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Als logisches Ergebniss der Erfolge der Reorganisation Frankreichs, aus den politischen Motiven seines Trägers begriffen, war es der letzte Akt der aus der Tiefe des Unglücks auf das Niveau zurückgekehrten Entwicklung Frankreichs seit fünfzehn Jahren, wegen seiner principiellen Natur ein Eckstein, der, so lange er durch Sympathien gedeckt war, eine neue Aera für Europa bedeuten konnte, aber der Sympathien beraubt, und aus dem ihm nahbaren Bereich seiner Politik herausgetreten, nach Massgabe der herausgeforderten Mächte einstürzen musste!

Vom britischen Cabinet war nicht zu erwarten, dass es das Empire anerkenne. Seine bisherige Politik, die es zu verfolgen fortfuhr, fand, ganz abgesehen davon, dass die Besetzung Hannover's durch die Franzosen, die es übrigens seinerseits verursacht hatte, in der Errichtung eines Thrones für Bonaparte das richtige Hinderniss jedweder Verständigung. Diese Politik, welche bei einer Regierung natürlich war, die mit ihrer Ansicht von Landbesitz, Aemtern und Parlamentscandidatur im Feudalismus steckte, seit hundert und mehr Jahren, 1) der die Achtung vor der freien Selbstbestimmung anderer Völker, zugleich aber noch die Einsicht mangelte, welche ihr Landsmann erst zu hinterlassen berufen war, 2) riss Napoleon, der in seinem organisirenden Genie den Anspruch trug, die Staaten Europa's durch die Völker zu erneuern, auf den Weg der Despotie fort, indem er, den Absichten der Coalitionen zuvorkommend in den ihm verfallenen Ländern gewaltsam die Bedingungen ihres historischen Vorlebens beseitigte, ohne dass diese darum befragt wurden. Accompagnirt wurde die Politik, durch welche sich von England im J. 1805 Oesterreich auf den Kampfplatz schicken liess, seitens Russlands, das in der Besetzung Hannovers gleich England einen Kriegsfall betonte, und als Preussen im J. 1806 gegen Napoleon den Kampf aufnahm, abermals seitens Russlands.

Als dann, nachdem diese Mächte der wiederholt sich bewährten Ueberlegenheit sich gebeugt zu haben schienen, Napoleon ohne angegriffen zu sein, Spanien besetzte (1808), trat das Cabinet Georg's III., das sich wieder auf sich zurückgeworfen sah, aus dem Stadium der Aufreizungen heraus und unterstützte die Spa

1) seit 1691. Vgl. Sybel, v., Edmund Burke und Irland in ss. Kl. histor. Schriften S. 455 u. ff.

2) Adam Smith (durch seine Inquiry etc. wealth of nations. 1776) und die Literatur seiner Richtung.

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nier, die erst förmlich unterworfen zu werden verlangten, mit Truppen und Feldherrn. Noch einmal forderte Oesterreich den gewaltigen Kriegsherrn heraus, aber trotz bewiesener Ebenbürtigkeit vergebens. Die Niederwerfung dieses Reiches kühlte die im deutschen Norden erwachende Kampflust, welche sich vorläufig durch vereinzelte Unternehmungen (Schill's, Dörnberg's, und Friedrich Wilhelm's von Braunschweig) ankündigte, ab. Die Ueberlegen- 1809 heit, welche Napoleon erlangt, liess ihn die Vorsicht vergessen, und, während seine Heere in Spanien sich verbluteten, einen Schritt thun, welcher das seit dem Tilsiter Frieden (1807) mit ihm ausgesöhnte, und seit dem Erfurter Congress (1808, Oct.) verbündete Russland ihm wieder abwendig machte: Die Wegnahme der Mündungen von Ems, von Weser und der Elbe (1810, 13. Dez.)! Ein Krieg wurde deshalb nicht seitens Russlands erklärt, wohl aber, weil R. nicht den Blocus hielt, seitens Napoleons (1812). Ein äusseres Unglück (die traurige Rückkehr aus Russland nach resultatlosem Feldzuge), | und gleichzeitige Beschäftigung 1812 auf entgegengesetzten Punkten unter höchster Anspannung seiner Kräfte, in Spanien, wie bisher, gegen Spanier und Engländer, in Deutschland gegen die vereinigten Preussen, Russen und Oesterreicher (1813) namentlich seine Niederlage bei Leipzig, bezeichneten den Wendepunkt dieser Entwicklung, welche Europa drohte, in Frankreich aufgehen zu lassen. Der Rheinbund, welcher sich fast mit dem deutschen Reiche (Preussen und Oesterreich in ihren reducirten Grenzen ausgenommen) gedeckt hatte, lösten sich auf, die Invasion, welche nicht abzuwenden war, die zweite seit 22 1814 Jahren, den gegen sie muthig ankämpfenden Kaiser immer mehr auf Paris zurückdrängend, nöthigte diesen, weil die Sieger es forderten, zuletzt, Frankreich von den Feinden durch seine Abdankung zu erlösen (11. April).

