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verlor, sondern ihn unablässig und mit jedem sich eben darbietenden Mittel zu verwirklichen strebte. Da nun die geographische Lage jenes Staates und seine Abgränzung gegen Frankreich und die Schweiz durch hohe Gebirgszüge ihn unabänderlich darauf hinwiesen, eine solche Vergrößerung in östlicher Richtung, gegen die Lombardie hin zu suchen, so war es nicht schwer vorauszusehen, daß man in Turin auch jetzt wieder trachten werde, von der Bedrängniß Nußen zu zie hen, in welcher Maria Theresia sich nach dem Tode ihres Vaters be= fand. Ohne neue Gebietserwerbung werde man diese günstige Gelegenheit nicht vorüber gehen lassen. Es schien sich fast nur darum zu handeln, ob diese Vergrößerung dem Könige von Sardinien als Preis seiner Freundschaft für Maria Theresia und der Unterstüßung, welche er ihr angedeihen lassen werde, oder ob sie ihm durch Parteinahme für die Gegner der Königin von Ungarn zu Theil werden solle.

Schon der Wettstreit, welcher sich nun am Turiner Hofe entspann, um ihn nach der einen oder der anderen Seite hinüber zu zie hen, hätte deuselben, wenn es dessen überhaupt noch bedurfte, von der hohen Wichtigkeit überzeugen müssen, welche man darauf legte, ihn zum Freunde zu haben. Bestimmte Anerbietungen wurden zuerst von der spanischen Regierung gemacht, und ihr Gesandter in Turin, der Fürst von Masserano, legte dort den Entwurf eines Bündnisses vor. Mailand, Parma, Piacenza und Mantua sollten erobert, Los= cana hingegen nicht angetastet werden, denn leßteres gedachte man dem Großherzoge Franz zu belassen. Es war ihm ja als Entschädigung für sein an Frankreich gefallenes Erbland zu Theil geworden, und die französische Regierung wollte nicht ihr eigenes Besizrecht auf Lothringen dadurch in Frage stellen lassen, daß sie dasjenige des Großherzogs auf Toscana gefährdete.

Es darf nicht allein den persönlichen Eigenschaften des Königs Karl Emanuel zugeschrieben werden, wenn sein Hof damals der schlaueste in ganz Europa genannt wurde "). Der gleiche oder ein noch größerer Antheil hieran gebührt dem Manne, welcher als erster Minister die Zügel der Regierung in den Händen hielt.

Vincenzo Ferrero Marchese d'Ormea, so hieß jener talentvolle Emporkömmling, welcher sich unter König Victor Amadeus II. durch seine hervorragende Begabung bemerkbar gemacht und aus geringen Lebensverhältnissen zu höchster Stellung im Staate, diejenige des Königs ausgenommen, emporgeschwungen hatte. Anfangs in Finanzsachen verwendet, leistete er dann zu wiederholten Malen bei schwierigen Verhandlungen mit dem römischen Hofe vortreffliche Dienste. Vom König Victor kurze Zeit vor seiner Abdankung zum Minister des Innern ernannt, wurde er von demselben seinem Sohne und Nachfolger als der Mann bezeichnet, auf dessen Rathschläge er das meiste Gewicht legen solle. Schon bei der ersten Unterredung mit Karl Emanuel wußte sich Ormea durch die Schnelligkeit seiner Auffassung, die Gedankenfülle und den Reichthum seiner Sprache, die Sicherheit, mit der er seine Vorschläge darlegte, und die verführerische Art, mit welcher er ihre Ausführung als gefahrlos schilderte, das unbedingteste Vertrauen des jungen Königs zu gewinnen'). Durch Ormea's einnehmendes Wesen wurde Karl Emanuel ebenso angezogen, wie ihn dessen überlegenes Talent mit einer Art von Ehrfurcht durchdrang. So weit ging Ormea's Einfluß auf den König, daß er ihn wider die Mahnungen seines Gewissens zur Verhaftung seines Vaters und zur Gefangennehmung desselben zu bestimmen vermochte.

