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Zehntes Capitel.

Der gewaltsamen Umwälzungen, welche um jene Zeit in Rußland stattfanden, kann hier nur im Vorbeigehen und insofern Erwäh nung geschehen, als sie auf das Verhältniß dieses Staates zu Desterreich von Einfluß waren. Seit ihrer Thronbesteigung hatte Maria Theresia sich unablässig bemüht, Rußland zu der Hülfeleistung zu vermögen, zu welcher die Verträge es verpflichteten. Ungemein wechselnd waren die Aussichten auf Erfüllung dieser Verbindlichkeit. Als die Großfürstin Anna und ihr Gemahl, der Herzog Anton Ulrich von Braunschweig in Rußland die Regentschaft führten, glaubte man auf die Einhaltung der Bundespflichten mit ziemlicher Bestimmtheit rechnen zu dürfen. Aber der überwiegende Einfluß des Feldmarschalls Grafen Münnich, welcher dem Könige von Preußen ergeben war, vereitelten diese Hoffnung. Münnichs Sturz eröffnete neue Aussichten auf Verwirklichung derselben. Aber der Krieg Rußlands mit Schweden, welchen Frankreich nur zu dem Ende entzündete, um Rußland an der bewaffneten Unterstüßung Maria Theresia's zu verhindern, und wohl auch die Einwirkung des Grafen Ostermann, der nun an der Spiße des russischen Ministeriums stand, rückte dieselbe fortwährend in die Ferne.

Ein eigenthümliches Schauspiel gewährt die Betrachtung des Kampfes, welchen auch auf diesem Gebiete Desterreich und Preußen mit einander führten. Bald seßt der eine, bald der andere Hof seine Wünsche durch, je nachdem entweder der Herzog Anton Ulrich oder

das Fräulein von Mengden, die von König Friedrich durch reiche Geschenke für das preußische Interesse gewonnene1) Favorite der Großfürstin bei der Leßteren die Oberhand erlangten. In jeder Angelegenheit von irgend welcher Wichtigkeit tritt uns dieser Widerstreit entgegen, und nicht allein in dem politischen Interesse der beiden Staaten sondern auch in den persönlichen der hiebei Betheiligten macht er sich geltend. Um hier nur ein einziges Beispiel hervorzuheben, sei der Verleihung des Herzogthums Kurland gedacht, welches durch Birons Entseßung erledigt war. Daß die Großfürstin Anna dieses Land einem ihrer Schwäger zuwenden werde, welche einer solchen Versorgung ziemlich dringend bedurften, galt als höchst wahrscheinlich. Darum bemühte sich König Friedrich eifrigst, hiezu den Herzog Ferdinand von Braunschweig gelangen zu machen, welcher bekanntlich in preußischen Diensten stand, und auch persönlich einer der eifrigsten Anhänger Friedrichs war. Der König bediente sich hiezu seiner von ihm sonst so sehr bei Seite gefeßten Gemahlin). Maria Theresia dagegen verwendete sich zu Gunsten des österreichisch gesinnten Herzogs Ludwig von Braunschweig ). Ihm wurde denn zulezt auch der Preis des Wettstreites zu Theil.

Ueberhaupt schien sich gegen Ende des Jahres 1741 die Wagschale zum Vortheile Desterreichs zu neigen. Wenigstens glaubten Maria Theresia's Repräsentanten am Hofe von St. Petersburg, der Gesandte Marquis Botta und der Resident von Hohenholz ihr anzeigen zu können, daß Rußland sogar mit einem stärkeren Hülfscorps auf dem Kampfplaße erscheinen werde, als dieß in Anbetracht des noch fortdauernden Krieges gegen Schweden selbst Desterreich ver: langt habe. Freilich werde dabei die Bedingung gemacht, daß auch die Seemächte sich zu activer Theilnahme am Kriege entschließen müßten). Nur wenige Tage vergingen und durch eine neue Staatsumwälzung wurde diese Erwartung nochmals vereitelt.

