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vom Reichskanzler zur Ausübung der Gerichtsbarkeit zweiter Instanz er mächtigten Beamten als Vorsißenden und vier Beisitzern besteht.

Auf die Beisißer und den Gerichtsschreiber finden die Vorschriften in § 6 Abjazz 2, §§ 7, 8 und 10 des Gesezes über die Konsulargerichtsbarkeit entsprechende Anwendung.

$ 6.

Die Zustellungen werden ausschließlich durch die zur Ausübung der Gerichtsbarkeit ermächtigten Beamten veranlaßt.

Dieselben haben dafür zu sorgen, daß die innerhalb des Bezirkes, in welchem die Gerichtsbehörde ihren Siz hat, zu bewirkenden Zustellungen mit der nach den vorhandenen Mitteln möglichen Sicherheit erfolgen. Sie erlassen unter der Aufsicht des Gouverneurs die hierfür erforderlichen Anordnungen und überwachen deren Befolgung.

Zustellungen in dem Verfahren erster Instanz außerhalb des Bezirkes, in welchem die Gerichtsbehörde ihren Sitz hat, erfolgen im Wege des Ersuchens.

$ 7.

In bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten sind in dem Verfahren vor den Gerichtsbehörden in dem Schutzgebiete alle Entscheidungen, einschließlich der auf Grund einer mündlichen Verhandlung ergehenden, von Amtswegen zuzustellen. Diese Vorschrift findet auch auf die Zustellung der Zahlungs- und Vollstreckungsbefehle an den Schuldner, sowie der Pfändungs- und Ueberweisungsbeschlüsse an den Schuldner und den Trittschuldner Anwendung.

Für Beschlüsse, welche lediglich die Prozeß- oder Sachleitung einschließlich der Bestimmung oder Aenderung von Terminen betreffen, genügt die Verkündung. Die Beglaubigung der zuzustellenden Schriftstücke kann in allen Fällen durch den Gerichtsschreiber erfolgen.

Soll durch eine Zustellung eine Frist gewahrt oder der Lauf der Verjährung oder einer Frist unterbrochen werden, so treten die Wirkungen der Zustellung bereits mit der Einreichung des zuzustellenden Schriftstückes bei der Gerichtsbehörde ein, sofern die Zustellung demnächst bewirkt wird.

Bei Bewilligung der öffentlichen Zustellung einer Ladung kann die Gerichtsbehörde anordnen, daß eine Einrückung in öffentliche Blätter nicht erforderlich sei.

Wohnt eine Partei außerhalb des Bezirkes, in welchem die Gerichtsbehörde ihren Siz hat, so kann, falls sie nicht einen daselbst wohnhaften Prozeßbevollmächtigten bestellt hat, angeordnet werden, daß sie eine daselbst wohnhafte Person zum Empfange der für sie bestimmten Schriftstücke bevoll mächtige. Diese Anordnung kann ohne mündliche Verhandlung erfolgen. Der Zustellungsbevollmächtigte ist bei der nächsten gerichtlichen Verhandlung oder, wenn die Partei vorher dem Gegner einen Schriftsaß zustellen läßt, in diesem zu benennen. Geschieht dies nicht, so können alle späteren Zustellungen bis zur nachträglichen Benennung durch Anheftung an die Gerichtstafel be wirkt werden.

Der Nachweis über die erfolgte Zustellung ist zu den Gerichtsakten zu bringen.

§ 8.

In dem Verfahren vor der Gerichtsbehörde zweiter Instanz nehmen in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, in Konkurssachen und in den zur streitigen

Gerichtsbarkeit nicht gehörenden Angelegenheiten die Beisißer nur an der mündlichen Verhandlung, sowie an den im Laufe oder auf Grund derselben ergehenden Entscheidungen theil. Jedoch erfolgt die Entscheidung über das Rechtsmittel der Beschwerde unter Mitwirkung der Beisißer, wenn die angefochtene Entscheidung unter Mitwirkung von Beisißern ergangen ist.

