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und blieb es noch für eine ganze Generation. Die Päpste Clemens V., Johann XXII., Benedict XII. und Clemens VI. (während der ersten Jahre seines Pontificats) residirten mithin in einer dem deutschen Kaiser unterthänigen Stadt. Erst als Clemens VI. die Stadt und ihr Gebiet für den päptlichen Stuhl erwarb, und seitdem dass er als Souverän dort fortfuhr zu residiren, wich das politisch Anstössige, was bis dahin auf dem Papstthum formell seit Decennien gelastet hatte. Dafür blieb aber etwas Anderes, weil es gegen die moralische Verantwortlichkeit des päpstlichen Hofes verstiess, auf dem Rufe desselben zurück, die Unsittlichkeit. Auch die Residenz der nachfolgenden Päpste Innocenz VI., Urban's V. und Gregor's XI. blieb damit behaftet, so dass der Zeitgenosse und Augenzeuge Petrarca Avignon das dritte Babylon nannte.

Die Nachgiebigkeit, womit sich das Papstthum gar unter den Einfluss der französischen Politik stellte, und die es zuerst durch die Aufhebung des Ordens der Templer officiell documentirt hatte, 1312 rief nach und nach Unzufriedenheit auf verschiedenen Punkten in Europa vor, zuletzt bedeutsame Opposition z. B. in Deutschland und an dem früheren Sitze der Päpste, in Rom, hervor. So traten die Wahlfürsten des deutschen Reichs in Rhense zu einer Versammlung (Kurverein) zusammen, und einigten sich zu der Er- 1338 klärung, dass künftig, sobald die Kurfürsten des Reiches einstimmig oder der grösste Theil derselben einen Kaiser oder König gewählt hätten, dieser blos durch diese Wahl für den wahren König und römischen Kaiser zu halten sei, und dass es einer Bestätigung seitens des Papstes wesentlich nicht bedürfe!

Andererseits stellte sich in Rom, dessen Bevölkerung die Frevelthaten des Adels satt hatte, ein Mann aus seiner Mitte an die Spitze einer Bewegung, die dem Scheine nach zu Gunsten des Papstes gegen den Adel gerichtet sein sollte, deren Ziel wesentlich die Errichtung einer selbstständigen Regierung an der Spitze einer italienischen Conföderation war. 1) Dieser Mann war der 1347 Tribun Cola di Rienzi; des Papstes eigener Vicar leistete dem Werke der Erlösung von den selbstsüchtigen Baronen Vorschub. Zwar gelang es dem P. Clemens VI., der vor der Geschichte wie der Gefoppte erscheint, diesem Projekt den Untergang zu bereiten, der die Wiederherstellung der päpstlichen Gewalt in Rom und des

1) Mit diesem Jahre begann im deutschen Reiche das Jahrhundert der Luxemburger, von Heinrichs VII. Sohne, dem König Johann von Böhmen abstammend (Karl IV., Wenzel, Siegmund).

Unwesens des Adels daselbst zur Folge hatte; aber den ihm seitens des deutschen Fürstencollegiums widerfahrenen Schlag vermochte er nicht zu pariren.

Ein Beweis, wie tief das französische Wesen das avignonesische Papstthum befing, lag übrigens darin, dass nach dem zweiten 1354 Sturze Cola's französische Rectoren im Bereiche des Kirchenstaates angestellt wurden. Ausserordentlich gross war der Widerwille der Italiener gegen diese Franzosen in italienischen Beamtenstellen.

Die Zusammenkunft mit dem Kaiser Karl IV. und dem 1367 griechischen Kaiser Joannes Paläologos in Rom | war endlich Anlass, dass Urban V. den Versuch machte, seine Residenz wieder dort zu nehmen. Allein er kehrte nach einem Paar Jahren nach Avignon zurück.

1377

1378

Gregor XI. wiederholte den Versuch und starb in Rom, womit vorläufig die Rückverlegung des Sitzes bethätigt war.

Aber ein neues Uebel trat zu dem alten hinzu. Da die Abneigung einiger Cardinäle gegen Gregor's Nachfolger, Urban, weil er eine ihnen unbequeme Sittencensur übte, die Wahl eines Gegenpapstes zur Folge hatte, der seinen Sitz wieder zu Avignon nahm, so erzeugte, während das alte Uebel als Fronde fortdauerte, diese Zwieträchtigkeit unter den Cardinälen consequenterweise ein kirchliches Schisma. 1) Ausserdem aber war in England schon während des Pontificats Gregor's ein neuer theologischer Lehrbegriff aufgetaucht, der den Doctor der Theologie und Pfarrer Johannes von Wiclif zum Urheber hatte, das ferne Wetterleuchten einer den bisher von den Päpsten ausgeübten politischen und geistlichen Vorrechten mit Gefahren drohenden Zukunft. 2).

