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Bei Ueberschreitung der Grenzen der Berechtigung tritt Strafmilderung ein; Straflosigkeit dann, wenn die Ueberschreitung die Folge einer Gemütsverwirrung (turbamento d'animo) war, welche durch die Furcht vor dem Angriff oder der Gefahr hervorgerufen wurde.

Diese Bestimmungen können nur zum kleinern Teile als gelungen bezeichnet werden.

Zu 1. Die Hervorhebung gesetzlicher Anordnung und des dienstlichen Befehls kann leicht zu der Annahme führen, als seien andre gleichwertige Umstände ausgeschlossen. Soll etwa die Vornahme einer Operation durch den Arzt, die Ausübung eines (gesetzlich vielleicht gar nicht geregelten) Züchtigungsrechtes als rechtswidrige und strafbare Körperverletzung betrachtet werden?

Zu 2. Die Begriffsbestimmung der Notwehr (difesa legittima) ergiebt, zusammengehalten mit der ausdrücklichen Erklärung der Begr. I 171, dass nur zur Verteidigung der Person (des Lebens, der körperlichen Unversehrtheit und der Geschlechtsehre), nicht aber zum Schutze andrer Rechtsgüter, insbesondere des Vermögens, Notwehr gestattet sein soll.

Art. 357, welchen die Begr. heranzieht, erweitert diese Bestimmung nur unbedeutend. Ich darf also dem Dieb gegenüber, um mein Eigentum zu verteidigen, ja keine Körperverletzung begehen, ich muss mich hüten, den Störer meines Hausfriedens die Treppe herabzuwerfen; ich darf, wenn politische Gegner mich hindern wollen die Wahlstube zu betreten, von meinen Ellenbogen keinen Gebrauch machen; wenn ich ein Schandgemälde, in welchem meine Frau in gemeinster Weise beschimpft wird, zerreisse, so begehe ich strafbare Sach

beschädigung usw. usw. Vergebens suchen wir nach einer Rechtfertigung dieser Beschränkung. Denn die Worte sarebbe pericoloso" können doch unmöglich als eine solche gelten. Dass die Ausdehnung der Zulässigkeit der Notwehr nicht gefährlich ist, beweist die fast einstimmige moderne Gesetzgebung. Gerade hier hätte das deutsche Reichsstrafgesetzbuch, dessen § 53 eine der wenigen vollkommen gut gefassten Bestimmungen dieser flüchtigen gesetzgeberischen Arbeit ist, als Muster dienen können.

Zu 3. Die Fassung des Notstandsbegriffes (stato di necessità) weist einige anerkennenswerte Vorzüge gegenüber dem deutschen und der Mehrzahl der übrigen Strafgesetzbücher auf. So die Nichtunterscheidung von Nötigung und Notstand, sowie die uneingeschränkte Zulassung der Nothülfe. Bedenklich ist dagegen die Forderung, dass der Notstand ein unverschuldeter sei, bedenklich besonders aber die auch hier wiederholte Beschränkung auf Gefahr für die Person. Freilich ist hier die Ausdehnung bedenklicher als bei der Notwehr. Aber auch hier hätte es nicht an beachtenswerten Vorbildern gefehlt. Ich erinnere nur an die im wesentichen mustergültigen Bestimmungen in Art. 42 des russischen Entwurfs.

Ganz unverständlich ist mir aber die Vorschrift, dass Ueberschreitung der Grenzen der Berechtigung einen Strafmilderungsgrund abgeben soll. Als unbestreitbar sollte es doch erscheinen, dass wer vorsätzlich mit Ueberschreitung der Grenzen des Notwehrrechts einen Menschen tötet, dafür voll und ganz verantwortlich ist. Wenn ich, um einen Schlag abzuwehren, meinen schwächlichen Gegner, welchen ich mit leichter

Mühe von mir abzuhalten imstande gewesen wäre, niedersteche, soll dann wirklich die Strafe bis auf die Hälfte herabgesetzt werden können?

IV. Einfluss des Alters und der Taubstummheit. Die volle Strafmündigkeit wird im Entwurf mit achtzehn (statt wie bisher mit einundzwanzig) Jahren angenommen. Gegen den noch nicht neunjährigen Thäter ist Verfolgung und Bestrafung ausgeschlossen (Art. 52). Im übrigen werden zwei Altersstufen unterschieden.

