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$ 7.

In dem Verfahren vor der Gerichtsbehörde zweiter Instanz nehmen in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, in Konkurssachen und in den zur streitigen. Gerichtsbarkeit nicht gehörenden Angelegenheiten die Beisißer nur an der mündlichen Verhandlung, sowie an den im Laufe oder auf Grund derselben ergehenden Entscheidungen Theil. Jedoch erfolgt die Entscheidung über das Rechtsmittel der Beschwerde unter Mitwirkung der Beisizer, wenn die angefochtene Entscheidung unter Mitwirkung von Beisitzern ergangen ist.

In dem Verfahren zweiter Instanz ist eine Vertretung durch Rechtsanwälte nicht geboten, und findet der § 269 der Civilprozeßordnung keine Anwendung.

Die Vorschriften in §§ 464 und 468 der Civilprozeßordnung gelten auch für das Verfahren zweiter Instanz.

$ 8.

Die Zwangsvollstreckung im Schutzgebiet erfolgt ausschließlich durch die zur Ausübung der Gerichtsbarkeit erster Instanz ermächtigten Beamten, welche unter Oberaufsicht des Kaiserlichen Kommissars die hierfür erforderlichen Anordnungen erlassen. Der Beibringung einer vollstreckbaren Ausfertigung bedarf es nicht, soweit dieselbe von dem Gerichtsschreiber der Gerichtsbehörde, durch welche die Zwangsvollstreckung zu erfolgen hat, zu ertheilen sein würde.

Die zur Ausübung der Gerichtsbarkeit erster Instanz ermächtigten Beamten können nach Anordnung der Zwangsvollstreckung mit der Aus führung andere Personen beauftragen, welche nach ihren Anweisungen zu verfahren haben.

$9.

Vollstreckbare Ausfertigungen dürfen von dem Gerichtsschreiber nur auf Anordnung des zur Ausübung der Gerichtsbarkeit ermächtigten Beamten ertheilt werden.

§ 10.

In Strafsachen findet die Hauptverhandlung ohne die Zuzichung von Beisigern statt, wenn der Beschluß über die Eröffnung des Hauptverfahrens eine Handlung zum Gegenstande hat, welche zur Zuständigkeit der Schöffengerichte oder zu den in den §§ 74, 75 des Gerichtsverfassungsgesetzes bezeichneten Vergehen gehört.

§ 11.

Der Angeklagte kann auf seinen Antrag oder von Amtswegen wegen großer Entfernung seines Aufenthaltsortes oder wegen sonstiger Hindernisse von der Verpflichtung zum Erscheinen in der Hauptverhandlung entbunden werden, wenn nach dem Ermessen der Gerichtsbehörde voraussichtlich keine andere Strafe als Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten, oder Geldstrafe oder Einziehung allein oder in Verbindung miteinander zu erwarten steht.

$ 12.

Die Gerichtsbarkeit in den zur Zuständigkeit der Schwurgerichte gehörenden Sachen wird für das Schußgebiet den vom Reichskanzler zu bezeichnenden Gerichtsbehörden erster Instanz übertragen.

Für diese Sachen finden die Vorschriften Anwendung, welche für die im § 28 des Gesezes über die Konsulargerichtsbarkeit bezeichneten Strafsachen gelten.

§ 13.

In Strafsachen findet vor der Gerichtsbehörde zweiter Instanz in Bezug auf die Zuziehung der Beisißer die Vorschrift des § 30 des Gerichtsverfassungsgesetzes mit der oben im § 7 Absatz 1 bezeichneten Maßgabe Anwendung. Den Umfang der Beweisaufnahme bestimmt das Gericht, ohne hierbei durch Anträge, Verzichte oder frühere Beschlüsse gebunden zu sein. Die Mitwirkung einer Staatsanwaltschaft findet nicht statt.

Der nicht auf freiem Fuße befindliche Angeklagte hat Anspruch auf Anwesenheit in der Hauptverhandlung, wenn er sich am Orte des Berufungs gerichts befindet.

