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Neuntes Capitel.

An zwei Klippen waren bisher die Verhandlungen gescheitert, welche man schon durch viele Monate fruchtlos gepflogen hatte, um endlich ein definitives Bündniß zwischen den Höfen von Wien und Turin zu errichten. Die eine derselben bestand in den allzu weit gehenden Forderungen Sardiniens, insbesondere in dem Begehren, auch das östliche Ufer des Lago maggiore zu erlangen, während Maria Theresia nicht weiter gehen zu können erklärte, als daß der Lago maggiore künftighin die Grenze zwischen den beiderseitigen Staaten zu bilden habe. Und das zweite Hinderniß der Verständigung lag darin, daß Karl Emanuel diese Abtretungen für alle Fälle begehrte, während Maria Theresia sich erst dann zu denselben herbeilassen wollte, wenn ihr dafür auf einer anderen Seite ausreichende Entschädigung zu Theil geworden sein würde.

Wie dieß gewöhnlich der Fall ist, so war es auch jeßt wieder für beide Fürsten nicht schwer, für ihre entgegengeseßten Anschauungen berücksichtigungswürdige Gründe in die Wagschale zu legen. Maria Theresia konnte nicht oft genug wiederholen, daß es sich ja bei dem ganzen Streite nur darum handle, das Haus Desterreich in seinen bisherigen Besißungen zu erhalten, nicht aber es derselben in der einen oder der anderen Art zu berauben. Durch die ihr angesonnenen Abtretungen würde nur derselbe Zweck, welchen Spanien zu verwirklichen trachte, wenn gleich auf anderem Wege erreicht. Der König von Sardinien aber wies auf die glänzenden Anerbietungen hin, durch welche

Frankreich und Spanien ihn auf ihre Seite zu locken sich fortwährend abmühten. In der That bestanden sie darin, daß der König das ganze Herzogthum Mailand, der Infant Don Philipp aber Parma, Piacenza und die Insel Sardinien erhalten sollte. Würde Maria Theresia hierauf eingehen, so wollte man sie im Besiße von Cremona und eines Theiles von Mantua belassen und ihr die Anwartschaft auf Guastalla einräumen. Im Falle der Weigerung der Königin von Ungarn sollte die ganze Lombardie dem Könige von Sardinien, Mantua aber dem Infanten zu Theil werden.

Im Anfange war davon die Rede, daß für diesen Fall auch Savoyen an Don Philipp abgetreten werde. Später scheint man jedoch diese Bedingung fallen gelassen zu haben. In dem förmlich ausgearbeiteten Vertragsprojecte ist sie nicht mehr enthalten1).

So verlockend diese Anerbietungen auch sein mochten, so war es dem Könige von Sardinien doch niemals Ernst damit, auf die selben auch wirklich einzugehen. Lief eingewurzelt war in seinem Gemüthe die Ueberzeugung, daß er durch Mitwirkung zur VergröBerung der Macht der Bourbonen in Italien nur selbst die Ketten schmiede, welche er in Zukunft zu tragen haben würde. Hiezu kam noch das tiefe Mißtrauen in die Erfüllung der Versprechungen, die ihm gemacht wurden. Es sind seither die geheimsten Instructionen des Königs an seine vertrautesten Diener bekannt geworden, und es ist darin der Ausdruck enthalten, daß den Bourbonen die Zugeständnisse leicht fielen, weil sie schon in der Absicht gegeben würden, fie seiner Zeit nicht zu verwirklichen. Die Verhandlungen mit Frankreich und Spanien sollten also hauptsächlich nur dazu dienen, die Königin von Ungarn einzuschüchtern und sie zur Nachgiebigkeit zu vermögen 2).

In dieser Absicht wurde Karl Emanuel von der englischen Regierung aufs nachdrücklichste unterstüßt. So wie sie es im verflossenen Jahre bei den Verhandlungen zwischen Desterreich und Preußen gethan, so drang sie auch jezt bei denen mit Sardinien aufs rücksichtsloseste in Maria Theresia, sich zu den geforderten Abtretungen zu bequemen. Ja es kam der Fall vor, daß sie für Karl Emanuel in

Wien noch mehr begehrte, als von ihm selber verlangt worden war. Denn der König hatte Anfangs entweder das an Genua verkaufte Marquisat von Finale oder das Herzogthum Piacenza zu erhalten gewünscht. Die englische Regierung aber nahm jezt beides für Sardinien in Anspruch.

Was Finale betraf, so war zwar das offene Unrecht, welches durch eine solche Verfügung mit fremdem Besißthume gegen dessen rechtmäßigen Eigenthümer, die Republik Genua verübt wurde, auch von den englischen Ministern bemerkt worden. Aber sie hielten es für ihre eigenen Interessen zuträglich, aus Sardinien einen seefahrenden und handeltreibenden Staat zu machen"). Die Vortheile davon würden nach ihrer Meinung auch England zu Gute kommen. Und ihre Bedenken verstummten völlig, als der sardinische Gesandte Offorio ihnen die Zusicherung gab, diese Vortheile sollten England durch den Abschluß eines für dasselbe sehr günstigen Handelsvertrages verbürgt werden*).

