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So war nun Maria Theresia's Absicht wirklich erreicht und der Feldzug mit einer Unternehmung begonnen, wie sie nicht leicht glücklicher hätte erdacht werden können. Die freudige Nachricht des errungenen Sieges kam ihr jedoch nicht in Wien, sondern in Prag zu, wohin Maria Theresia sich inzwischen begeben hatte, um sich als Böhmens Königin dort feierlich krönen zu lassen.

Siebentes Capitel.

Es ist schon früher gesagt worden, daß Maria Theresia bei der Kriegführung in Böhmen während der zweiten Hälfte des verflossenen Jahres zwei Hauptzwecke verfolgte. Des ganzen Landes wollte sie sich wieder bemächtigen, und den Abzug der französischen Streitkräfte beabsichtigte sie zu hintertreiben, um diese Truppen, in welchen man den Kern des feindlichen Heeres erblickte, völlig zu vernichten. Es wäre hiedurch, wie die Königin nicht mit Unrecht meinte, ein entscheidender Streich wider die Kriegstüchtigkeit Frankreichs geführt worden. Um so lebhafter wünschte Maria Theresia dieses Ziel erreicht zu sehen, als es ihr wohlbekannt war, daß man von französischer Seite zuleßt nicht viel Anderes im Auge hatte, ⚫ als die Rückkehr der eigenen Truppen nach ihrer Heimath glücklich bewerkstelligen zu können.

Man kennt den Gang der Ereignisse, durch welchen es dem Marschall Belleisle möglich gemacht wurde, wenn gleich nicht ohne höchst beträchtliche Verluste, so doch mit dem größeren Theile seiner Streitkräfte aus Böhmen zu entkommen. Daß er dieß vermochte, legte man mit Recht den wenig glücklichen Maßregeln des Fürsten von Lobkowiz zur Last. Noch heftiger wurde derselbe getadelt, als er soweit ging, sogar der in Prag zurückgebliebenen, zu längerer Vertheidigung ganz unfähigen Besaßung unter Chevert freien Abzug zuzugestehen.

Wenn die Behauptung wahr ist, daß sich Lobkowiß hiezu durch die Drohung Cheverts bestimmen ließ, Prag in Brand zu stecken und zu zerstören, so mindert dieß sein Verschulden nicht. Denn vorerst

war kaum zu bezweifeln, daß Chevert, welchem kein Ausweg offen stand, sich dennoch zweimal besinnen werde, eine Maßregel zu ergreifen, welche er mit seinem Leben bezahlt haben würde. Außerdem durfte Lobkowit, selbst wenn Chevert zu diesem Aeußersten ge= schritten wäre, der Bürgerschaft von Prag doch die Kraft und den Muth zutrauen, ihre Stadt gegen eine so schwache Besaßung zu zu schüßen oder wenigstens zur Rettung derselben den österreichischen Truppen den Eingang zu bahnen. Mit jener Drohung hatte es also nicht allzu viel auf sich. Am allerwenigsten hätte Lobkowig den ersten Punkt der Capitulation sich abtrozen lassen sollen, demzufolge versprochen wurde, die Bewohner von Prag sollten wegen des Eides, den sie dem Kaiser geschworen, oder wegen der Dienste, welche sie ihm geleistet hätten, keine Rechenschaft abzulegen haben, indem sie hiezu mit Gewalt gezwungen worden seien.

Mit tiefer Erbitterung hatte Maria Theresia seit länger als einem Jahre es mit angesehen, wie gerade derjenige Theil der Bevölkerung Böhmens, welcher von dem Hause Desterreich mit Bevorzugung jeder Art überhäuft worden war, die ihr geschworne Treue verlegt und dem fremden Eindringling gehuldigt hatte. Die meisten Mitglieder des böhmischen Adels waren hiezu freilich nur durch die kleinmüthige Besorgniß vermocht worden, ihrer Besißthümer verlustig zu werden. Sie vergaßen in jenem Augenblicke, daß sie ihre Güter und ihre bevorzugte Stellung, daß sie hohe persönliche Auszeichnung meistens nur der Gnade der Vorfahren jener Königin verdankten, von der sie jest so leichten Sinnes sich abtrünnig be= zeigten. Gar Manche aber gingen noch weiter und trachteten nicht bloß ihren Besiß zu erhalten, sondern von dem neuen Beherrscher des Landes auch neuer Ehren, neuer Reichthümer theilhaft zu werden. Darum drängten sie sich nicht allein an seine Hofhaltung, sondern sie dienten ihm eifrig und suchten nach Kräften dazu beizus tragen, seine Herrschaft im Lande auszubreiten und zu befestigen.

