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Einleitung.

Der voraufgehende Band hat zweierlei dargethan. Der praktische, aber ausserwissenschaftliche Standpunkt der Erziehung des Menschen durch den Glauben, kann so wenig wie die Ergebnisse des ahnungsvollen Tastens seitens der Philosophie der Geschichte, auch wenn sie durch die Sturmmaschienen eines philosophischen Systems sollten in Bewegung gesetzt worden sein, genügen umzu diner Wissenschaft der Geschichte zu gelangen. Er hat driftens dargethan, dass es einer psychologischen Befragung der letzteren be darf, und dass diese Art der Befragung, an Momente anknüpfend, die in der Geschichte selbst liegen, sich die wissenschaftlichen Grundsätze von dieser selbst darreichen lässt. Die Ergebnisse dieser Befragung waren erstens eine Erklärung über das Werden der Geschichte, und zweitens die Erklärung der Fortdauer dieses Werdens durch das Gesetz der Selbsterhaltung.

Die Wissenschaft der Geschichte hat die Aufgabe, letzteres aus dem geschichtlichen Lehrstoff zu erläutern und dadurch aus dem Bereich der Abstraction in den Bereich der Erkenntniss hinüberzuführen. An der geschichtlichen Wirklichkeit wird die Wahrheit des Inhalts jener abstrakten Formel erkannt werden können. Die Evidenz wird der Charakter der Erläuterung des Gesetzes, und der Beweisführung sein.

Die Erkenntniss dieses Gesetzes wird die Bedingung der Erkenntniss der Geschichte selber sein. Aber bezüglich der Erläuterung ist die erste Frage die schwierigste, nämlich wo sie beginnen darf? Die zweite, die sich daran anschliesst, meint, ob die bisher befolgten äusseren Eintheilungen der Geschichte von Einfluss auf die Methode der Erläuterung sein dürfen?

Wir wollen mit der letzteren zuerst beginnen. Da das Gesetz der Selbsterhaltung, welches die Continuität der geschichtlichen Tradition bedingt, nicht blos auf die logische oder naturnothwendige Entwicklung hinweist, sondern auf ein gegenseitiges Ver

Doergens, Aristoteles.

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halten je zweier Völker ersten Ranges z. B. der Athener und Spartaner, der Macedonier und der Hellenen, der Römer und der Macedonier u. s. w. so wird die Erläuterung ihr Eintheilungsmoment aus der Aufmerksamkeit auf die Dauer der jeweiligen Concurrenz zwischen den beiden tonangebenden Völkern entnehmen. Unbeschadet bisher für gültig hingenommener Eintheilungen, welche der Belehrung über die Geschichte zu dienen bestimmt waren, wird die Wissenschaft der Geschichte über der Erläuterung des Gesetzes der Selbsterhaltung die ihrer Aufgabe, durch die Geschichte zu belehren, günstigste Eintheilung zur Geltung bringen.

Während so diese Frage methodischer Natur ist, bringt die andere, welche den Anfang der Geschichte betrifft, mit einer Contro verse in Berührung, die schon vielfach erörtert worden ist. Zwar besteht auch in Bezug auf die Eintheilung der Geschichte so wenig Uebereinstimmung, dass es selbst hier Controversen giebt. Aber diese treten an Wichtigkeit hinter jener zurück, und würde es daher unzweckmässig sein, derselben nicht Rechnung zu tragen. Die europäischen Einrichtungen, auf ihre Herkunft angesehen, weisen durch das kirchliche Mittelalter und durch die byzantinische Zeit auf Rom, die europäische Cultur durch die Renaissance abermals auf Rom, und besonders auf Athen zurück. Die Einrichtungen, welche sich in den übrigen Erdtheilen dortige Staaten gaben, die Cultur, die diese repräsentiren, rührte, sofern sie den Einrichtungen und der Cultur der Gegenwart analog sind, von Europa her. Auf semitische Einrichtungen und Cultur weist nur die kirchliche Seite der Gegenwart zurück, und zwar soweit sich Hebräer mit semitischem Wesen deckten. Wie viel auch Hellenen und Römer sich mit anderen Semiten, Aegyptern, Phönikern, Assyriern berührt haben, Nichts von dem, was in europäischem Wesen an diese uralten Völker erinnern mag, konnte unmittelbar von denselben copirt, musste vielmehr durch hebräische Semiten vermittelt werden. Daher war die althebräische Literatur eine Quelle für die Kenntniss jener uralten Völker, ehe die eigenen Denkmale derselben verstanden wurden und Berichtigungen, sowie neues Licht über ihre Vorzeit brachten. Durch inzwischen mit Erfolg betriebene Forschungen ist dies jetzt anders, und wenn wir die alten Hebräer als Beispiel in unsere Erläuterung hereinziehen, können wir wegen der internationalen Beziehungen zwischen Assyrien, Phönikien, Aegypten einerseits und den Hebräern andererseits, bereits Einiges aus den eigenen Urkunden jener umwohnenden Völker über sie beibringen.