Eigenthümlich ist es, daß schon fünf Monate zuvor dem Wiener Hofe Andeutungen über eine in Rußland sich anspinnende revolutionäre Bewegung zugekommen waren. Als ihr Urheber und eifrigster Förderer sei der französische Gesandte Marquis de la Chetardie, als ihr Ziel aber die Erhebung der Prinzessin Elisabeth, der Tochter

Peters des Großen, auf den russischen Thron zu betrachten "). Die äußerste Vorsicht wurde dem Repräsentanten Desterreichs am russischen Hofe empfohlen. Beide aber glaubten einstimmig versichern zu können, daß nichts der Art im Werke sei. Allerdings besiße die Prinzessin Elisabeth einen gewissen Anhang; aber abgesehen davon, daß sie mit der Regentin in vollständiger Einigkeit lebe, sei ihre Partei auch viel zu ohnmächtig, um eine so durchgreifende Umwälzung herbeizuführen ®).

Im Widerspruche mit dieser Ansicht wurden jedoch die Anzeichen eines herannahenden Sturmes immer häufiger, so daß auch Botta und Hohenholz sie nicht länger zu verkennen vermochten. Allein sie hofften mit Zuversicht, daß derselbe gefahrlos vorübergehen werde. Um so bestürzter waren sie daher über das plötzliche Hereinbrechen und den vollständigen Sieg der Palastrevolution, in deren Folge am 6. Dezember 1841 die Großfürstin Anna und ihr Gemahl ihrer Würden entsegt wurden und die Prinzessin Elisabeth den Thron Rußlands bestieg.

Der Umstand, daß die Staatsumwälzung hauptsächlich durch den französischen Gesandten herbeigeführt worden war, mußte natürlich die bedauerlichste Rückwirkung derselben auf die Beziehungen zwischen Desterreich und Rußland besorgen lassen. Ja man konnte befürchten, daß dadurch auch der Einfluß Preußens am Hofe von St. Petersburg mächtig gehoben werden würde. Aber schon die ersten Kundgebungen der jegt ans Ruder gelangten Partei lauteten günstiger als man es zu hoffen gewagt hatte. Noch am Tage ihrer Thronbesteigung ließ Elisabeth der Königin von Ungarn ihren Entschluß ankündigen, das freundschaftliche Verhältniß zwischen den beiderseitigen Staaten ungeschwächt aufrecht zu erhalten). Und in dem Schreiben, welches sie an Maria Theresia richtete, war auf den Wunsch der Nachdruck gelegt, die bisherige Bundesgenossenschaft fortbestehen zu sehen.

Man fühlte in Wien die Nothwendigkeit, diese günstige Stimmung zu nähren und dadurch den Absichten entgegenzuarbeiten, welche

Frankreich bei der Herbeiführung der Staatsumwälzung verfolgt hatte. Darum zögerte Maria Theresia nicht, einen der sehnlichsten Wünsche der Czarin noch eher zu erfüllen, als sie förmlich darum angegangen worden war. Sie legte ihr in ihrer Antwort den Titel einer Kaiserin von Rußland bei. Außerdem sprach sie die Hoffnung aus, Elisabeth werde die Bestimmungen des zwischen Oesterreich und Rußland bestehenden Bündnisses um so gewisser „werkthätig erfüllen“, als dasselbe ja von ihrer Mutter, der Czarin Katharina geschlossen worden sei. Als deren Erbin und Nachfolgerin werde sie es gewiß nicht umstoßen wollen ").