In den zur Zuständigkeit der Schwurgerichte gehörenden Sachen ist die Vertheidigung auch in der Berufungsinstanz nothwendig. In der Hauptverhandlung ist die Anwesenheit des Vertheidigers erforderlich; der § 145 der Strafprozeßordnung findet Anwendung.

Im Uebrigen verbleibt es bei den Vorschriften im § 40 des Gesetzes über die Konsulargerichtsbarkeit.

§ 14.

Die Todesstrafe ist durch Erschießen oder Erhängen zu vollstrecken. Der Kaiserliche Kommissar bestimmt, welche der beiden Vollstreckungsarten in dem einzelnen Falle stattzufinden hat.

$ 15.

In dem Verfahren vor den Gerichtsbehörden im Schußgebiet finden das Gerichtskostengeset und die Gebührenordnungen für Gerichtsvollzieher, für Zeugen und Sachverständige, sowie für Rechtsanwälte keine Anwendung. Die Vorschriften, welche an Stelle der bezeichneten Geseße zu treten haben, werden von dem Reichskanzler erlassen.

$ 16.

Die in Gemäßheit der Verordnung vom 21. Dezember 1887 bezüglich der Rechtsverhältnisse an unbeweglichen Sachen maßgebenden Bestimmungen finden fortan keine Anwendung. Die Regelung dieser Verhältnisse bleibt vorbehalten.

$ 17.

Diese Verordnung tritt am 1. Oktober 1890 in Kraft.

Urkundlich unter Unserer Höchsteigenhändigen Unterschrift und bei= gedrucktem Kaiserlichen Insiegel.

Gegeben Helgoland, den 10. August 1890.

(L. S.)

Wilhelm.

v. Caprivi

99. Dienstanweisung, betreffend die Ausübung der Gerichtsbarkeit in dem südwestafrikanischen Schutzgebiet.

Bom 27. August 1890.

Zur Ausführung der Vorschriften der Kaiserlichen Verordnung vom 10. August 1890 (Reichs-Gesezbl. S. 171) über die Ausübung der Gerichtsbarkeit in dem südwestafrikanischen Schutzgebiet wird auf Grund des § 11 des Gesetzes, betreffend die Rechtsverhältnisse der deutschen Schußgebiete (Reichs-Gesezbl. 1888 S. 75), Folgendes bestimmt:

§ 1.

Personen, welche der Gerichtsbarkeit unterliegen.

(Zu den §§ 1 und 2 der Verordnung.)

Die Gerichtsbarkeit in dem Schutzgebiet erstreckt sich nach zwei Richtungen auf einen weiteren Kreis von Personen als die Konsulargerichtsbar keit. Der Ersteren sind unterworfen:

1. nicht nur Reichsangehörige und Schußgenossen, sondern auch Ausländer; ausgenommen sind nur Eingeborene (vergl. § 2 der Verordnung), soweit sie nicht durch die von dem Kaiserlichen Kommissar mit Genehmigung des Reichskanzlers zu treffenden Bestimmungen der Gerichtsbarkeit unterstellt werden;

2. nicht nur alle Personen, welche im Schußgebiet wohnen oder sich dort aufhalten, sondern auch solche Personen, hinsichtlich deren, ohne daß sie dort Wohnsitz oder Aufenthalt haben, ein Gerichtsstand nach den zur Geltung kommenden Gesetzen begründet ist (z. B. in den Fällen der §§ 24, 29, 31, 32 der Civilprozeßordnung).

$ 2.

Gerichtsbehörden.

