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wichtig, weil dadurch das Gleichgewicht zwischen der Macht des habsburgischen und der Macht des bourbonischen Hauses begründet wurde. Ludwigs Enkel erhielt zwar die Anerkenuung als König von Spanien und Indien, aber die spanischen Bourbonen sollten nicht 1713 successionsfähig in Frankreich sein (Stipulationen von Utrecht1). Karl VI. erhielt die spanischen Niederlande und noch einen Theil der französischen als besonderes Land, sowie die italienischen Länder spanischen Andenkens (Neapel, Mailand, Mantua, Sardi1714 nien) zugetheilt (Stipulationen von Rastatt 2). Diese Neubegründung der europäischen Verhältnisse, welche an Wichtigkeit nicht hinter der Aufgabe des westfälischen Friedens zurückstand, war die Epoche des Systems, was die Theorie des Staatsrechts das europäische Gleichgewicht (Equilibre européen) seitdem nannte. Der Sinn des nun hergestellten Gleichgewichts in Europa war der, dass Frankreich, das der Ehrgeiz trieb, die historisch ältere Macht Oesterreich zu zerstören, genöthigt wurde, sich mit der Ebenbürtigkeit zu begnügen, so dass in Europa nicht der Vorrang einer einzigen Macht, Frankreich, Tyrannei bringe, sondern die Balance zwischen zwei Mächten die Bahn der Ausgleichung und Entwicklung offen liesse.

Genau genommen, war der Utrecht-Rastatter Friede die bessere Auflage des westfälischen. Wenn nur Philipp V. die Beobachtung der Stipulationen und die Erhaltung des Gleichgewichts als Bedürfniss des Friedens in Europa praktisch erkannt hätte! Aber 1718 schon wenige Jahre nachher | mussten England, Frankreich, Holland und Oesterreich für das Ansehen des Utrecht-Rastatter Friedens durch die drohende Haltung gegen Spanien (Quadrupelallianz) eine nachträgliche Garantie schaffen!)

1) Vgl. Hauterive et Cussy, Recueil etc. I. P. T. II und III.
2) Vgl. a. a, O. I. P. T. I. p. 34.

3) Und dennoch wurde das Gleichgewicht nach zehn und einigen Jahren gestört, indem der Kaiser genöthigt wurde, das Königreich beider Sicilien an einen spanischen Infanten abzutreten, und Frankreich die Aussicht auf die Erwerbung von Lothringen erhielt, durch den Krieg, den nach August's II. von Polen Tode die bei der Besetzung des polnischen Thrones interessirten Parteien, die französische, und die russischöstrereichische drei Jahre lang (1733-36) in Italien und am Oberrhein gegeneinander führten (Krieg um die polnische Erbfolge).

Diese Störung des Gleichgewichts war das Werk des Friedens von Wien im J. 1738.

b. Im Osten. Uebergang des Vorrangs vou Schweden an Russland.

Als durch den Utrecht-Rastatter Frieden die Ruhe dem Westen und Centrum Europas wiedergegeben war, standen die Staaten im Nordosten noch in Waffen wieder einander. Doch war die strategische Ueberlegenheit, welche Schweden (Karl XII.) bis 1709 über seine bösen Nachbarn Dänemark (Friedrich V.), Polen nebst Sachsen August (II.) und Russland (Peter) bewährt hatte, seit der Niederlage bei Pultawa einer Zeit der Unthätigkeit verfallen, während welcher die Früchte zweier Friedenschlüsse 1) und des Sieges bei Holofszin verloren gingen, und nach welcher Schweden im Jahre 1714, als Karl XII. dorthin zurückkehrte, sogar um die Provinzen reducirt war, die es beim Regierungsantritt Karl's beherrscht hatte. Mit dieser durch die Niederlage des Letzteren bei Pultawa verursachten Aenderung seiner Stellung zu jenen Staaten musste es, nachdem nach Karls vorzeitigem Tode | seine Schwe- 1718 ster Ulrike Eleonore auf den Thron gehoben war, sich gefallen lassen, in besonderen Friedensschlüssen auf seinen seit einem Jahrhundert behaupteten Vorrang zu verzichten, und von einem Range als Weltmacht Abschied zu nehmen, die durch den Frieden mit Russland (zu Nystädt |) auf Russland überging.

