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demselben einleuchtend machen, dass dadurch consequent der Bruch mit dem Anspruch auf Lehenshoheit über irdische Reiche vollzogen sei. Denn die kirchlichen Territorien, die das Papstthum vordem an kleine Vasallen verliehen hatte, hörten jetzt auf, Lehen zu sein; sie wurden Bestandtheile des Kirchenstaats. Die Entstehung dieses Staats hinderte die Italiener einig zu werden, d. h. das Beispiel der westlichen Nationen zu befolgen; daher in Italien die Politik des Gleichgewichts die Frage blieb. Während der grosse Fortschritt in den Ländern des romanischen Westens zu dem, was wir Staat nennen, sich noch erst angekündigt hatte, wurde schon mit dem romanischen Osten die letzte Abrechnung seitens der Türken gehalten, die durch die Jahrhunderte zu dem geworden war, was sie jetzt bedeuteten. Ehemals die Hauptstadt des römischen Ostens entbehrte Contantinopel, besonders seit die sogen. Lateiner (1204-61) sich in die europäischen Länder des Reichs getheilt hatten, ihr gegenüber innerer Hülfsquellen, worüber ein Widerstand, der ein solcher sein will, unabhängig muss verfügen können. Ausserdem von einem Verluste nach dem anderen, durch die das oströmische Reich mit immer engeren Kreisen umziehenden Türken heimgesucht, erlag es, auf sich selbst angewiesen, ohne Hülfe von Westen, zwischen die Eifersucht der Venetianer und Genueser gestellt; es fiel in die Gewalt der Türken.

Der Untergang eines Reiches dort, der Aufschwung verschiedener Reiche auf einmal im Westen! Geheimnissvolle Begegnung und Selbstcorrection der Schwankungen im grossen Bereich der politischen Schöpfungen Europa's! Uebrigens hatte das untergegangene Reich nur eine Schuldigkeit zu erfüllen gehabt; ohne seinen Widerstand hätte sich die Invasion der Türken, die eine Analogie zu den Wanderungen im vierten Jahrhundert u. s. w. bot, ebenso allgemein zerstörend in ihren Wirkungen erweisen müssen, wie jene, und hätte. mithin die Auseinandersetzung mit dem Papstthum im Westen nicht so gründlich vor sich gehen können.

Der erste Vortheil, den Europa von der nationalen Einigung hatte, kam ihm von den Spaniern uud Portugiesen! Die Einigung gab diesen Nationen Stärke; sie gestattete oder bewirkte vielmehr eine Vervollkommnung des Seewesens, und dadurch Fahrten über den Ocean, welche den Verkehr mit vorher nicht bekannt gewesenen Ländern eröffneten, und Niederlassungen behufs bleibender

1453

1486

Erwerbungen zur Folge hatten. Dem Beispiel, welches Portugal 1492 (durch Diaz), sowie Spanien (durch Colombo) gaben, folgten später England und zuletzt Frankreich.

Zweiter Abschnitt.

Letzte oberherrliche Entscheidung durch das Papstthum zwischen den Seemächten.

Selbstständige Politik der souveränen Mächte. Verstärkung des sich selbstständig gestaltenden Furopa durch das souveräne Preussen und das europäisirte Russland.

Vorbemerkung.

Die Entstehung nationaler Staaten bedeutete die Auflösung der bisherigen universalen Ordnung, die durch das Papstthum repräsentirt worden war. Den einzelnen Nationen wurden dadurch selbstständige Aufgaben zugewiesen. Es wäre zu erwarten gewesen, dass die Souveräne, die der Erziehung zu diesen Aufgaben vorstanden, die richtige Auffassung dafür sich aneigneten. Die Reform der Kirche war vertagt worden; sie konnten sie aufnehmen. Es sollte sich aber zeigen, dass, während der nationale Drang die universale Lehensmonarchie der Päpste gesprengt hatte, die Souveräne je eine Art päpstlicher Politik nach Innen verfolgten, indem sie, da der Ruf nach Reform die Nationen ergriff, und sie das Werk von sich aus anstrebten, die von Rom nur verfluchte, aber sich selbst überlassene Bewegung als eine Gefährdung der kaum erlangten nationalen Einheit zu unterdrücken suchten. Dies ist der Charakter der Geschichte des Deutschen Reiches und Frankreichs beim Uebergange aus dem fünfzehnten Jahrhundert in das sechszehnte und während des letzteren. . Die geschichtlichen Thatsachen sind nur eine schwächere Auflage der früher durch die Päpste verfügten Ketzerverfolgungen zu Gunsten der kirchlichen Einheit.

