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Nachdem in solcher Weise die Streitmacht des Generals Festetics auf drei Husarenregimenter und wenige Grenzsoldaten zusammengeschmolzen war, zog er sich beobachtend nach Beraun zurück. Nichts hätte die französischen Marschälle Broglie und Belleisle damals zu hindern vermocht, Prag zu verlassen und Maillebois nach Eger entgegen zu ziehen. Aber die Annäherung des Hülfsheeres hatte in dem Ersteren, der das Commando führte, den Gedanken wachgerufen, sich in Prag und in Böhmen zu behaupten. Er beseßte Leitmeriß, um sich die Verbindung mit Sachsen zu eröffnen und zu erhalten, ließ große Mengen von Lebensmitteln nach Prag bringen und wußte die Möglichkeit der Behauptung Böhmens seinem Hofe so anschaulich zu machen, daß dieser, unzufrieden mit der Unentschlossenheit des Marschalls Maillebois, dem Lepteren das Commando über das Entsagheer entzog und Broglie befahl, dasselbe nach Prag zu führen. Die Vertheidigung der Stadt wurde dem Marschall Belleisle übertragen.

Am 27. Oktober verließ Broglie Prag, um sich über Sachsen nach Baiern zu begeben; an demselben Tage trat Lobkowit den Marsch gegen Prag an. Leider scheint nicht so sehr die Meinung, das der Fürst zur Ausführung der ihm übertragenen Unternehmung der geeignetste sei, sondern nach einer hierüber auftauchenden Andeutung mehr der Wunsch, ihn von der Armee zu entfernen, bei welcher er ja in heftigen Zwiespalt mit dem Prinzen Karl von Lothringen gerathen war 82), seine Entsendung gegen Prag veran= laßt zu haben. Am 7. November traf Lobkowitz bei Horzeliß ein, wo sich Festetics mit ihm vereinigte. Seine ganze Streitmacht be= trug etwa siebzehntausend Mann und mochte der des Marschalls Belleisle ungefähr gleichkommen. An eine Wiederaufnahme der Belagerung war somit nicht zu denken; auch hätte das hiezu erforderliche Geschütz erst neuerdings herbeigebracht werden müssen. Wohl aber durfte man hoffen, daß es gelingen werde, die Stadt wieder einzuschließen und Belleisle durch Hunger zur Uebergabe zu zwingen. Zur Erreichung dieses Zweckes zählte man auf das Uebergewicht, welches dem österreichischen Heerführer seine wohlberittene Cavallerie verlieh, während die Franzosen

in Folge der nothwendig gewordenen Abschlachtung eines großen Theiles ihrer Pferde empfindlichen Mangel an denselben litten.

Um die Verbindung des Marschalls Belleisle mit Sachsen abzuschneiden und die Einschließung Prags herbeizuführen, beschloß Lobkowiß fich der Stadt Leitmeriß zu bemächtigen. Am 18. November wurde der Feldmarschall Lieutenant Graf Wallis dorthin abgeschickt; acht Tage später ergab sich Leitmeriß. Die französische Besaßung, fast tausend Mann stark, wurde kriegsgefangen nach Brünn gebracht. Auch Tetschen wurde von den Desterreichern eingenommen, und nun besaßen die Franzosen keinen Posten mehr an der Elbe.

Dennoch kann nicht gesagt werden, daß sich Belleisle in Prag gerade in sehr bedrängter Lage befunden hätte. Die Zwischenzeit war von ihm trefflich benüßt worden, um sich wenigstens noch für mehrere Wochen mit Proviant und Fourage zu versehen. Er hätte sich also ohne allen Zweifel noch längere Zeit in Prag zu halten vermocht. Jest war es ihm aber nicht mehr darum, sondern um die Rettung einer möglichst großen Anzahl seiner Truppen zu thun. Denn ihr Schicksal wäre, da nun auch Broglie den erneuerten Einmarsch in Böhmen für unausführbar zu halten schien, am Ende doch nur das der Kriegsgefangenschaft gewesen. Solches war wenigstens Maria Theresia's fester Wille und sie hatte dem Fürsten von Lobkowiß den bestimmten Auftrag ertheilt, nur auf dieser Grundlage eine Capitulation einzugehen 88).