(3u § 5 des Gesetzes über die Konsulargerichtsbarkeit; §§ 2, 3 Nr. 9 des Gesezes, betreffend die Rechtsverhältnisse der deutschen Schußgebiete; §§ 3 u. 4 der Verordnung.) 1. Die Gerichtsbehörden erster Instanz haben in den von ihnen ausgehenden Schriftstücken:

a) sofern es sich um Geschäfte handelt, welche unter Zuziehung der Beisißer erledigt werden, die Bezeichnung als

„Kaiserliches Gericht des südwestafrikanischen Schutzgebietes

zu.

b) sofern es sich um Geschäfte handelt, welche von dem zur Ausübung der Gerichtsbarkeit ermächtigten Beamten ohne Zuziehung von Beisißern erledigt werden, die Bezeichnung als

„Kaiserlicher Richter des südwestafrikanischen Schutzgebietes zu...

anzuwenden.

2. Die Gerichtsbehörde zweiter Instanz hat in den von ihr ausgehenden Schriftstücken

a) in den unter 1a bezeichneten Fällen (§ 7 Absatz 1, § 13 Absatz 1 der Verordnung) die Bezeichnung als

"

Kaiserliches Obergericht des südwestafrikanischen Schuß-
gebietes",

b) in den unter 1b bezeichneten Fällen die Bezeichnung als
„Kaiserlicher Oberrichter des südwestafrikanischen Schuß-
gebietes"

anzuwenden.

3. Zur Ausübung der Gerichtsbarkeit zweiter Instanz ist der Kaiserliche Kommissar ermächtigt. Die Gerichtsbarkeit erster Instanz wird durch die vom Reichskanzler ermächtigten Personen ausgeübt.

Für den Fall der Behinderung des zur Ausübung der Gerichtsbarkeit ermächtigten Beamten gilt der zur allgemeinen Vertretung desselben durch Anordnung des Reichskanzlers berufene Beamte auch als zur Ausübung der Gerichtsbarkeit ermächtigt. Es ist jedoch zu beachten, daß in der höheren Instanz kein Richter mitwirken darf, welcher in der unteren Instanz bei Er lassung der angefochtenen Entscheidung betheiligt war (Civilprozeßordnung § 41 Nr. 6, Strafprozeßordnung § 23 Absatz 1). Für den Fall, daß aus diesem Grunde oder aus sonstigen Ursachen der allgemeine Vertreter des zur Ausübung der Gerichtsbarkeit ermächtigten Beamten an der Vertretung be hindert ist, ist ein außerordentlicher Vertreter zu bestellen. Die Bestellung erfolgt durch den Kaiserlichen Kommissar oder dessen ordentlichen Vertreter. 4. Die zur Ausübung der Gerichtsbarkeit ermächtigten Personen haben vor Antritt ihres Amtes, sofern sie nicht bereits als Kaiserliche Beamte den Diensteid geleistet haben, einen Eid dahin zu leisten:

„Ich zc. schwöre bei Gott dem Allmächtigen und Allwissenden, die Pflichten eines Kaiserlichen Richters in dem südwestafrikanischen Schußgebiet getreulich zu erfüllen. So wahr mir Gott helfe." Die Eidesleistung kann auch mittelst Unterschreibens der Eides formel erfolgen. Von der Vereidigung ist dem Reichskanzler Anzeige zu machen.

5. Die zur Ausübung der Gerichtsbarkeit erster Instanz ermächtigten Beamten führen die Dienstaufsicht über die bei der betreffenden Gerichtsbehörde angestellten Beamten und regeln die Vertretung derselben im Falle der Behinderung.

Die Dienstaufsicht über die zur Ausübung der Gerichtsbarkeit erster Instanz ermächtigten Beamten wird durch den Kaiserlichen Kommissar geübt. Die von den Ersteren erlassenen allgemeinen Anordnungen, insbesondere über Zustellungen und Zwangsvollstreckungen, sind dem Kaiserlichen Kommissar mitzutheilen. Derselbe kann die getroffenen Bestimmungen aufheben oder abändern, sowie selbst allgemeine Anordnungen des bezeichneten Inhalts auch für die Gerichtsbehörden erster Instanz erlasssen.