Nicht so leicht als die englischen Staatsmänner ließ sich Maria Theresia über eine Sache beruhigen, die ihr unzweifelhaft als eine Ungerechtigkeit erschien. Neuerdings erklärte sie, daß bei dem Verkaufe des Marquisates von Finale an Genua ein Heimfallsrecht oder die Befugniß, den Vertrag rückgängig zu machen, nicht festgesezt worden sei. Die Bedingungen desselben wären von der Republik pünktlich erfüllt worden, also müsse er auch als zu maßgebend angesehen werden. Der von der englischen Regierung besonders betonte Beweggrund, der König von England sei eben auf die Abtretung Finale's „versessen", könne von ihr durchaus nicht als maßgebend angesehen werden. Eben so leicht könnte er auch darauf „versessen“ sein, alle österreichischen Besizungen in Italien in seine Gewalt zu bekommen, und sie müßten ihm aus der gleichen Rücksicht zu Theil werden. Nimmermehr werde sie sich in Bezug auf Finale zu weitergehenden Zugeständnissen bereit finden lassen, als sie ohnedieß schon gemacht habe. Sie könne nicht mehr Rechte abtreten, als sie selbst be= size. Es liege auch im Interesse Englands und Sardiniens,

jeden Schein einer Gewaltthätigkeit zu vermeiden. Sie selbst wenigstens werde und könne an einer solchen nicht Theil nehmen ").

Auf Robinsons erneuertes Andringen erklärte endlich Maria Theresia, daß sie bereit sei, zu Allem die Hände zu bieten, wodurch dem Könige von Sardinien Finale verschafft werden könnte, insofern es nur ohne Ungerechtigkeit, ohne Gewalt und ohne die Uebertragung von Rechten ausführbar wäre, welche sie selbst nicht besiße“).

Mit ähnlicher Lebhaftigkeit wurde der Streit über die zu Gunsten Sardiniens geforderten Abtretungen geführt. Von dem Verlangen, auch den Landstrich am östlichen Ufer des Lago maggiore für Sardinien zu erhalt, stand man zwar ab, aber um so nachdrücklicher beharrte man auf den übrigen Begehren, während man doch auf die Bedingungen nicht eingehen wollte, unter welchen allein Maria Theresia sich zu denselben herbeigelassen hatte. Nach ihrer Anschauung sollten bekanntlich die Abtretungen erst dann verwirklicht werden, wenn ihr eine angemessene Schadloshaltung zu Theil geworden wäre. Hievon wollte jedoch Karl Emanuel nichts hören. Er hütete sich wohl, die neuen Erwerbungen, nach welchen er, wie ein englischer Geschichtschreiber bezeichnend sich ausdrückt, mit der charakteristischen Habgier des Hauses Savoyen) dürftete, von Bedingungen abhängig zu machen, deren Erfüllung noch in ungewisser Ferne stand, ja zu deren Verwirklichung er vielleicht schon damals nichts beizutragen gesonnen war.

Die Verwerfung der von ihr jederzeit als ganz unerläßlich bezeichneten Bedingung brachte es natürlicher Weise mit sich, daß Maria Theresia nun auch in Bezug auf die Abtretungen an Sardinien nicht mehr die frühere Willfährigkeit an den Tag legte. Mit Entschiedenheit weigerte sie sich, die Stadt Pavia oder überhaupt irgend einen an dem rechten Ufer des Po oder dem linken Ufer des Tessin gelegenen Gebietstheil an Sardinien gelangen zu lassen. Ja selbst um die Pavia gegenüber liegende, durch den Tessin und den Canal Gravellone gebildete Insel und mehr noch um den Besit Piacenza's entbrannte heftiger Streit. Die Insel könne sie nicht aufgeben, ließ Maria

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Theresia erklären, denn sie sei ihr zur Sicherstellung Pavia's ganz unerläßlich. Piacenza's aber bedürfe sie zum Schuße der Lombardie. Außerdem sei dieser Plaß ihr nöthig, um die Verbindung ihrer italienischen Länder mit Toscana aufrecht zu erhalten. Sie habe die Reise nach Florenz selbst gemacht und wisse daher aus eigener Erfahrung, daß ohne den Besit Piacenza's ihr der Weg dorthin jederzeit versperrt werden könne").

Bezeichnend find manchmal die Bemerkungen, welche von der einen oder der anderen Seite gemacht wurden, um eine Forderung zu unterstüßen, eine andere zu bestreiten. So wurde gegen die Behauptung, die vor Pavia liegende Insel sei nothwendig zum Schuße der Stadt, von der sardinischen Regierung die Einwendung erhoben, es sei dieß keineswegs der Fall, indem ja die Insel höher liege als Pavia. Nicht mit Unrecht wurde Robinson, als er des gleichen Argumentes sich bediente, von den österreichischen Ministern gefragt, ob er glaube, daß der Besiß der Stadt Prag nicht dadurch gefährdet erschiene, wenn der höher liegende Wischehrad einem Anderen eingeräumt würde").

So wie hinsichtlich dieser beiden Punkte, so lautete auch Maria Theresia's Antwort auf die neuerdings auftauchende Forderung, sie solle Finale von Genua einlösen und es dann an Sardinien abtreten, in ablehnendem Sinne. Hieran und an verschiedenen anderen Punkten, wie an der Weigerung Sardiniens, dem Hause Lothringen den Besit Toscana's zu garantiren, stockte die Verhandlung. Während König Georg sich im Feldlager befand, eilte Wasner nach Wien, um sich neue Instruction zu holen. Bald kehrte er in das englische Hauptquartier zurück, um mit Carteret und Ossorio fernere Unterhandlungen zu pflegen, denen der Wiener Hof nun eine ganz neue Grundlage zu geben beabsichtigte.

Es war kein österreichischer Staatsmann, sondern Niemand Anderer als der sardinische Minister Marquis d'Ormea, welcher zuerst dem Gedanken Ausdruck verlieh, in einer Verpflanzung des kurfürstlich baierischen Hauses nach Italien sei das rechte Mittel gelegen, um all die Zwecke, um derentwillen die Verbündeten Krieg führten, mög

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