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Krone wie Regierung erwarten zu lassen, dass sie die Leitung in Deutschland wolle. In der Form, da sie den feudalen Charakter zeigte, war das, wodurch sie diese Erwartungen nährte, wesentlich von dem verschieden, was sich mit dem Bedürfniss des Zeitgeistes deckte. Man hätte, wenn die Regierung Zeit gehabt das Ideal einer Nationalrepräsentation, wie es ihr vorschwebte, zu entwickeln, zuletzt eine nationale Vertretung nach Ständen bekommen, also eine Wiederholung der altkaiserlichen Einrichtung des deutschen Reichstags, nur unter preussischer Oberleitung. Das konnte die Nation aus der Thronrede entnehmen, womit Friedrich Wilhelm IV. am 11. April 1847 den Vereinigten Landtag eröffnete. Trotz der Anregung, die die Krone Preussen den Geistern brachte wäre eine derartige Wiederheraufführung ausgelebter Zustände nur eine galvanische Weckung, nicht eine Erneuerung des nationalen Lebens gewesen.

Das Verlangen der Zeit, das in Frankreich schon seinen Ausdruck gefunden hatte, war auf die Constituirung der politischen Gesellschaft, nicht auf die Privilegirung einzelner Classen innerhalb derselben gerichtet. Ohne einen neuen Anstoss von Aussen wäre ohne Zweifel die Einigung der deutschen Nation in feudalem Sinne Mangels einer modernen nach und nach zu Stande gekommen.

Da wurde die vorsichtige Arbeit durch die Ereignisse des nächsten Frühjahrs (1848) unterbrochen, ihr Ideal zerstört und Preussen genöthigt, das Material der Zeit sich anzueignen, und mit diesem auf das Ziel, welches ihm durch sein Talent angewiesen war, loszusteuern, nachdem der Nation und seinem Parlament die Aufgabe zu erfüllen allein, und ohne Leitung zur Unmöglichkeit geworden war. Preussen musste sich erst durch den Zeitgeist aufrichtig modernisiren, damit der Unterschied zwischen der altfränkischen Zeit (Oesterreich) und der neuen der Nation eine entschiedene Wahl gestatten könne, ehe es die Idee der Zeit innerhalb derselben zu verwirklichen wagen durfte. Das Resultat der zweijährigen Bewegung war der Gegensatz zwischen Oesterreich nebst den Regierungen, die mit ihm den Bundestag zu beschicken entschlossen waren, und Preussen, das der Wiederherstellung des Bundestages entgegen war, weil seiner Unionspolitik damit ein Strich durch die Rechnung gemacht wurde. Die Auflösung der Union, wodurch es einem Kriege gegen Oester- 1850 reich auswich (Nov.) und seine Nachgiebigkeit gegen die öster

reichische Politik in Olmütz (29. Nov.) zeigten, dass Preussen, um an die Spitze einer Bewegung zu treten, die die Nation neu organisiren sollte, sich noch nicht die Kraft zutraute. Die Folge von dem, was zwischen beiden Grossmächten in Olmütz beschlossen war, brachte den kleinen Staaten grosses Unglück; es gab Hessen den Executionstruppen und Holstein dem Fanatismus der dänischen Bevölkerung preis.

Es war die dritte Heimsuchung der Nation seit den Wiener Verträgen; Hass gegen Oesterreich und Unglauben gegen das, was Preussen für sie thun könnte, warf sie in einen Zustand der Blasirtheit.

III.