Belleisle beschäftigte sich daher längst mit der Idee, Prag zu verlassen und sich über Eger den Weg nach Baiern zu bahnen. Keine List wurde verabsäumt, um den Desterreichern diesen Plan zu verbergen und sie an die Absicht Belleisle's glauben zu machen, sich in Prag so lang als möglich zu halten. So wurde ein Bote, welcher einen in diesem Sinne lautenden, aber nicht ernst gemeinten Befehl der französischen Regierung an Belleisle mit sich führte, nach Prag abgesendet, um den österreichischen Truppen in die Hände zu fallen. Es geschah dies wirklich, doch wurde auch das kleine Streifchen Papier entdeckt, auf welchem der französische Gesandte in Dresden den Mar

schall in schwer zu entziffernder Geheimschrift von dem eigentlichen Zwecke unterrichtete, der jener Sendung zu Grunde lag 84). Bis man in Wien die Sache enträthselte, war es zu spät, denn die Sorglosigkeit, mit welcher Lobkowiß seiner Aufgabe oblag, erleichterte dem Marschall die Verwirklichung seines Planes. Durch eine rechtzeitige Verlegung der österreichischen Hauptmacht auf das linke Ufer der Moldau hätte Lobkowit denselben leicht unausführbar gemacht. Er wurde hiezu auch von Seite des Hofkriegsrathes angewiesen, aber ehe er den Befehl vollzog, war Belleisle an die Ausführung seines kühnen Unternehmens geschritten.

In der Nacht vom 16. auf den 17. Dezember verließen die französischen Truppen Prag. Sie bestanden aus eilftausend Mann Fußvolk und dreitausend Reitern, welche mit dem noch aufzutreibenden Reste der Pferde beritten gemacht waren. Dreißig Feldstücke, dreihundert Wagen, sechshundert Tragthiere führten sie mit sich; auf sechs Tage waren sie mit Proviant versehen. Mehr als zwanzig Personen, unter ihnen die Grafen Philipp Kolowrat, Joachim Pachta und Franz Karl Wratislaw, der Domprobst Chrzepicky, der Rector und der Procurator der Jesuiten, vier Apellationsräthe, einige angesehene Bürger, endlich mehrere hervorragende Mitglieder der Judenschaft wurden als Geiseln, große Geldsummen, welche Belleisle als Contribution erhoben, dann viele Kostbarkeiten als gute Beute mit fortgeschleppt. Da von Seite der Desterreicher zu Schlan und Beraun Gegenvorkehrungen getroffen waren, so wurde mitten hindurch, über Jentsch, Tuchlowiß und Jechniß der Marsch angetreten und fortgeseßt, um auf diesem Wege nach Eger zu gelangen. In Prag selbst wurde der Oberstlieutenant Chevert, derselbe welcher vor dreizehn Monaten bei der Einnahme der Stadt eine hervorra= gende Rolle gespielt hatte, mit ungefähr sechstausend Mann zurückgelassen. Doch waren dieß größtentheils kranke oder wenigstens solche Soldaten, von denen man vorausseßte, daß sie den Beschwerden eines so anstrengenden Marsches mitten im tiefsten Winter nicht mehr gewachsen wären.

Erst am 18. Dezember erhielt Lobkowiß, welcher höchst unzweckmäßiger Weise sein Hauptquartier in Lissa, vier Meilen von Prag

entfernt, aufgeschlagen hatte, die erste Nachricht von dem Abzuge des Marschalls Belleisle. Er glaubte nicht, daß sein Gegner beabfichtige, Böhmen völlig zu verlassen, sondern er meinte, dem Marschall sei es nur um die Wiederherstellung der Verbindung mit Eger und der Oberpfalz zu thun. Belleisle werde daher bei Saaz eine Stellung nehmen, um von dort aus mit dem Eintritte der besseren Jahreszeit sich wieder in Böhmen auszubreiten 85).

Richtiger als Lobkowiß erkannte Festetics die wirklichen Absichten des Feindes, und schneller als Jener schritt er an die Ausführung der Maßregeln, welche dem neu eingetretenen Ereignisse entsprachen. Ohne erst den Befehl des Obercommandanten abzuwarten, versammelte er seine Husaren, und am Abende des 18. Dezember, als Belleisle von Tuchlowit aufbrach, griff Festetics die französische Nachhut an.

