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Bundesgesetz

betreffend

die Ausdehnung der Haftpflicht und die Ergänzung des Bundesgesetzes vom 25. Juni 1881.

(Vom 26. April 1887.)

Art. 1. Die im Bundesgesetz vom 25. Juni 1881 für den Betrieb der Fabriken (Art. 1 und 2) und der in Art. 3 desselben bezeichneten Industrien festgesette Haftpflicht findet nach Maßgabe der übrigen Bestimmungen jenes Gesezes ihre Anwendung auch auf:

1) alle Gewerbe, in welchen explodirbare Stoffe gewerbsmäßig erzeugt oder verwendet werden;

2) die nachstehend verzeichneten Gewerbe, Unternehmungen und Arbeiten, soweit sie nicht schon unter vorstehende Ziffer 1 fallen, wenn die betreffenden Arbeitgeber während der Betriebszeit durchschnittlich mehr als 5 Arbeiter beschäftigen :

a. das Baugewerbe; inbegriffen sind hiebei alle mit dem Baugewerbe in Zusammenhang stehenden Arbeiten und Verrichtungen, gleichviel ob dieselben in Werkstätten, auf Werkpläßen, am Bauwerke selbst, oder beim bezüglichen Transport vorge= nommen werden;

b. die Fuhrhalterei, den Schiffsverkehr und die Flößerei; auf die Dampfschifffahrt findet gegenwärtiges Gesetz mit Vorbehalt von Artikel 4, 6 und 7 desselben feine Anwendung;

c. die Aufstellung und Reparatur von Telephon- und Telegraphenleitungen, die Aufstellung und den Abbruch von Maschinen und die Ausführung von Installationen technischer Natur;

d. den Eisenbahn-, Tunnel-, Straßen-, Brücken-, Wasserund Brunnenbau, die Erstellung von Leitungen, sowie die Ausbeutung von Bergwerken, Stein, brüchen und Gruben.

Art. 2. Haftbar ist, in den Fällen von Artikel 1, Ziffer 1 und 2, der Inhaber des betreffenden Gewerbes, beziehungsweise bei Ziffer 2, litt. c und d, der Unternehmer der betreffenden Arbeiten, auch dann, wenn er die Arbeiten einem Dritten zur Ausführung übertragen hat.

Werden einzelne der in Artikel 1 bezeichneten Arbeiten in Regie ausgeführt, so wird die Haftpflicht von der betreffenden Staats-, Bezirks-, Gemeinde- oder Korporationsverwaltung getragen, immerhin unter Voraussetzung, daß für diese Arbeiten gleichzeitig mehr als 5 Arbeiter verwendet werden.

Für die beim Eisenbahnbau vorkommenden Haftpflichtfälle bleibt, bezüglich der Haftbarkeit der konzessionirten Unternehmung und des Umfangs des zu leistenden Schadenersages, Artikel 1 des Gesezes vom 1. Juli 1875 vor= behalten.

Art. 3. Dem Bundesgeseß vom 25. Juni 1881 werden auch die mittelbar mit dem Fabrikbetriebe in Zusammen

hang stehenden Dienstverrichtungen unterstellt, auch wenn dieselben nicht in den geschlossenen Räumen der Fabrik vorgenommen werden.

Art. 4. Dem vorerwähnten Bundesgeseße werden im Weitern unterstellt die in Artikel 2 des Bundesgesetzes vom 1. Juli 1875 und in Artikel 2 desjenigen vom 25. Juni 1881 unter dem Ausdruck Betrieb" nicht inbegriffenen, aber mit leßterem in einem Zusammenhang stehenden Hülfsarbeiten.

Art. 5. Die Artikel 2, legter Sat, 4 und 19. des Bundesgesetzes vom 23. März 1877 sind auf die in Artikel 2 des gegenwärtigen Gesezes erwähnten Inhaber von Gewerben, beziehungsweise Unternehmer von Arbeiten gleichfalls anwendbar.

Art. 6. Die Kantone haben auf dem Gesezgebungs- oder Verordnungswege dafür zu sorgen, daß:

1) den bedürftigen Personen, welche nach Maßgabe des gegenwärtigen Gefeßes oder derjenigen vom 1. Juli 1875 und 25. Juni 1881 Klage erheben, auf ihr Verlangen, wenn die Klage nach vorläufiger Prüfung des Falles sich nicht zum Voraus als unbegründe t herausstellt, die Wohlthat des unentgeltlichen Rechtsbeistandes gewährt und Kautionen, Expertenkosten, Gerichtsgebühren und Stempeltaren erlassen werden; 2) Streitigkeiten dieser Art durch einen möglichst raschen Prozeßweg erledigt werden können.