Es verlor Bremen und Verden (an Hannover), Vorpommern zwischen Oder und Peene nebst Stettin, und die Inseln Usedom und Wollin (an Preussen), die Zollfreiheit im Sunde (an Dänemark), Liefland, Esthland, Ingermannland und einen Theil von Carelien (an Russland).

1721

Der siegreich gewesene Vertheidigungskrieg Karls XII. gegen seine Nachbarn warf noch Schatten nach, indem nach dem Tode K. August's II., der wieder seit Karls Tode die durch ihn auf 1733 dem Schlachtfelde von Pultusk (1704) verlorene Herrschaft erlangt und geübt hatte, eine Partei seinen Sohn zum Nachfolger wollte, die andere aber den Stanislaus Leczinsky, der damals (1704) von Karl dem Reichstag vorgestellt worden war, und jetzt an K. Ludwig XV. von Frankreich, seinem Schwiegersohn eine Stütze, sowie an den Königen Philipp von Spanien und Emmanuel III. von Sar

1) des Friedens von Travendal mit Dänemark (1701) und des Friedens von Altranstädt mit Sachsen (1706).

dinien mitwirkende Helfer hatte. Die russisch-österreichische Partei drang mit ihrem Candidaten (August III.) durch, der auf dem Reichstag zu Warschau vom J. 1736 bereits die allgemeine Zustimmung der Nation erlangt hatte. Aber die Partei erkaufte ihren 1738 Sieg theuer; in dem Frieden zu Wien verlor der Kaiser das Königreich beider Sicilien.

Dritter Unterabschnitt.

Annäherung Russlands an die europäischen Mächte.

Anerkennung Preussens als europäische Macht. Verabschiedung
Polens als selbstständige europäische Macht.

Excurs:

Die Ansprüche der elementaren Mächte.

I.

Vordem ein geographischer Begriff, wie es Frankreich, Spanien, und England gewesen waren,1) und wie es Italien noch war, und wie es Deutschland auf dem Wege war, auf Kosten der kaiserlichen Oberhoheit immer mehr zu werden, hatte Russland, Dank den Erfolgen der letzten Ruriks (bes. der ersten Czaren Iwan I. und II.) mit ihrer unitarischen Politik, eine ähnliche Entwicklung wie Frankreich seither hinter sich gelassen, um, nachdem die Wirren der fünfzehnjährigen Thronstreitigkeiten (1598-1613) überstanden waren, mit den Romànow (Alexei u. ff.) in die Epoche eines einzigen Reichs einzutreten. 2)

Jener erste Beweis einer Ueberlegenheit Russlands über Schweden, die bisherige Vormacht im Norden, gab ihm, das zwar schon unter den letzten Ruriks durch Hereinziehung von Arbeitskräften

2.

1) Vgl. S. 135 u. ff.

2) Vgl. Strahl und Herrmann, Geschichte Russlands (1832-66.) Bd. 1–7. Russische Bearbeitungen der Geschichte Russland von Karamsin (deutsche Uebersetzung 1820 u. ff.). von Ustrialow (deutsche Uebersetzung von Brackel, 1841), von Solowjew (1851 u. ff).

aus dem westlichen Europa, sowie durch Anknüpfung internationaler Beziehungen mit demselben angefangen hatte sich mit der europäischen Cultur zu durchdringen, besonders aber seit das Haus Romanow der Zeit des Interregnums ein Ende gemacht, seine Umwandlung im europäischem Sinne fortgesetzt hatte, den Anspruch als eine europäische Macht zu gelten, wie viel auch unangeachtet der Reformbestrebungen des Czar Peter (1689–1725) noch in den Anfängen davon stand. Peter konnte den Gewinn des Nystadter Friedens als Lohn seiner Anstrengungen, um Russland durch das Meer in bleibende politische Verbindung mit Europa zu bringen, als das erreichte Ziel seines Lebens betrachten. Die im Innern durch Umgestaltung der Armee und durch Einführung des heiligen dirigirenden Synod angebahnte Umwandlung des russischen Staatswesens versprach der neuen Stellung des Reiches nach Aussen die nachhaltigste Stütze zu geben.