Von jetzt an wurde Belleisle auf seinem ganzen Marsche von den Husaren umschwärmt. Während er seine Reiterei über Karlsbad nach Eger voraussandte, zog er selbst, um den Desterreichern auszuweihen, auf dem gebirgigen Wege über Steben und Ludiß dorthin. Furchtbar litten seine Truppen unter der eisigen Kälte, welche ein scharfer Nordwind über das Land gebracht hatte. Großentheils zur Nachtzeit, mit Benüßung des Mondlichtes wurden die Märsche fortgesezt. Wie siebzig Jahre später in anderen Gefilden, so wurden jezt in Böhmen die Lagerpläße des französischen Heeres durch ganze Haufen erfrorener Soldaten bezeichnet; die Straße war wie besäet mit Erstarrten und es war ein trauriges, phantastisches Bild, welches die französische Streitmacht darbot, wie sie im bleichen Lichte des Mondes durch die in Schnee und Eis begrabene Waldgegend dahinzog. Oft boten die mit Glatteis bedeckten Bergwege der Fortbringung der Wagen und des Geschüßes unübersteiglich scheinende Hindernisse dar. Aber durch Belleisle's unbeugsamen Willen und durch die allen seinen Soldaten gemeinschaftliche Sorge, nur ja nicht dem Feinde in die Hände zu fallen, wurden sie am Ende doch überwunden. In der Nacht vom 23. auf den 24. Dezember traf Belleisle zu Theusing ein; den Weihnachtsavend brachte er in Einsiedel zu; hier starb Graf

Pachta in Folge der ausgestandenen Leiden. Um Mitternacht brach Belleisle von Einsiedel wieder auf; mit Tagesanbruch erreichte er den höchsten Punkt des Waldgebirges und zu Mittag stand er in Königswart. Am 27. verlegte er seine Truppen in der Nähe von Eger in die Quartiere. Er selbst veranschlagt seinen Verlust auf mehr als fünfzehnhundert Mann; es darf jedoch ohne Uebertreibung angenommen werden, daß nicht viel mehr als die Hälfte der französischen Truppen in Eger diensttauglich eintraf.

Während Belleisle in solcher Weise seinen Plan vollführte, hatte Lobkowiß sich darauf beschränkt, Unterhandlungen mit Chevert wegen der Uebergabe von Prag zu eröffnen. Auch jezt hielt es der Feldmarschall bei der Ungunst der Jahreszeit, der Schwäche seines Armeecorps und dem Mangel an Geschüß nicht für möglich, Chevert zur Ergebung zu zwingen. Am 25. Dezember schloß er die Uebereinkunft ab, durch welche die Besaßung ermächtigt wurde, mit allen Kriegsehren Prag zu verlassen. Keiner der gegenwärtigen Einwohner der Stadt sollte wegen der Haltung, die er während der französischen und baierischen Herrschaft beobachtet, noch wegen der Dienste, die er geleistet haben mochte, irgendwie zur Verantwortung gezogen oder beunruhigt werden. Dagegen wurde die Entlassung der von Belleisle hinweggeführten Geijeln zugesagt. Chevert trat am 2. Jänner 1843 mit ungefähr viertausend Mann den Marsch nach Eger an. Mehr als zweitausend Mann blieben in den Spitälern von Prag.

So kehrte in den letten Tagen des Monats Dezember Prag unter die Herrschaft Maria Theresia's zurück. Unter denselben Bedingungen geschah dieß, unter denen man es vier Monate zuvor und ohne daß man darüber Baiern fast ganz zu verlieren brauchte, ohne Anstrengung hätte erhalten können. Außerdem war die Hauptabsicht der Königin, die in Prag befindlichen französischen Truppen zu Grunde zu richten 86), nur sehr unvollständig erreicht. Aber es war doch wenigstens Böhmen vom Feinde geräumt, und nur in Eger befand sich noch eine französische Besaßung. Der Plaz wurde von Feste= tics eingeschlossen; Lobkowig aber führte sein Corps bis an die Grenze der Oberpfalz, wohin Belleisle und Chevert ihm vorausgezogen waren.

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