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Während man durch die Entdeckung des Caplandes durch die Portugiesen und Westindiens durch die Spanier, um nur allgemein anzudeuten, die Ansprüche der auswärtigeu Politik der Päpste nach den 'auswärtigen Missionen' abgeleitet wusste, und die inneren Ansprüche gebannt glaubte, sah man die Souveräne sich, wie päpstliche Statthalter aufführen, und den Gewissen Gewalt anthun.

Im Gegensatze zu dieser Politik der continentalen Souveräne, welche die, wie es schien, verjährte Politik der Päpste erneuerten, verliess der Souverän Englands die gewohnte Richtung, um, nachdem er sich emancipirt hatte, als Papst einer eigenen oder Staatskirche dem Unterthanengehorsam das historische Gewissen zu nehmen.

Erster Unterabschnitt.

Begrenzung der Ansprüche auf überseeische Erwerbungen.1)

Reform.

Durch das den Reform - Concilien von Constanz und von Basel bereitete Fiasko hatte das Papstthum zwar die Auctorität über die Kirche sich erhalten aber der Selbstständigkeit der Nationen, durch die mit ihren abgeschlossenen Concordate Vorschub geleistet. Die dadurch zwischen beiden gezogenen Grenzlinien hatten nur einen bewaffneten Friedenszustand zwischen beiden Standpunkten erzielt. Nur die grösste Geschicklichkeit konnte der so geleimten Krone Aussichten versprechen. Die über den überseeischen Erwerbungen erwachende Eifersucht zwischen Portugal und Spanien gab in dieser bangen Zwischenzeit dem Papstthum noch einmal Gelegenheit zu einem souveränen Acte im Stile der Zeit, während welcher das Papstthum der Geschichte Europa's präsidirte.

Im J. 1494 erliess P. Alexander VI. eine Bulle, worin er Ferdinand und Isabella, wie der Wortlaut besagt,,,aus reiner Grossmuth und Kraft apostolischer Allgewalt mit allen bereits entdeckten oder noch zu entdeckenden Inseln und Festlanden" be schenkte,,,die gegen Westen und Süden lägen, von einer Linie begrenzt, gezogen gedacht vom Nordpol bis zum Südpol in einem Abstand von hundert Leguas oder spanischen Meilen gegen Westen und Süden von jeder Insel der Azoren oder der Capverdischen Gruppe." (Bulle v. 4. Mai.) 2)

1) Vgl. Pesehel, die Theilung der Erde unter Alexander VI. und Julius II. Leipz. 1871.

2) Es giebt zwei hierauf bezügliche Bullen des genannten Papstes, die erste vom 3. Mai (Peschel, 1. 1. Anhang S. 34), die zweite welche die erste abänderte, vom Tage darauf (Peschel, 1. 1. S, 35). Vgl. Anhang (I, 9.)

Diese Bulle, mit einem Kirchenbann gegen alle nicht spanischen Seefahrer, welche wagen würden, jenen Theilungskreis zu überschreiten, ausgestattet, schädigte aber das Vorrecht, das um mehrere Decennien früher P. Nicolaus den Portugiesen verliehen hatte, indem er dieser Seemacht das Recht des Handels mit Indien verlieh (Bulle Nicolaus V. v. J. 1454). Darum änderte ein Vertrag, der vier Wochen später (7. Juni 1494) zu Tordesillas geschlossen wurde, jene Schenkung dahin ab, dass er die Erde in eine spanische und portugiesische Hälfte zerlegte. Hiernach sollte durch den Ocean ein Strich oder eine Linie vom Nordpol zum Südpol gezogen werden, 370 Leguas im Westen der capverdischen Inseln, sei es durch Feststellung der Längengrade oder durch irgend ein anderes Verfahren.