In dem Verfahren zweiter Instanz ist eine Vertretung durch Rechtsanwälte nicht geboten und findet der § 269 der Civilprozeßordnung keine Anwendung.

Die Vorschriften in §§ 464 und 468 der Civilprozeßordnung gelten auch für das Verfahren zweiter Instanz.

$ 9.

Die Zwangsvollstreckung im Schußgebiete erfolgt ausschließlich durch die zur Ausübung der Gerichtsbarkeit erster Instanz ermächtigten Beamten, welche unter Oberaufsicht des Gouverneurs die hierfür erforderlichen Anordnungen erlassen. Der Beibringung einer vollstreckbaren Ausfertigung bedarf es nicht, soweit dieselbe von dem Gerichtsschreiber der Gerichtsbehörde, durch welche die Zwangsvollstreckung zu erfolgen hat, zu ertheilen sein würde.

Die zur Ausübung der Gerichtsbarkeit erster Instanz ermächtigten Beamten können nach Anordnung der Zwangsvollstreckung mit der Ausführung andere Personen beauftragen, welche nach ihren Anweisungen zu verfahren haben.

§ 10.

Vollstreckbare Ausfertigungen dürfen von dem Gerichtsschreiber nur auf Anordnung des zur Ausübung der Gerichtsbarkeit ermächtigten Beamten ertheilt werden.

§ 11.

In Strafsachen findet die Hauptverhandlung ohne die Zuziehung von Beisißern statt, wenn der Beschluß über die Eröffnung des Hauptverfahrens eine Handlung zum Gegenstande hat, welche zur Zuständigkeit der Schöffen gerichte oder zu den in den $$ 74, 75 des Gerichtsverfassungsgesetzes bezeichneten Vergehen gehört.

$12.

Der Angeklagte kann auf seinen Antrag oder von Amtswegen wegen großer Entfernung seines Aufenthaltsortes oder wegen sonstiger Hindernisse von der Verpflichtung zum Erscheinen in der Hauptverhandlung entbunden werden, wenn nach dem Ermessen der Gerichtsbehörde voraussichtlich keine andere Strafe als Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder Geldstrafe oder Einziehung allein oder in Verbindung miteinander zu erwarten steht.

$ 13.

Die Gerichtsbarkeit in den zur Zuständigkeit der Schwurgerichte ge hörenden Sachen wird für das Schutzgebiet den vom Reichskanzler zu be zeichnenden Gerichtsbehörden erster Instanz übertragen.

Für diese Sachen finden die Vorschriften Anwendung, welche für die im 28 des Gesetzes über die Konjulargerichtsbarkeit bezeichneten Strafsachen gelten.

§ 14.

In Strafsachen findet vor der Gerichtsbehörde zweiter Instanz in Bezug auf die Zuziehung der Beisißer die Vorschrift des § 30 des Gerichtsver

fassungsgesetzes mit der oben im § 7 Absah 1*) bezeichneten Maßgabe Anwendung. Den Umfang der Beweisaufnahme bestimmt das Gericht, ohne hierbei durch Anträge, Verzichte oder frühere Beschlüsse gebunden zu sein. Die Mitwirkung einer Staatsanwaltschaft findet nicht statt.

Der nicht auf freiem Fuße befindliche Angeklagte hat Anspruch auf Anwesenheit in der Hauptverhandlung, wenn er sich am Orte des Berufungsgerichts befindet.

In den im § 13 Absatz 1 bezeichneten Sachen ist die Vertheidigung auch in der Berufungsinstanz nothwendig. In der Hauptverhandlung ist die Anwesenheit des Vertheidigers erforderlich; der § 145 der Strafprozeßordnung findet Anwendung.

Im Uebrigen verbleibt es bei den Vorschriften in § 40 des Gesetzes über die Konsulargerichtsbarkeit.

§ 15.

Die Todesstrafe ist durch Erschießen oder Erhängen zu vollstrecken. Der Gouverneur bestimmt, welche der beiden Vollstreckungsarten in dem einzelnen Falle stattzufinden hat.