An seine Stelle trat der bisher in England lebende Bourbone Ludwig (XVIII.) als König, und unterhandelte über den Frieden, der in Paris am letzten Tage des Mai geschlossen wurde, 1) und Frankreich die Grenzen von 1792 liess.

Excurs:

Das Decennium der kaiserlichen Herrschaft.

Die Sieger hätten nicht die Abdankung Napoleon's als Bedingung

1) Vgl. Anhang (II. 4.)

gestellt, wenn sie in Frankreichs politisch verändertem Zustande das Werk der Geschichte anerkannt hätten; sie hätten sich sagen müssen, dass dieses Reich, welches sich durch eine halbe Generation hindurch wieder an eine Stätigkeit im Innern gewöhnt hatte, bei dem anders gearteten Wesen seiner Zustände, nicht die Bourbonen ertragen werde. Hatte England, welches durch den General Monk die Stuart zurückerhielt, diese Familie lange ertragen können? Die Mächte Europa's, welche die Bourbonen nach Frankreich zurückführten, wiederholten aber die Politik Monk's. Da Napoleon den Schritt Monk's nicht hatte thun wollen, so war seine Thronbesteigung in Frankreich der Anfang einer neuen Zeit gewesen. Weil ihr Recht in der Stimme der Nation wurzelte, so war die Beseitigung des Besiegten, mochte er auch noch so weit über das Interesse der auswärtigen Nationen in seinem Kampf gegen England hinausgegriffen haben, doch in Ansehung Frankreichs ein Schritt, der einmal gegen die Sieger sich kehren konnte. Das Recht, Napoleon zu beseitigen, wenn man es streng nimmt, hatten nur die Franzosen selber. Seine Schöpfungen hätten zu Grunde gehen müssen, weil die Nationen, zumeist die deutsche, nicht dafür die Bedingungen besassen; aber der Gedanke an Fortbildung der Staatsform, zu dem Zweck, die Nationen über den Daseinsgrund ihrer Staaten aufzuklären, dem seine Regierung einen nachhaltigen Widerhall verschafft hatte, war unaustilgbar. Das Königreich Oberitalien, das Königthum in Neapel, in Spanien, die Fürstenthümer u. s. w. waren mit seiner Macht dahin. Aber was er aus Sachsen, Baiern, Würtemberg, Baden, Hessen gemacht hatte, der königliche bzw. grossherzogliche Titel sicherte den Ideen dieser Zeit eine Erinnerung, welche aus der Erziehung nicht mehr schwand.

Frankreichs eigene Zustände, die die Sieger genöthigt waren der Gnade des Bourbonen anheimzugeben, und die dieser anerkennen musste, wenn ihm anders seine Herrschaft nicht eine seine Kraft übersteigende Aufgabe aufbürden sollte, blieb die gesicherte Errungenschaft der Vergangenheit. Die Eintheilung in Departements, welche durch die Verfassung von 1791 ins Leben gerufen war, Concordat, Heer, Justiz, Verwaltung, Staatshaushalt, Universität, die in in dieser Reihenfolge die Rangordnung unter den Staatsdienern bestimmten, 1) trotzten bei ihrer meisterhaften Fügung jedem

1) Vgl. das Decret aus dem Messidor des J. XII. (1803).

Gedanken einer Aenderung, wenn sie auch weit entfernt waren, über Frankreich hinaus als Normen einer gesetzgeberischen Initiative zu dienen. Das Kirchenthum in den Grenzen des Concordats mit Einschluss der aus früherer Zeit heraufgeholten Gallicanischen Freiheiten, 1) der Verdienstadel und die bürgerliche Gleichheit Aller vor dem Gesetz bei Uebertretungen waren Grundlagen, die kein Bourbone die Kraft zu beseitigen hatte, und die daher fortfuhren, die magna charta Frankreichs zu bleiben.