Nach seinem Tode folgte nach seinem Willen in Gemäss- 1715 heit des von ihm einige Jahre vorher erlassenen Ukases, wonach der jedesmal regierende Landesherr (Kaiser) in Russland ermächtigt sein sollte, sich seinen Nachfolger selbst frei zu wählen,')

seine Gemahlin Katharina (I.), darauf (seit 1727) Peter II., Sohn des im J. 1718 im Gefängniss geendeten Alexei, und Gemahl einer Princessin von Holstein-Gottorp nach diesem (seit 1730) die Herzogin Anna (Iwanowna) von Kurland, Nichte Peters I., endlich durch eine Revolution (seit Dez. 1741) Elisabeth, Tochter Peters und Katharina's. Diese Succession war auch die Fortsetzung der Civilisirung in der von Peter gewiesenen Richtung, selbst unter Peter II., als ein Senat von acht russischen Grossen Einfluss auf seine Politik, und nach seinem Tode auf die Besetzung des Thrones erhielt, wobei, was den Umfang der europäisirenden Civilisation betrifft, allerdings nur an die höheren Stände zu denken war. Doch war der Eintritt Russlands in den Kreis der eurpäischen Reiche höchstens in dem Sinne zu verstehen, dass die alte russische Sitte, die auf Asien hinwies, wenigstens bei den höheren Ständen jene Annäherung zu hindern aufgehört hatte.

II.

Die nächsten beiden Decennien brachten auch eines der deutschen

1) Ukas vom 5. Febr. 1722.

Doergens, Aristoteles.

121

Reichslande, Kurbrandenburg zu dem Range einer europäischen Macht, wodurch freilich der Zusammenhang des deutschen Reichs noch mehr als vorher gelockert wurde. Was vordem Kursachsen, indem es die lutherische Agitation zu Gunsten einer Kirchenreform in sein Programm aufgenommen, zu erstreben versäumt, später Kurpfalz an der Spitze der calvinistischen Agitation zu Gunsten der Gleichberechtigung der Confessionen zu erstreben verfehlt, endlich Kurbaiern an der Spitze der Liga dem Hause Habsburg abzugewinnen nicht vermocht hatte, das war zuletzt Kurbrandenburg unter dem Kurfürsten Friedrich Wilhelm, gestützt auf sein Heer, vermöge seines Berufes als Schutzmacht des deutschen Nordens gegen Schweden und Polen durch geschicktes Vorgehen und Einlenken gegen Beide zu verfolgen mit Klugheit und Energie bestrebt gewesen. 1) Durch den Westfälischen Frieden bis an die Ostsee vergrössert, hatte der Kurfürst von Schweden, durch den Vertrag von Labiau (1656) und wieder durch den Vertrag von Welau (1657) von Polen die Anerkennung als souveräner Herzog von Preussen und Ermland erlangt, und endlich durch den anfangs in Thorn verhandelten, darauf im Kloster Oliva bei Danzig zu Anfang Mai 1660 abgeschlossenen Frieden, der dem Krieg zwischen Polen und Schweden ein Ende machte, die Stipulationen von Welau bestätigt erhalten. Als Verbündeter Hollands, behielt der Kurfürst im Frieden von St. Germain en Laye 1679 von den auf Schwedens Kosten gemachten Eroberungen einen Theil am rechten Oderufer. Nach 1681 eine Zeit lang einer Verbindung mit Ludwig XIV. geneigt hatte er doch eingehalten und sich als die Aufhebung des Edikts von Nantes in ihm den Gedanken weckten, sich als den Schutzherrn des Protestantismus zu betrachten, dem Bündnisse mit dem durch seine antifranzösische Politik bekannten Prinzen von Oranien genähert. Angeeifert durch den Vorsprung im Range als König, den der Kurfürst August von Sachsen durch die Annahme der polnischen Krone gewonnen hatte (1696), war des grossen Kurfürsten Nachfolger, Friedrich III., bestrebt, gleichfalls die Königskrone zu erlangen. Der Vertrag, dem das Bedürfniss des kaiserlichen

1) Stenzel, G. A. H., Geschichte des preussischen Staates. Theil 2. (1831) und 3. (1841) Zeit 1640-1739. Orlich, L. v., Gesch. des preussischen Staates im 17. Jahrh. (1838 u, f) Stuhr, P. F. Die Gesch. der grossen See- und Kolonialmacht des grossen Kurfürsten Fr. W. von Brandenburg (1839).

Den Ruf des brandenburgischen Heeres begründete seine selbststäudige Aktion an der Seite der Schweden in der siegreichen Schlacht bei Warschau (1656).

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