$ 16.

In dem Verfahren vor den Gerichtsbehörden im Schutzgebiete finden das Gerichtskostengesetz und die Gebührenordnungen für Gerichtsvollzieher, für Zeugen und Sachverständige, sowie für Rechtsanwälte keine Anwendung. Die Vorschriften, welche an Stelle der bezeichneten Geseze zu treten haben, werden von dem Reichskanzler erlassen.

$ 17.

Die nach § 2 des Geseßes, betreffend die Rechtsverhältnisse der deutschen. Schutzgebiete, für die Rechtsverhältnisse an unbeweglichen Sachen einschließlich des Bergwerkseigenthums maßgebenden Vorschriften finden keine Anwendung.

Der Reichskanzler und mit dessen Genehmigung der Gouverneur sind bis auf Weiteres zur Regelung dieser Verhältnisse befugt, die erforderlichen Bestimmungen zu treffen und insbesondere die Voraussetzungen für den Erwerb und die dingliche Belastung von Grundstücken durch Rechtsgeschäfte mit den Eingeborenen festzustellen.

§ 18.

Das Gesez, betreffend die Eheschließung und die Beurkundung des Personenstandes von Reichsangehörigen im Auslande, vom 4. Mai 1870 (Bundes-Gesezbl. S. 599) findet in dem Schußgebiete vom 1. Januar 1891 ab auf Personen, welche nicht Eingeborene (§ 3) sind, Anwendung **).

$ 19.

Bis zur Uebernahme der Verwaltung durch den Gouverneur werden die dem Leßteren auf Grund dieser Verordnung zustehenden Befugnisse von dem Reichskommissar wahrgenommen.

Hier liegt ein Redaktionsversehen vor. Es müßte heißen § 8 Absay 1.
Vergl. Nr. 15 § 4.

$ 20.

Diese Verordnung tritt mit dem Tage ihrer Verkündigung in Kraft. Urkundlich unter Unserer Höchsteigenhändigen Unterschrift und beigedrucktem Kaiserlichen Insiegel.

Gegeben Berlin, den 1. Januar 1891.

(L. S.)

Wilhelm.

v. Caprivi.

136. Dienstanweisung, betreffend die Ausübung der Gerichtsbarkeit in Deutsch-Ostafrika.

Vom 12. Januar 1891.

Zur Ausführung der Vorschriften der Kaiserlichen Verordnung vom 1. Januar 1891 (Reichs-Gesezbl. S. 1), betreffend die Rechtsverhältnisse in Deutsch-Ostafrika, wird auf Grund des § 11 des Gesetzes, betreffend die Rechtsverhältnisse der deutschen Schußgebiete (Reichs-Gesezbl. 1888 €. 75), Folgendes bestimmt:

$ 1.

Personen, welche der Gerichtsbarkeit unterliegen.

(Zu den §§ 2 und 3 der Verordnung.)

Die Gerichtsbarkeit in dem Schutzgebiete erstreckt sich nach zwei Rid tungen auf einen weiteren Kreis von Personen als die Konsulargerichtsbarkeit. Der Ersteren sind unterworfen :

1. nicht nur Reichsangehörige und Schußgenossen, sondern auch Aus länder; ausgenommen sind nur Eingeborene, soweit sie nicht nach der bisherigen Nebung der Gerichtsbarkeit des Reichskommissars unterstellt waren oder durch die von dem Gouverneur mit Genehmi gung des Reichskanzlers zu treffenden Bestimmungen der Gerichts barkeit unterstellt werden;

2. nicht nur Personen, welche im Schußgebiete wohnen oder sich dort aufhalten, sondern auch solche Personen, hinsichtlich deren, ohne daß sie dort Wohnsiz oder Aufenthalt haben, ein Gerichtsstand nach den zur Geltung kommenden Gesezen begründet ist (z. B. in den Fällen der §§ 24, 29, 31, 32 der Civilprozeßordnung).

$ 2. Gerichtsbehörden.