Zweiter Abschnitt.

Wiederaufrichtung des Rechts der Legitimität in und ausser Frankreich; Fortsetzung des Kampfes mit dem Zeitgeist.

Vorbemerkung. 2)

Die Epoche der Restauration, welche durch Verleihung einer Charte (4. Juni) mit sich aussöhnen zu können glaubte, weckte keine Zufriedenheit, weil 1) die Schulden (60 Mill.), die der König während seiner Abwesenheit ausserhalb Frankreichs gemacht hatte, dem Staatsschatz aufgebürdet wurden, 2) die Einführung der Censur, 3) die Ausdehnung der Policeigewalt und das Verfahren der Prevôtalgerichtshöfe gegen politisch Verdächtige durch Verfolgung der Anhänger des Kaisers einerseits und der Republicaner andererseits das Vertrauen in die Charte zerstörten.

Die auswärtigen Cabinette, welche, seit Napoleon auf Elba residirte, mit dem Sturze desselben glaubten der Revolution den Kopf zertreten zu haben, waren, durch Gesandten vertreten, mittlerweile (20. Sept.) in Wien zu einem Congress zusammengetreten, der die Rehabilitirung der europäischen Verhältnisse zu berathen haben sollte. Der Verlauf, den diese Berathungen nahmen, deutete

1) Im J. 1682 aus einer Declaration über die Grenzen der Staats- und Kirchengewalt seitens des gesammten (von Bossuet geleiteten) Klerus hervorgegangen, wurden diese Freiheiten im J. 1810 als Gesetz des Kaiserreichs bestätigt, und im J. 1826 durch eine Erklärung von 74 französischen Bischöfen als zu recht bestehend anerkannt. Vgl. oben S. 124.

2) Vgl. Lacretelle, Histoire de France depuis la restauration (1829); Capefigue, Histoire de la restauration (1831); Lamartine, Histoire de la restauration (1852 ff.); de Vaulabelle, Histoire des deux restaurations (1852 ff.)

nicht auf Dauer des erlangten Friedens, und kündigte zuletzt Krieg zwischen den Siegern selbst an. Napoleon, bei seiner Aufmerksamkeit auf Alles, was ihm eine Aussicht auf Rückkehr eröffnete hatte nicht die Geduld des Wartens. Besser wäre es gewesen, dass er, nachdem er einmal gestürzt war, diese Tugend geübt hätte, bis Frankreich sich gegen den Bourbonen erhob, was noch nicht so nahe war. Dann hätte selbst der Wiener Congress sich die Ueberzeugung bilden müssen, dass Napoleon eine Nothwendigkeit für Frankreich sei. Eine Capitulation mit dem Erwählten der Nation hätte die Aera, welche er Frankreich im Innern eröffnet hatte, erneuert, und nicht den Schaden gebracht, den Napoleons verfrühte Rückkehr brachte. Mangels noch nicht gewonnener Ueberzeugung stürzten sich die Cabinette in eine neue Coalition (1815, Ende März), als Napoleon erst kaum eine Woche in Paris zurück war. Seine jähe, nach dreimonatlicher Herrschaft erfolgte Niederlage brachte nicht blos Frankreich, wegen des Uebermuths der Royalisten, sondern auch Deutschland, und den südlichen Ländern wegen der geheimen, durch die heilige Allianz beschönigten, persönlichen Vereinbarung der Souveräne zum Nachtheil der unabweisbaren politischen Forderungen der Zeit1) nachhaltigen Schaden. Die Cabinette wollten von einer auf sie übergegangenen durch den Zeitgeist gestellten politischen Aufgabe in ihren Ländern nichts wissen. Die Ruthe in der Hand, erschöpfte sich ihre politische Weisheit in der Wachsamkeit des Hasses gegen den Geist der Zeit, auf beiden Ufern des Rheines.

Erster Unterabschnitt.

Die Zeit der Bourbonen. 2)

Die Politik Metternichs und seines Anhangs gegen die Hyder des Zeitgeistes.

Die Zwischenzeit der hundert Tage.

Ludwig XVIII. sah schon die Wiederkehr seines Regierungs

1) Vgl. Anhang (II. 5). England trat nicht bei. Von Polen her bekannt, hätten diese Mächte sich hüten sollen, diese Erinnerung durch eine heilige Allianz aufzufrischen!

2) Vgl. Gervinus, Geschichte des neunzehnten Jahrhunderts Bd. 1-8. Ueber

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