Zu Anfang des Jahres 1732 trat Ormea dadurch, daß er auch die Leitung der auswärtigen Angelegenheiten übernahm, ganz an die Spiße der Geschäfte. Er führte sie im Geiste seines königlichen Herrn, zum unverkennbaren Vortheile desselben, aber auch vor keinem, wenn gleich verwerflichen Mittel zurückschreckend, dasselbe zu fördern, unbekümmert um das gegebene Wort und nie um den Vorwand ver Legen, den bisherigen Verbündeten zu verlassen, ja ihn in jeder Weise zu bekämpfen, wenn sich ein Gewinn davon vorhersehen ließ.

Dieß war der Mann, von dem es zumeist abhing, ob Sardinien sich in dem bevorstehenden Streite den Bourbonen oder dem Hause Desterreich zuwenden werde. Es für das Lettere zu gewinnen und den Bemühungen Spaniens entgegen zu wirken, sandte Maria

Theresia den Feldmarschall-Lieutenant Grafen Schulenburg als ihren Repräsentanten nach Turin. Der Eröffnungen von Wien aus gewärtig, hatte der sardinische Hof die Anträge der spanischen Regierung zwar angehört und keineswegs von der Hand gewiesen, sie aber auch nicht mit bestimmten Zusicherungen erwiedert.

Am Wiener Hofe schmeichelte man sich eine Zeit lang mit der Hoffnung, daß die gemeinsame Besorgniß der italienischen Staaten vor einer allzu großen Uebermacht des Hauses Bourbon sie vermögen werde, mit vereinigter Kraft einem solchen Uebergewichte entgegen zu wirken. Maria Theresia beschäftigte sich daher mit dem Gedanken, zu diesem Ende einen italienischen Bund unter dem Vorsiße und der Leitung des Papstes zu Stande zu bringen. Außer ihm und ihr selbst sollten Venedig und Sardinien die vornehmsten Mitglieder dieses Bundes sein"). Papst Benedikt XIV. aber wies auf die Beschränktheit seiner Mittel hin, die ihm verbiete, sich in eine Sache einzulassen, welche leicht die Nothwendigkeit bewaffneten Auftretens nach sich ziehen könnte. Denn der Kirchenstaat würde einem feindlichen Angriffe spanischer und neapolitanischer Truppen am meisten ausgesezt sein"). Venedig erklärte auch jest wieder sich neutral verhalten zu wollen. So blieb nur noch Sardinien übrig, und die Unterhandlungen, welche man von Wien aus mit Karl Emanuel eröffnete, waren darauf berechnet, ihn für den immer wahrscheinlicher werdenden Fall, daß ein allgemeiner Bund der italienischen Fürsten gegen die Vergrößerung der Macht des Hauses Bourbon in Italien nicht zu Stande komme, zu diesem Zwecke in eine abgesonderte Allianz zu ziehen.

Maria Theresia urtheilte ganz richtig, wenn sie das Vorhandensein mächtiger Beweggründe für den König von Sardinien voraussette, der Ausbreitung der bourbonischen Macht in Italien zu widerstreben. Aber sie überschäßte doch wieder das Gewicht dieser Gründe, wenn sie dasselbe für so entscheidend hielt, daß sich dadurch allein schon Karl Emanuel zu bewaffnetem Widerstande gegen die Plane der Königin Elisabeth bestimmen lassen werde. In dieser Täuschung befangen, richtete sie an den Turiner Hof die Einladung

zum Abschlusse eines Bündnisses. Sie vermied es, dem Könige hiefür irgend eine Gebietsvergrößerung auf ihre eigenen Kosten anzubieten. Denn wie schon einmal Preußen, so wurde jezt auch Sardinien gegenüber behauptet, Maria Theresia könne doch nicht selbst beginnen mit der Verlegung der pragmatischen Sanktion, deren Aufrechthaltung und Beschüßung sie von den fremden Mächten verlangte.