(3u §§ 5 ff. des Gesezes über die Konsulargerichtsbarkeit; §§ 2, 3 Nr. 9 des Ge seßes, betreffend die Rechtsverhältnisse der deutschen Schußgebiete; §§ 4 und 5 der

Verordnung.)

1. Die Gerichtsbehörden erster Justanz haben in den von ihnen ausgehenden Schriftstücken

a) sofern es sich um Geschäfte handelt, welche unter Zuziehung

der Beisißer erledigt werden, die Bezeichnung als

Kaiserliches Gericht des ostafrikanischen Schutzgebietes

zu.

anzuwenden.

b) sofern es sich um Geschäfte handelt, welche von dem zur Ausübung der Gerichtsbarkeit ermächtigten Beamten ohne Zuziehung von Beisißern erledigt werden, die Bezeichnung als

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2. Die Gerichtsbehörde zweiter Instanz hat in den von ihr ausgehenden Schriftstücken

anzuwenden.

a) in den unter 1a bezeichneten Fällen (§ 8 Absaß 1, § 14 Abja 1 der Verordnung) die Bezeichnung als

„Kaiserliches Obergericht des ostafrikanischen Schutzgebietes", b) in den unter 1b bezeichneten Fällen die Bezeichnung als

„Kaiserlicher Oberrichter des ostafrikanischen Schußgebietes"

3. Zur Ausübung der Gerichtsbarkeit zweiter Instanz ist der Gouverneur ermächtigt, der sich hierbei durch den Oberrichter vertreten lassen kann.*) Die Gerichtsbarkeit erster Instanz wird durch die vom Reichskanzler ermächtigten Personen ausgeübt.

Für den Fall der Behinderung eines zur Ausübung der Gerichtsbarkeit ermächtigten Beamten gilt der zur allgemeinen Vertretung desselben durch Anordnung des Reichskanzlers berufene Beamte auch als zur Ausübung der Gerichtsbarkeit ermächtigt. Es ist jedoch zu beachten, daß in der höheren Instanz tein Richter mitwirken darf, welcher in der unteren Instanz bei Erlassung der angefochtenen Entscheidung betheiligt war (Civilprozeßordnung § 41 Nr. 6, Strafprozeßordnung § 23 Absatz 1). Für den Fall, daß aus diesem Grunde oder aus sonstigen Ursachen der allgemeine Vertreter des zur Ausübung der Gerichtsbarkeit ermächtigten Beamten an der Vertretung behindert ist, ist ein außerordentlicher Vertreter zu bestellen. Die Bestellung erfolgt durch den Gouverneur oder dessen ordentlichen Vertreter.

4. Die zur Ausübung der Gerichtsbarkeit ermächtigten Personen haben vor Antritt ihres Amtes, sofern sie nicht bereits als Kaiserliche Beamte den Diensteid geleistet haben, einen Eid dahin zu leisten:

Ich 2c. schwöre bei Gott, dem Allmächtigen und Allwissenden, die Pflichten eines Kaiserlichen Richters in dem ostafrikanischen Schußgebiete getreulich zu erfüllen. So wahr mir Gott helfe." Die Eidesleistung kann auch mittelst Unterschreibens der Eidesformel erfolgen. Von der Vereidigung ist dem Reichskanzler Anzeige zu machen.

5. Die zur Ausübung der Gerichtsbarkeit erster Instanz ermächtigten Beamten führen die Dienstaufsicht über die bei der betreffenden Gerichtsbehörde angestellten Beamten und regeln die Vertretung derselben im Falle der Behinderung.

Die Dienstaufsicht über die zur Ausübung der Gerichtsbarkeit erster Instanz ermächtigten Beamten wird durch den Gouverneur geübt. Die von den Ersteren erlassenen allgemeinen Anordnungen, insbesondere über Zustellungen und Zwangsvollstreckungen, sind dem Gouverneur mitzutheilen; derselbe kann die getroffenen Bestimmungen aufheben oder abändern, sowie

*) Nachtrag vom 25. Oktober 1891. Riebow, Die Kolonial-Gescßgebung.

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