Das Schisma konnte nicht verfehlen, den Schaden, den das Papstthum durch seinen Aufenthalt in Avignon an seinem politischen Ansehen erlitten hatte, noch zu vergrössern, ebenso aber andererseits der Absolutismus, wozu es das Papstthum besonders durch Johann XXII. während der avignonesischen Zeit gebracht, da Urban IV. und seine Nachfolger von Rom aus, der Gegenpapst bzw. sein Nachfolger von Avignon aus je die Länder ihrer Obedienz regierten. Die Noth dieser Zeit, welche nahezu ein Menschenalter und länger dauern sollte, drängte die Ausleger des kirchlichen Rechts auf den

1) Maimbourg, Histoire du grand Schisme d'Occident.

2) Vgl. Lechler, Johann von Wiclif und die Vorgeschichte der Reformation. Leipzig 1873. Erster Band.

Weg der Selbsthülfe. Der frühere Fall eines kirchlichen Schisma's war zu seiner Zeit durch kaiserliches Einschreiten beseitigt worden. Jetzt fehlte es zwar nicht an einer Aussicht dazu; Wenzel und Karl VI. von Frankreich fassten ein Einschreiten gegen den Papst in Rom ins Auge. Was erwartet werden musste, konnte nur von Innen heraus, d. h. seitens eines Concils erwartet werden.

Ehe dieses aber zusammentrat, waren dem sechsten Urban Bonifaz IX., Innocenz VII. und Gregor XII. gefolgt.

Einen traurigen Schatten warf aber während dieser ganzen Zeit, seit Avignon der Sitz des Papstthum geworden war, bis auf dieses Concil, das nach Pisa berufen wurde, herab, noch die 1409 schlecht verhüllte Art, den Finanzen aufzuhelfen. Zum Theil mag die Abwesenheit von Rom, zum Theil wird der schlechte Haushalt in Avignon dieses erklären. Gleichwohl exemplum semel sumptum erhielt sich, was Bonifaz VIII. anspruchsvollen Andenkens, zuerst eingeführt hatte, das Jubiläum in der Praxis des Papstthums. Zwar hatte Bonifaz bestimmt (1300), dass es erst nach hundert Jahren wiederholt werden sollte. Allein nicht ein halbes Jahrhundert war verflossen, als Clemens VI. (1342 u. ff.) seine Feier auf das Jahr 1350 festsetzte, und damit die Praxis eines 50jährigen Jubeljahres einführte. Aber auch diese Grenze wurde nicht eingehalten; denn Papst Urban VI. (1378 u. s. f.) ordnete statt des 50jährigen das 30 jährige an, so dass das dritte Jubeljahr im J. 1380 gefeiert wurde.

So halfen sich die avignonesischen Päpste; die Feier des Jubeljahres war zwar eine kirchliche Anordnung zum Besten der Frommen, die nach Rom pilgerten, sie verwandelte sich aber, wie andere Abfindungen mit Geistlichen oder mit Weltlichen (Indulgenzen, Dispensationen) u. s. w. in das Mittel, die päpstlichen Finanzen zu heben. Von Rom wanderten die Summen, so lange Avignon Residenz war, hieher.

Das nämliche Jahrhundert gebar aber noch eine andere, und zwar offenkundige Finanzmassregel, nämlich die förmliche Einführung der regelmässigen Annaten von allen erledigten Bisthümern und Abteien durch Bonifaz IX., | eine im Hinblick auf die durch 1389 das Schisma verursachte Schmälerung der Provisionen des succedirenden Papstes sehr erklärliche, aber dem Ansehen des Letzteren keineswegs nützliche Massregel, ohne dass die Geldgewinnungsmittel der früheren Zeit aufgegeben worden wären.

Inzwischen war darüber allenthalben Gährung und Bewegung

im Gange; die moralische Verwilderung zog hinterdrein. Alle verlangte es nach einem Concil, das wenigstens dem Schisma ein Ende machte.

II.

Hochdruck seitens der Concilien, und ihre Ueberlistung durch das Papstthum.1)

Diese Sehnsucht, welche Alle zu erkennen gaben, bekundete das Vorhandensein der Meinung, dass einem solchen (allgemeinen) Concil eine oberste, auch über den Papst Macht ausübende Kirchengewalt eigen sei. Die damalige Noth der Kirche gab dieser Meinung, obwohl sie nicht verfassungsgemäss, sondern revolutionär war, Berechtigung. So war also ein Concil bestimmt, das Gegentheil von vordem d. h. das Papstthum unter Aufsicht der Kirche, zu zeigen.