1. Hat der Thäter zur Zeit der That das neunte, aber noch nicht das vierzehnte Lebensjahr zurückgelegt, so ist Bestrafung ausgeschlossen, wenn sich nicht ergiebt, dass er mit Unterscheidungsvermögen gehandelt hat (ove non resulti che abbia agito con discernimento). Im entgegengesetzten Falle findet Strafmilderung statt (Art. 53). Ich hätte hier nur die Beibehaltung des veralteteten Begriffs discernimento zu rügen. Warum hier nur die eine Seite der Zurechnungsfähigkeit, die Entwicklung des Intellektes, hervorheben? Handelt es sich nicht auch hier um das ganze geistige Leben, um die Fähigkeit des Wollens ebenso gut wie um die des Vorstellens? Wäre es nicht klarer und richtiger, schlechtweg von der Zurechnungsfähigkeit zu sprechen, statt von dem „Unterscheidungsvermögen,“ welches ja doch für sich allein nicht genügt?

2. Hat der Thäter zur Zeit der That das vierzehnte aber noch nicht das achtzehnte Lebensjahr zurückgelegt, so tritt in allen Fällen nur Strafmilderung ein (Art. 54).

Das Greisen alter ist (abweichend von Art. 50 des russischen Entwurfs) nicht besonders hervorgehoben. Dagegen ist die Taubstummheit in eingehender und Abhandlungen. I. Bd. 3 (3)

durchaus mustergültiger Weise behandelt (Art. 55). An diese Bestimmungen wird man bei einer Umarbeitung des deutschen Reichsstrafgesetzbuchs anzuknüpfen haben.

V. Weniger erfreulich ist es, dass der Entwurf sich von den echt französischen „allgemeinen mildernden Umständen" (attenuanti generiche) nicht freimachen konnte (Art. 56). Dass man bei Weglassung derselben dem Richter einen grössern Spielraum für die Strafzumessung lassen müsste, ist richtig, beweist aber nichts; denn auch die Annahme oder Nichtannahme der mildernden Umstände" steht völlig im Ermessen des Richters. In Wahrheit schliesst die gesetzliche Zulassung einer solchen Annahme gerade hier jene Erweiterung der Strafrahmen in sich, welche der Entwurf vermieden wissen will.

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Titel V. Der Versuch.

I. Getreu der bisherigen italienischen Ueberlieferung, welche gerade für die Versuchslehre die grösste Bedeutung gewonnen hat, unterscheidet der Entwurf zwischen unvollendeten und fehlgeschlagenen Verbrechen (delitto tentato und delitto mancato). Ich begrüsse die Beibehaltung dieser Unterscheidung mit um so grösserer Freude, als ich von jeher die Ansicht vertreten habe, dass die Ausserachtlassung derselben die Grundursache für alle die Streitfragen und Unsicherheiten ist, welche in der deutschen Wissenschaft und Rechtsprechung zu Tage zu treten pflegen.

II. In der Begriffsbestimmung des unvollendeten Verbrechens hat der italienische Entwurf (Art. 58) sich freigemacht von der unfruchtbaren französischen

Fassung, von dem nichtssagenden „commencement d'éxécution", welches noch Art. 44 des russischen Entwurfs beibehalten hat.

Nach Art. 58 liegt unvollendetes Verbrechen vor, wenn jemand in der Absicht eine Vergehung zu verüben, mit äusseren und tauglichen Handlungen deren Ausführung unternommen, aber infolge zufälliger und von seinem Willen unabhängiger Umstände nicht alles gethan hat, was zur Vollendung notwendig ist (chiunque, nel fine di commettere un delitto, ne ha intrapresa, con atti esteriori ed idonei, l' esecuzione, ma per circostanze fortuite ed indipendenti dalla propria volontà non ha compiuto tutto ciò che è necessario alla sua consumazione). Die Hervorhebung der Tauglichkeit der Mittel entspricht der bisherigen italienischen Rechtsüberzeugung. Aber auch diejenigen, welche bedingt oder unbedingt die Ansicht des deutschen Reichsgerichtes von der Strafbarkeit des untauglichen Versuches teilen, werden sich mit dieser Fassung im Hinblick auf die besondre Hervorhebung des fehlgeschlagenen Verbrechens befreunden können. Für richtiger hätte ich es freilich gehalten, nicht die positive Tauglichkeit der Versuchshandlung in den Begriff des Versuches aufzunehmen, sondern negativ die Untauglichkeit als einen die Strafbarkeit ausschliessenden Umstand zu bezeichnen. Der Unterschied würde gerade für die häufige Gruppe der zweifelhaften Fälle von praktischer Bedeutung werden.

Eine sehr erfreuliche Folge der Zweiteilung der strafbaren Handlungen ist es, dass (vgl. auch Art. 61) der Versuch bei allen Vergehungen strafbar sein soll.

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