Art. 7. In Haftpflichtfällen, welche zum Entscheid des Bundesgerichtes gelangen, ist der Kläger, wenn er dem Gerichte als bedürftig erscheint und die Klage nach vorläufiger Prüfung des Falles sich nicht zum Voraus als unbegründet herausstellt, von Erlegung der Gerichtsgebühren und jeder in Artikel 26 des Bundesgeseßes vom 13. Juli 1855 vorgesehenen Sicherheitsleistung zu entbinden. In solchen Fällen sind zugleich die gemäß Artikel 23 desselben

Gesezes dem Kläger obliegenden Kostenvorschüsse, sowie allfällige Zeugen- und Kanzleigebühren jeder Art aus der Gerichtskasse zu bestreiten.

Art. 8. Die Inhaber von Gewerben, beziehungsweise die Unternehmer von Arbeiten, auf welche sich das gegenwärtige und das Gefeß vom 25. Juni 1881 bezieht, haben ein Verzeichniß der bei ihrem Geschäftsbetrieb vorgekommenen erheblichen Unfälle nach einem vom Bundesrathe aufzustellenden Formulare zu führen, aus welchem außer dem Tage und dem Ausgange des Unfalles zu entnehmen ist:

1) wann die vorgeschriebene Anzeige bei der zuständigen Behörde gemacht,

2) welche Entschädigungen nach Maßgabe von Artikel 6 des Gesezes vom 25. Juni 1881 ausgerichtet worden, und

3) aus welcher Quelle diese geflossen sind.

Diese Angaben sind spätestens drei Monate vor Ablauf der Verjährungsfrist (Art. 12 und 13 des Bundesgeseßes vom 25. Juni 1881) der kantonalen Behörde einzusenden und von dieser auch dem Fabrikinspektor des betreffenden Kreises mitzutheilen.

Zuwiderhandlungen gegen die Bestimmungen dieses Artikels sind mit einer Buße von 5-100 Fr. und im Wiederholungsfalle bis 200 Fr. zu belegen, welche nach Maßgabe der kantonalen Gefeße ausgesprochen wird und dem betreffenden Kanton zufällt.

Der Betriebsunternehmer ist im Falle der Unterlassung der Mittheilung zur nachträglichen Anzeige anzuhalten. Bei der verspäteten Anzeige läuft die Verjährungsfrist erst drei Monate nach Eingang der Anzeige ab.

Art. 9. Wenn die eidgenössischen oder kantonalen Aufsichtsorgane in Erfahrung bringen, daß der von einem Unfall oder einer Krankheit, wofür Haftpflicht besteht, betroffene Arbeiter oder Angestellte oder dessen Rechtsnachfolger eine

im Sinne des gegenwärtigen oder des Gesezes vom 25. Juni 1881 ihm zustehende billige Entschädigung auf außergerichtlichem Wege nicht erhalten hat, so haben sie sofort. der Kantonsregierung Bericht zu erstatten. Diese wird eine Untersuchung anordnen und vom Resultat den Interessenten Mittheilung machen.

Verträge, denen zufolge einem Geschädigten oder dessen Rechtsnachfolger eine offenbar unzulängliche Entschädigung zukommt oder zugekommen ist, find anfechtbar.

Art. 10. Die Bestimmungen des Artikels 14 des Gesebes vom 25. Juni 1881 find analog auf diejenigen Fälle anwendbar, in welchen Zweifel entstehen, ob eine Unternehmung unter die Vorschriften des gegenwärtigen Gefeßes falle.

Art. 11. Die Kantonsregierungen find beauftragt, für die Vollziehung der gegenwärtigen Vorschriften besorgt zu sein.

Der Bundesrath übt die Kontrole über diese Vollziehung aus.

Art. 12. Der Bundesrath ist beauftragt, auf GrundLage der Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 17. Juni 1874, betreffend die Volksabstimmung über Bundesgeseße und Bundesbeschlüsse, das gegenwärtige Gesez bekannt zu machen und den Zeitpunkt seines Inkrafttretens zu bestimmen.

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