Es ist wohl erklärlich und kann nicht getadelt werden, daß Maria Theresia den Beschluß faßte, diejenigen zur Rechenschaft zu ziehen, welche sich eines solchen Benehmens schuldig gemacht hatten. Die

Treugebliebenen zu belohnen und die Treubrüchigen zu bestrafen, das war der Grundsaß, von welchem sie schon in Oberösterreich ausgegangen war und den sie auch in Böhmen im vollsten Maße anzuwenden gedachte. Da kam plößlich die Capitulation von Prag dazwischen, derzufolge kein Bewohner der Stadt wegen der Haltung, welche er während der französisch-baierischen Herrschaft in Böhmen beobachtet hatte, zur Verantwortung verpflichtet sein sollte. Der zufällige Umstand also, ob Jemand in dem Augenblicke der Uebergabe Prags in der Stadt sich befand, hätte über sein künftiges Schicksal entschieden, seine Straflosigkeit bewirkt. Gerade denen wäre sie zu Theil geworden, welche sich am ärgsten an Maria Theresia versündigt hatten. Denn gerade sie hielten sich ja natürlicher Weise bis zum letzten Augenblicke am Siße der feindlichen Regierung, bei den feindlichen Truppen auf. Gerade sie hatten das flache Land, wenn sie auch früher dort gewesen sein mochten, doch in dem Zeitpunkte verlassen, als es von den österreichischen Streitkräften beseßt wurde.

Maria Theresia mußte daher die schwierige Wahl treffen, entweder die eigentlichen Anhänger der Baiern und Franzosen straflos ausgehen zu lassen, oder gegen jene Bedingung der Capitulation zu verstoßen, durch welche diese Straflosigkeit ausgesprochen wurde. Freilich mochte sie die Sache so auffassen, daß sie eines Bruches der Capitulation dann nicht beschuldigt werden könne, wenn sie eine Bestrafung dort niemals eintreten lasse, wo der Beweis geliefert würde, daß die Leistung des Eides oder der Dienste wirklich mit Gewalt erzwungen worden sei. Hiezu kam noch, daß die Capitulation ohne die Zustimmung Maria Theresia's abgeschlossen worden war. Diese beiden Betrachtungen vermochten die Königin, troß des ersten Artikels der Capitulation gegen diejenigen, deren Benehmen während der Fremdherrschaft Anlaß zu Anklagen gab, nach der Strenge der Geseze verfahren zu lassen.

Ohne Zweifel that sie damit einen Schritt, welcher immerhin nicht unbegründetem Tadel begegnen mag. Denn jene Auslegung des ersten Artikels der Capitulation wird bei ernster Prüfung nicht leicht ganz stichhaltig befunden werden. Und was das Zustandekommen der Capitulation betrifft, so war sie allerdings nicht mit ihrer Ermächtigung

und nicht auf ihr Geheiß, aber doch in ihrem Namen und von einem Manne abgeschlossen worden, von welchem man nach seiner Stellung voraussehen konnte, er werde nur nach ihren Befehlen handeln.

Noch auffälliger wurde dieser Schritt der Königin dadurch, daß denjenigen, welcher die Capitulation in einem ihren Absichten so sehr entgegengeseßten Sinne abgeschlossen hatte, doch darum keine für Alle erkennbare Ahndung traf. Ein Mann von anderer Le= bensstellung würde solches gewiß nicht ungestraft haben thun können; der Fürst von Lobkowiß aver fand allsogleich stets bereite Vertheidiger), und er blieb nach wie vor im Commando des von ihm befehligten Armeecorps.

So wie sie in Oberösterreich eine Untersuchungscommission unter dem Vorsiße des Landeshauptmannes Grafen von Weissenwolff eingesezt hatte, so war eine solche von Maria Theresia schon im vergangenen Jahre für Böhmen angeordnet worden. Die Königin stellte den Oberstburggrafen Johann Ernst Grafen von Schaffgotsch an ihre Spize, obwohl auch dieser keineswegs vorwurfsfrei erschien. Denn troh seiner hohen Stellung im Dienste Maria Theresia's und ob= gleich er die erste Würde des Landes bekleidete, hatte er doch von Wien aus seinem ältesten Sohne Vollmacht geschickt, mit Bezug auf seine Güter im Königgräßer Kreise dem Kurfürsten von Baiern als König von Böhmen die Huldigung zu leisten). So angstvolle Besorgniß für ihre Besißthümer legten damals selbst diejenigen an den Tag, welche Maria Theresia am nächsten standen und von ihr und ihrem Vater am höchsten emporgehoben worden waren. Doch ging die Königin über diesen Umstand und die auch sonst noch wider Schaffgotsch laut werdenden Bedenken hinweg3). Außer ihm wurden der geheime Rath Graf Ferdinand Kolowrat, der Vicekanzler Graf Rudolph Korzensky, dann die Hofräthe Johann Christoph von Jordan und Johann Heinrich von Kommergansky zu Mitgliedern der Untersuchungscommission ernannt.

Sie begann unmittelbar nach der Einnahme Prags durch die österreichischen Truppen ihre wenig erfreuliche Wirksamkeit. Vor Allem

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