Vollkommen richtig beurtheilte der Wiener Hof die Lage der Dinge in Rußland, wenn er der Ansicht war, daß dort vor der Hand zwar der französische, keineswegs aber der preußische Einfluß zu fürchten sei. Im Gegentheile war man der Meinung, der Sturz jener Personen, von welchen man die Mehrzahl geradezu als „Crea= turen" König Friedrichs bezeichnete, würde von dem Leßteren als eine Schlappe empfunden werden. Man ußte in Wien, daß der jezt zur Kenntniß der herrschenden Partei gelangte Antrag Friedrichs an den Feldmarschall Grafen Münnich, ihn in preußische Dienste aufzunehmen, den Hof von St. Petersburg empfindlich verlegt hatte 10). Man glaubte an die Möglichkeit, zwar nicht gegen Frankreich und Baiern, wohl aber gegen Preußen die Kriegshülfe Rußlands erlangen zu können.

Ueber dem eifrigen Bestreben, die neue Beherrscherin Rußlands für ihre Sache zu gewinnen, versäumte Maria Theresia ihre Pflicht nicht, für die Großfürstin Anna und den Herzog Anton Ulrich von Braunschweig ihre angelegentlichste Verwendung eintreten zu lassen. Botta und Hohenholz wurden beauftragt, der Czarin vorzustellen, wie ihre Ehre und ihr Ruhm es erfordere, gegen die Regentin und deren Gemahl die gleiche Milde obwalten zu lassen, welche ihr von ihnen zu Theil geworden sei. Wer ihr einen anderen Rath gebe, der könne es unmöglich gut mit ihr meinen. Es heiße sich selbst verblenden, wenn man nicht einsehen wolle, daß es dem Marquis de la Chetardie nicht um das Wohl Rußlands und der Czarin, sondern nur um die

versteckten Absichten des Hofes von Versailles zu thun sei"). Und um ihr über die letteren die Augen zu öffnen, wurde Botta zur Mittheilung eines Auftrages der französischen Regierung an ihren Repräsentanten in Constantinopel ermächtigt, durch welchen derselbe angewiesen wurde, die Pforte in ihrer Hinneigung zur Parteinahme für Schweden in dem Kriege wider Rußland nicht erkalten zu laffen 12).

So wie früher Desterreich und Preußen, so kämpften jetzt Desterreich und Frankreich, am Hofe von St. Petersburg den überwiegenden Einfluß zu erlangen. Botta wurde hiebei durch den englischen Gesandten Finch, der Marquis de la Chetardie aber durch den preußischen Gesandten Mardefeld unterstüßt. Die gemäßigte russische Partei, insbesondere die einflußreichen Brüder Bestuschew neigten zu Desterreich. Durch die zahlreichen Beweise der lebhaften Parteinahme Frankreichs für Schweden, welche ihnen von Seite des Wiener Hofes fortan geliefert wurden, suchten sie die Czarin zu überzeugen, daß der Hof von Versailles eigentlich von feindseliger Gesinnung gegen Rußland erfüllt sei.

Gewöhnlich pflegt der Haß, welcher aus der Ueberzeugung entspringt, hintergangen zu werden, desto größer zu sein, je unbegränzter zuvor das Vertrauen zu demjenigen gewesen, von welchem man sich später betrogen sieht. Wenn diese Regel auch auf die Czarin Anwendung fand, so glaubte man erwarten zu dürfen, sie früher oder später von unversöhnlichem Hasse wider Frankreich ergriffen zu sehen. Denn man vermöge ihr, so ließen sich Maria Theresia's Repräsentanten am russischen Hofe vernehmen, die unumstößlichen Beweise des trügerischen Spieles zu liefern, welches Frankreich mit ihr treibe 23). Elisabeths Günstling Lestocq aber, einer französischen Emigrantenfamilie angehörig, und die persönliche Geltung des Marquis de la Chetardie, der so wesentlich zu ihrer Thronbesteigung mitgewirkt hatte, hielten die Czarin von einer offenen Parteinahme für Desterreich wieder zurück.

So schwankte die Wagschale unentschieden hin und wieder. Man gab endlich in Wien die Hoffnung auf, die russische Regierung zu

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