Es waren gerade dreissig Jahre seit dem Ausbruch des Schisma verflossen, als von beiden Seiten Cardinäle, um es zu beendigen, 1409 ein Concil ausschrieben, das im Jahre darauf in Pisa zusammentrat. Die entscheidende Anregung zu diesem Schritte hatte die Aufforderung des Königs Karl VI. von Frankreich an die Cardinäle, sowie die Gutachten der Universitäten von Paris und Bologna, welchen sich die Wiener anschloss, gegeben. Die Bannflüche der beiden Päpste, und der Gedanke an die Beschwerden, die damals mit der Reise zu einem entfernten Concil verknüpft waren, hatten weder Geistliche noch Weltliche behindern können, zahlreich nach Pisa zusammenzukommen, sei es persönlich oder in Vertretung. Es war ein bedeutsamer Moment, als nach vielseitiger Prüfung in der 15. Sitzung (5. Juni) der definitive Ausspruch gethan wurde, das hl. allgemeine Concil, welches die ganze Kirche repräsentire, und dem es zustehe, in dieser Sache zu erkennen und zu entscheiden, erkläre, dass Peter de Luna, genannt Benedikt XIII., und Angelus Corrario, unter dem Namen Gregor XII., u. s. w. aller Würde entkleidet und ipso facto aus der kirchlichen Gemeinschaft ausgeschlossen seien! Mit diesem Urtheilsspruch hatte freilich das Concil erst nur die halbe Arbeit gethan. Wichtig war

1) Vgl. Wessenberg, die grossen Kirchenversammlungen des XV ten und XVI ten Jahrhunderts. Constanz 140 Bd. II u. ff. Raumer's Histor. Taschenbuch, Leipzig 1849. die K.-Verss. zu Pisa, Kostnitz und Basel'. Luigi Tosti, Gesch. des Concils von C. (1853) u. m. A.

darum die 16. Sitzung durch das Versprechen der Cardinäle, dass, wenn einer von ihnen sollte zum Papste erwählt werden, derselbe das Concil so lange fortsetzen wolle, bis die Kirche in ihrem Haupte und in ihren Gliedern reformirt wäre; wollte man einen Abwesenden wählen, so sollte ihm vor der Erwählung das gleiche Versprechen abgenommen werden. Hierin lag also, dass das Concil eine Neuwahl sollte zu Wege zu bringen, und die Reform durchzuführen haben. Die Absichten und Wünsche der Zeit fanden ihr Schlagwort: ,,Reform an Haupt und Gliedern." Dieses hörte auf lange hinaus nicht auf, die Physiognomie der europäischen Geschichte zu bestimmen.

Die Wahl eines neuen Papstes (Alexander's V.) fand in einer der nächsten Sitzungen (der 18.) statt, der zugleich als Präsident des Concils fungirte. In der 22 sten oder der Schlusssitzung (7. Aug.) erklärte derselbe, bezüglich der Reform der Kirche u. s. w., dass er diese aufs nächste Concil, welches er auf das J. 1412 ankündigte, verschieben müsse.

Das legitime Ansehen dieses Concils wurde nicht bestritten, auch von Rom nicht, da dieses sich demselben unterwarf, und es durch die Anerkennung Alexanders V. sowie seines Nachfolgers Johann's XXIII. als legitim ansah. Ausserdem wurde es von der nachher zu Constanz repräsentirten universellen Kirche gutgeheissen. 1)

Uebrigens blieb, wie die Kirchenreform, so auch die Beseitigung des Schisma in suspenso. Da weder Gregor XII., noch Benedikt XIII. abdankte, so standen jetzt einander drei Päpste im Kampfe um die Alleinherrschaft gegenüber. Die inneren Verderbnisse stiegen immer höher. Das Concil von Pisa hatte von der Wahl Alexander's V. keinen Erfolg. Er starb, noch ehe ein Jahr vergangen. Aber was in der Zeit lag, musste zur Geltung gelangen. Hatte der König von Frankreich sich bitten lassen, dem Zustandekommen des Concils von Pisa Vorschub zn leisten, so war es jetzt der neue Kaiser Sigmund, der von sich aus in den berüchtigten Nachfolger Alexander's, Johann XXIII., drang, ein Concil zu berufen. Johann eröffnete 1412 zu Rom eine Synode; allein es ging damit nicht. 2) Nachdem er mit dem Kaiser über

1) Vgl. Alletz, Konzilien-Lexikon etc. Aus dem Franz. von P. Disch. Bd. I. s. Pisa.

2) Die Sage von dem wiederholten Erscheinen einer Nachteule s. b. Wessenberg, a.a.O. S. 68.

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