Dieser erläuternde Beitrag würde als eine Art Vorstudie die Aufmerksamkeit sammeln können, als Probe für die Behandlung des Materials, welches die europäische Geschichte in den Dienst der Erläuterung stellt. Nach dem Untergange der beiden Reiche diesseits des Jordans (Israel und Juda) und ihrer Umwandlung in assyrische bzw. babylonische Provinzen, würde die Erläuterung bei dem Beispiele der Athener und der Spartaner beginnen. Die Frage, wo die Erläuterung, damit sie eine historische sei, anzusetzen habe, kehrt hier wieder. Vorhin war der Gegensatz zwischen jüngern Völkern und älteren leitender Gesichtspunkt, nunmehr ist es der Gegensatz zwischen jüngern und älteren Bewohnern eines gegebenen z. B. des hellenischen Landes. Bekanntlich liegt weit hinter der Unterscheidung zwischen Athenern und Spartanern zurück der Gegensatz Pelasger und Hellenen. Und doch ist nicht angedeutet worden, dass die Erläuterung mit Pelasgern und Hellenen sollte beginnen dürfen.

Sie wird aber nicht dabei beginnen dürfen, weil die soge nannte Zeit, welche diese Namen charakterisiren, nicht für histo risch gilt. Man wird sogleich fragen, was den Unterschied historisch und nichthistorisch bedinge? Es kommt also auf eine Bestimmung des Begriffs historisch an. Darunter wird verstanden, was jemals durch Menschen für die Menschheit oder für einen Theil der Menschheit je in einer bestimmten Richtung gewirkt oder gelitten wurde und als solches glaubwürdig nachgewiesen werden kann. 1) Mithin muss jenes Wirken oder Leiden, wofür nicht der Beweis der Glaubwürdigkeit, oder so lange er dafür nicht erbracht wird, für nichthistorisch gelten. Sofern es aber erzählt (gesagt) wird, gleichwie wenn es glaubwürdig (d. h. Geschichte) wäre, heisst es mit einem griechischen Wort Mythos oder mit einem lateinischen: Fabel (fabula). So ist für die Pelasger und Hellenen, jedenfalls aber für Vieles Andere, was erzählt oder besungen wurde, z. B. für Hercules, Oedipus, Theseus, nicht der Beweis erbracht worden, dass diesen Namen entsprechende Völker oder Personen existirt haben. Ebenso wenig kann dieses als von Romulus und Numa, ge

1) Der Ausdruck 'historisch' hat eigentlich nicht abstrakten Sinn. Wie heute bei den Franzosen 'histoire' einen einzelnen Auftritt bedeutet, so war es im alten Latein mit historia'. Daher der Plural Historiae bei Tacitus, nm das auszudrücken, was unser Begriff Geschichte meint. Dieser letztere Ausdruck (entst. aus d. W. Geschehenes) ist eigentl. eine Uebers. des früher beliebt gewesenen lat. W. Acta.

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