6. Die zur Ausübung der Gerichtsbarkeit ermächtigten Beamten sind befugt, geeigneten Personen die Erledigung einzelner zu ihrer Zuständigkeit gehörigen Geschäfte dauernd oder in bestimmten Fällen zu übertragen. Dicie Befugniß erstreckt sich nicht auf die Urtheilsfällung, die Entscheidung über Durchsuchungen und Beschlagnahme und Verhaftungen, sowie auf die Ernennung und Beeidigung der Beisißer und die Zulassung zur Rechtsanwalt schaft. Im Falle einer dauernden Nebertragung ist die beauftragte Person mittelst Handschlags an Eidesstatt zur getreulichen Erfüllung ihrer bliegen

heiten zu verpflichten. Die dauernde Uebertragung hindert den Beamten nicht, jederzeit Geschäfte der betreffenden Art selbst wahrzunehmen.

Der Beauftragte handelt im Namen der Gerichtsbehörde; derselbe ist in den betreffenden Schriftstücken als an Stelle des Beamten handelnd zu bezeichnen.

7. Die zur Ausübung der Gerichtsbarkeit ermächtigten Beamten sind befugt, die Abhaltung von Gerichtstagen außerhalb des Amtssizes der Gerichtsbehörde anzuordnen.

8. Der Kaiserliche Kommissar ist befugt, polizeiliche Vorschriften für das gesammte Schußgebiet oder für Theile desselben zu erlassen und gegen die Nichtbefolgung derselben Gefängniß bis zu drei Monaten, Haft, Geldstrafe und Einziehung einzelner Gegenstände anzudrohen.

§ 3. Beisizer.

(Zu den §§ 7 bis 9 des Gesezes über die Konsulargerichtsbarkeit.)

1. Die Worte, welche der Vorsißende bei der Beeidigung der Beisißer an die zu Beeidigenden zu richten hat, lauten:

Sie schwören bei Gott dem Allmächtigen und Allwissenden, die Pflichten eines Beisizers des Kaiserlichen Gerichts des südwestafrikanischen Schußgebietes zu . (des Kaiserlichen Ober

gerichts des südwestafrikanischen Schutzgebietes) getreulich zu erfüllen und Ihre Stimme nach bestem Wissen und Gewissen abzugeben." 2. Die auf Ernennung und Beeidigung der Beisißer und deren Stellvertreter sich beziehenden Verhandlungen und Protokolle sind zu besonderen Akten zu nehmen.

3. Die zur Ausübung der Gerichtsbarkeit ermächtigten Beamten haben Namen, Stand und Staatsangehörigkeit der von ihnen ernannten Beisißer und Stellvertreter dem Reichskanzler anzuzeigen.

§ 4. Gerichtsschreiber.

(Zu § 10 des Gesetzes über die Konjulargerichtsbarkeit.)

1. Als Gerichtsschreiber ist eine hierzu geeignete Person, welche am Amtssiße des zur Ausübung der Gerichtsbarkeit ermächtigten Beamten wohnen muß, von dem Lezteren zu bestellen. Bei Verhinderung des solchergestalt bestellten Gerichtsschreibers kann der Beamte die Verrichtungen desselben einer anderen geeigneten Person übertragen.

2. Der Gerichtsschreiber hat vor seinem Amtsantritt, die mit den Verrichtungen eines solchen im einzelnen Falle betraute Person vor Ausübung derselben, einen Eid dahin zu leisten:

Ich schwöre bei Gott, dem Allmächtigen und Allwissenden, die Pflichten eines Gerichtsschreibers getreulich zu erfüllen. So wahr mir Gott helfe."

3. Wird die Erledigung einzelner zur Zuständigkeit des zur Ausübung der Gerichtsbarkeit ermächtigten Beamten gehörenden Geschäfte einer anderen Berson übertragen (§ 2 Nr. 6), so kann dieser auch die Bestellung des bei

Riebow, Die Kolonial-Geseßgebung.

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