Von dem Anstoss, den die Julirevolution gegeben, zogen nur die Belgier Früchte. 1) Von der Regierung Hollands, an das Belgien durch den Wiener Congress gekommen, obwohl es 1) viel bevölkerter und 2) von wesentlich anderem Charakter in Hinsicht der Nationalität war, seither durch permanenten Druck misshandelt, erhoben sie sich gegen die holländischen Beamten, und forderten zuerst getrennte Verwaltung, ohne die Fortdauer der Personalunion anzutasten. Die Antwort war ein holländisches Executionsheer, welches gegen die Brüsseler geschickt wurde, die aber, von allerwärts, besonders von Lüttich her, durch Kämpfer verstärkt, vier Tage hindurch muthig den Kampf gegen geschulte Truppen bestanden (21.-26. Sept.). Der Sieg blieb den Aufständischen; die holländische Armee wurde total geschlagen. In kurzer Zeit waren die holländischen Auctoritäten zum Lande hinaus. Der König kannte nur den Weg der Strenge, er liess Antwerpen so furchtbar bombardiren, dass die Belgier erbittert völlige Lostrennung von Holland verlangten, und, um diese zu bewerkstelligen, einen Nationalcongress nach Brüssel beriefen. Dieser, am 10. Nov. eröffnet, nahm für Belgien die monarchisch-constitutionelle Verfassung, aber unter Ausschliessung des Hauses Oranien vom Throne Den Grossmächten, von denen K. Wilhelm Mitwirkung zur Wiederunterwerfung verlangt hatte, wurden zum Glück für Belgien die Hände gebunden. In England kam ein liberales Cabinet ans

an.

1) Vgl. Oppelt, Histoire générale et chronologique de la Belgique de 1830 á 1860 (1861).

Ruder, und in Polen brach eine gefährliche Revolution aus, welche Russlands ganze Kraft in Anspruch nahm. Froh übrigens, das monarchische Princip gerettet zu sehen, genehmigten die Cabinette von Wien, Berlin und Petersburg die Wahl des von England auf der Londoner Conferenz empfohlenen Prinzen Leopold von S.-Coburg zum König von Belgien (4. Juni).

Anfangs August versuchte der Prinz von Oranien von Neuem in Belgien einzurücken. Aber der Anmarsch einer französischen Armee, und die Einsprache der Gesandten Englands und Frankreichs trieben die Holländer zurück. Der König von Holland wollte um keinen Preis in die Abtretung willigen, und musste daher durch eine französische Armee im Dezember 1832 gezwungen werden, die Citadelle von Antwerpen zu übergeben. Ende Mai des folgenden Jahrs kam ein Präliminarvertrag zwischen England, Frankreich und Holland zu Stande. Aber es dauerte noch fünf Jahre, bis Holland die Artikel der Londoner Conferenz definitiv annahm.

IV.

In Italien zeigten sich keine mit nationalen Wünschen irgendwie in Verbindung stehende Wirkungen der von der Julirevolution ausgegangenen Anregung. Nur vereinzelte Aufstände in Parma, Modena, im Kirchenstaat, welche den Charakter particularistischer Unzufriedenheit an sich trugen (1831). In zwei Monaten war Alles vorüber.

Das Verdienst, den Gedanken nationaler Bewegung angeregt und in Schwung gebracht zu haben, gebührt dem Anstoss, den Papst Pius IX. durch seine Reformen gab (1846 u. f.). Der Staat, der, weil er selbstständig handeln konnte, allein berufen war, sich den nationalen Gedanken anzueignen, Sardinien (Piemont), damals unter dem ritterlichen König Carlo Alberto, litt an Beschränktheit des Gebietes, um eine Initiative der Art, wenn er sie hätte ergreifen wollen, rechtfertigen zu können, daher er zunächst auf den Weg der Vergrösserung seines Gebietes gewiesen war. 1) Diesen Weg betrat Carlo Alberto, unterstützt durch das frische Leben, welches die durch Verkündigung der Verfassung am 4. März

1) Vgl. Cibrario, Storia della monarchia di Savoia (1840).

des Monats. 1)

1848 eröffnete constitutionelle Aera erzeugt hatte, noch vor Ablauf Aber der gegen Oesterreich begonnene Feldzug endete nach der Niederlage bei Custozza (25. Juli) mit einem Waffenstillstande, und als dieser im folgenden Jahre (12. März) gekündigt war, dieser zweite Feldzug eben so rasch als unglücklich, und zog die Abdankung des Königs nach sich.

Die nationale Bewegung war nicht damit begraben; Oesterreich verlor im Besitze seines Einflusses nach und nach auch den Dank, der seinen besten Einrichtungen gebührte.