Theoretisch ganz unbestreitbare politische Grundsäße verlieren oft in der Anwendung allen Werth; ja eine zu starre Befolgung derselben zieht nicht selten die schädlichsten Wirkungen nach sich. Solches war auch mit jenem Principe der Fall, mit welchem Maria Theresia eben wider den König von Preußen Schiffbruch zu leiden im Begriffe stand. Ein eigenthümliches Schauspiel wäre es in der That gewesen, wenn die Königin von Ungarn jenem Monarchen gegenüber, in welchem Viele eine unverkennbare Aehnlichkeit mit Friedrich II. zu entdecken glaubten, in die gleiche Lage gerathen wäre. „Der König von Preußen ist der König von Sardinien in Deutsch„land, und der König von Sardinien der König von Preußen in „Italien" 10), pflegte man schon um jene Zeit am Wiener Hofe zu sagen. Man that wohl daran, in den unglücklichen Erfahrungen, die man an dem Ersteren gemacht hatte, eine ernste Warnung zu erblicken, gegen den Leßteren mit größter Behutsamkeit vorzugehen.

Das allzu große Vertrauen auf die Versprechungen Frankreichs, wovon Maria Theresia und ihre Rathgeber während der ersten Zeit nach der Thronbesteigung der Königin ausgingen, war auch die hauptsächlichste Ursache, weßhalb man sich in Wien keineswegs beeilte, die Freundschaft Karl Emanuels durch irgendwie in die Wagschale fallende Zugeständnisse zu erkaufen. Wenn England den Spaniern den Weg zur See, und Frankreich den zu Lande verschloß, so bedurfte man des Beistandes des Königs von Sardinien nicht, und seiner Streitmacht allein werde man sich schon noch zu erwehren im Stande sein. Von dieser an und für sich richtigen Schlußfolgerung kam jedoch Maria Theresia wieder zurück, als sie mehr und mehr zu der Ueberzeugung gelangte, daß Frankreich es mit ihr nicht redlich meine, und daß auf die Verweigerung der von Spanien dringend verlangten Erlaubniß

zum Durchzuge seiner Truppen durch Südfrankreich keineswegs zu bauen sei. Sie entschloß sich daher, ihre Geneigtheit an den Tag zu legen, dem Könige von Sardinien in dem Falle, wenn ihre Befizungen in Italien wirklich einen feindlichen Angriff zu erdulden hätten, für seinen gewaffneten Beistand ein Entgelt zu Theil werden zu lassen. Er selbst möge sich darüber erklären, worin dasselbe zu bestehen habe ").

In dem Augenblicke jedoch, in welchem man in Wien zu dieser Rundgebung schritt, hatte die Lage Maria Theresia's eine so üble Wendung genommen, daß Karl Emanuel entweder noch ernstere Bedenken trug, eine Sache, mit der es so schlecht bestellt war, zu der seinigen zn machen, oder was wahrscheinlicher ist, daß er darauf rechnete, die Bedrängniß der Königin werde sie zu noch weit ansehnlicheren Zugeständnissen zwingen. In Schlesien hatte König Friedrich völlig die Oberhand gewonnen; daß zwischen Frankreich, Spanien und Baiern eine weit aussehende Unternehmung gegen das Haus Desterreich im Werke sei, wurde von Niemand mehr bezweifelt, und die sogenannten Verbündeten der Königin, England, Holland, Sachsen und Rußland verhielten sich theilnahmlos. Um sich ihrer Feinde in Deutschland zu erwehren, war Maria Theresia genöthigt, ihre italienischen Länder mehr und mehr von Truppen zu entblößen. Damit wuchs aber auch die Gefahr für dieselben, und der Werth, den sie auf den Beistand Sardiniens legen mußte, somit auch die Aussicht des Königs auf beträchtliche Anerbietungen Maria Theresia's. Sie zu solchen zu drängen, darauf waren alle seine Schritte berechnet. Während er gleichzeitig und in ziemlich auffallender Weise seine Verhandlungen mit Spanien fortsette, und deren auch mit dem Repräsentanten Frankreichs pflog, ließ er dem Grafen Schulenburg erklären, nicht dem Turiner Hofe, sondern der Königin von Ungarn komme es zu, den Preis zu bestimmen, welchen sie für den Beistand Sardiniens zu bezahlen gedenke 12).

Troß ihrer hartbedrängten Lage weigerte sich jedoch Maria Theresia standhaft, in dieser wichtigen Angelegenheit zuerst eine Erklärung abzugeben. Um übrigens eine Verständigung mit dem

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