren Einwirkungen auf die geistige Entwickelung der Nationen gehören in die Geschichte,

und zwar in die vordersten Reihen, nicht unter den Train zu den Packknechten. Das deutsche Volk ist darum mit seiner nationalen Geschichte weniger bekannt und befreundet, der Vortrag derselben in unsern Lehranstalten für die Nationalbildung weniger fruchtbar, weil die deutschen Geschichtbücher, auf die er sich stüßt, nur von Staats- und Kriegsbegebenheiten handeln, hingegen die innere Thätigkeit und das Geistesleben der Nation bei Seite laffen. Die Folge ist, daß unsere Jünglinge zahlreiche Notizen von Schlachten und Verträgen, Länderabtretungen und Verfassungsänderungen, Königsnamen und Hofgeschichten des In- und Auslandes für die Vergeffenheit erlernen, von den deutschen Geschichtspersonen und Verhältnissen aber, ohne deren Kenntniß die deutsche Vergangenheit und Gegenwart nicht begrif= fen werden kann, wenig erfahren. In der Regel werden nicht einmal die Namen der Staatsmänner genannt. Und doch würde, wenn auch der Lehrer die diplomatischen Wege und Irrwege der Herzberge und Haugwiße, der Kauniße und Thugute nicht ins Einzelne verfolgen kann, die bloße Angabe oder Andeutung ihrer Stellung zu den Monarchen und die Bezeichnung ihrer politischen Ansichten und Richtungen sogleich Licht in das Chaos der verworrenen Vorstellungen werfen, nach welchen, was in Desterreich und Preußen unter Franz und Friedrich Wilhelm II. geschehen ist, ohne Weiteres auf die Rech= nung dieser Monarchen geseht wird. Auch die Kunde von Stein und Hardenberg mit den großartigen Beziehungen, welche der Umformungsprozeß des preußischen Staats nach der Katastrophe von 1806 darbietet, ist bei dem jüngern Geschlechte in Deutschland ge=

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