Dritter Abschnitt.

Wiederkehr des Empire in Frankreich.

Die Erndte von Olmütz (Suprematie Russlands); Erlösung Europa's.
Anerkennung der Türkei als europäischer Staat.
Politik Sardiniens und Preussens gegen Oesterreich; ihr Sieg.
Errichtung des deutschen Reichs.

1848

Erster Unterabschnitt.

Wiederkehr des Empire; Die Erndte von Olmütz; Erlösung
Europa's.

In Frankreich war auf das Königthum eine provisorische Regierung, dann die Dictatur Cavaignacs, endlich die Präsidentschaft Louis Napoleons gefolgt. 2) Die Ordnung hatte in dem Napoleoniden, den die napoleonisch Gesinnten durch ihr Votum auf den Präsidentenstuhl der durch die Verfassung vom 4. Nov. definitiv constituirten Republik gehoben hatten, eine kräftige Stütze erbalten. Das Vertrauen der conservativen Franzosen, das er sich durch Wachsamkeit gegen die Elemente der Unordnung erworben, und der Dank, den er durch Wiedereroberung Roms bei den Cabinetten sowohl wie bei dem Klerus in Frankreich erzielt hatte, waren Titel,

1) Vgl. Pinelli, Piemonts Militärgeschichte (übers. v. Riese, 1857).

2) Vgl. Garnier-Pagès, Histoire de la revolution de 1848. Regnault, Histoire du gouvernement provisoire (1840).

von denen er in seinem Gewissen sich Indemnität versprach, wenn er die Republik gegen das Kaiserreich vertauschen würde. Die Gewalt, welche er gebrauchte, um diese Umwandlung zu Stande zu Stande zu bringen, durchgreifend, gleich einem Naturereig- 1851 nisse, begründete durch die Wirkung, die sie hatte, eine Epoche für Europa (2. Dez.). Ein Jahr später erfolgte die Errichtung des Thrones. Für Frankreich die Erneuerung einer durch Europa zertrümmerten Einrichtung, bedeutete sie für letzteres den Gegensatz gegen die Fortsetzung des veralteten Systems, das seit den Olmützer Vereinbarungen in dem russischen Kaiser Nicolai seinen Vertreter besass.

Diese Vereinbarungen (,,Punctationen") konnten als ein Amendement zu der Wiener Schlussakte, zum Nachtheile Preussens, in dem dieses aus dem Range der stimmführenden Mächte eine Stufe seitwärts gedrängt wurde, gelten. Durch den principiellen Gegensatz der Souveräne von Russland und Frankreich von Ferne angekündigt, durch den Gegensatz der confessionellen Interessen in Jerusalem verursacht, durch die Kriegserklärung Russlands an die Pforte veranlasst, diente der Krimkrieg durch die Siege der mit Letzterer verbündeten Franzosen, Engländer und Sardinier und durch die Zerstörung Sebastopols dazu, die Furcht vor Russland in Europa zu zerstören. Inzwischen hatte Alexander II. hier die Regierung übernommen; ihm kam es zu, Friede zu verlangen. Die Wirkungen der Punctationen waren geschwunden; das Verhältniss Preussens gegenüber Oesterreich wurde wieder hergestellt, indem das französische Cabinet bei den Friedensverhandlungen in Paris die Zuziehung Preussens, obwohl dieses keinen direkten Antheil am Kriege genommen hatte, beantragte und durch Englands Beistimmung erlangte. Der Pariser Friede stellte andererseits die Türkei, deren Besitztitel vorher vom europäischen Staatsrecht nur als Occupation im Permanenz betrachtet worden war, unter die Garantie Europa's gegenüber Russland, wodurch diesem Reiche angedeutet werden sollte, dass seine civilisatorischen Aufgaben in der Richtung nach Osten liegen.

Durch diese beiden Gesichtspunkte erhielt der Pariser Friede vom 30. März 1856 eine Geltung als Bürgschaft der Erhaltung des Gleichgewichts in Europa. Er war zugleich die Legitimation der Fähigkeiten des Kaisers Napoleon als europäischen Herrschers.

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