Die Lage dieses neuen Theilungskreises wurde, wiewohl sie genauer begrenzt war, gleichwohl später bestritten, nachdem die Portugiesen schon durch Cabral Brasilien entdeckt und erworben hatten, besonders aber, als die spanischen Gefährten Fernão de Magalhães', eines portugiesischen Hidalgo, der aber, am heimischen Hofe zurückgesetzt, in spanische Dienste getreten war, im J. 1522 von ihrer Reise um die Erde zurückkehrten. Die päpstliche Theilung blieb anerkannt; aber eine Junta wurde beauftragt, an den Grenzen der alten Welt das Ende der portugiesischen Erdhälfte zu bestimmen.

Von welcher Tragweite jene durch den Vertrag von Tordesillas, dem Papst Julius II. durch eine besondere Bulle (im J. 1506) die kirchliche Weihe ertheilte, verfügte Theilung sein sollte, dess ist noch heute die politische Geographie Zeuge. Durch jene Initiative erklärt sich, warum die Spanier sich noch heute auf den Philippinen behaupten, und ein Reich wie Brasilien von einer portugiesisch redenden Bevölkerung beherrscht wird.

Zweiter Unterabschnitt.

Selbstständige Politik der souveränen Mächte.

I.

Innere Politik.

Die Erweiterung des geographischen Gesichtskreises, welche

mit der Entdeckung Westindiens und Ostindiens erfolgte, und die alte Politik der Päpste, die Grenzen ihrer Oberhoheit immer weiter auszudehnen, schuf eine Lage, die bei einer Mässigung der bisherigen Ansprüche in Europa und bei aufrichtiger Verfolgung der in Constanz und Basel eingeleiteten Reformen die Fortdauer der kirchlichen Einheit versprochen hätte. Die Stauung der Reformen und der durch die Fortschritte des Jahrhunderts 1) gewährte Austausch neuer Ideen führte aber eine Wiederholung der Bewegung herbei. Der Ablass, den Leo X. | ausschrieb, war wegen 1513 des dabei von den geistlichen Ablassagenten geübten Unfugs der Anlass zum Ausbruch, der zuerst von den von jeher in Rom gefürchteten Deutschen ausging, der bald auch in der deutschen 1517 Schweiz (Zürich), und dann in der französischen (Genf), und endlich in Frankreich selbst erfolgte, und in diesen Ländern die politische Auctorität nöthigte, Stellung zu der Bewegung zu nehmen. 2) Da wir uns den politischen Thatsachen nach, in der Epoche des selbstständigen Handelns der Nationen befinden, so wird von einem Eingehen in die Entwicklung dieser religiösen Bewegung, soweit sie die Stellung angeht, zu Gunsten der Kirchengeschichte hier abgesehen werden können. Die unmittelbare Folge der Stellung, die diese Epoche zur Geschichte Europa's nimmt, ist das Bedürfniss zwischen kirchengeschichtlichen Thatsachen und staatengeschichtlichen zu unterscheiden, und von den ersteren nur soweit in diesem allgemeinen Rahmen Notiz zu nehmen, als sie den Fortgang oder der Stauung der nationalen Entwicklung dienen. Dieses ist aber entweder der Fall, wo die religiöskirchliche Angelegenheit in eine den Staat bedingende umschlägt, d. h. wo die religiöse Partei die Hand ans Schwert legt, und die politische Auctorität, nachdem sie sich als Freundin der Glaubenseinheit gezeigt hat, in ihrer Geltung bedroht wird, oder aber, wo die Politik der Landesauctorität mit der religiöskirchlichen Bewegung zusammengeht.

a.

Kirchenfreundliche Politik; ihre Nutzlosigkeit.
Im deutschen Reich, wo auf Maximilian I. nach kurzer

1) Buchdruck, Beschäftigung mit dem Alterthum der Griechen, und Trieb nach Auffindung handschriftlicher Schätze aus dem römischen.

2) Die Anregung, die dazu von Luther, Zwingli und Calvin ausging, und die leitende Mitwirkung, die diese Männer dabei leisteten, muss der Darstellung des ,,Antheils der grossen Männer an der Geschichte" vorbehalten bleiben.

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