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sam das nämliche letzte Stadium einer tief in Asien begonnen gewesenen Entwicklung darstellen. Es käme also darauf an, auf die Repräsentanten der nächstvorhergehenden Stufen einzugehen

Besondere Ueberschriften tragen im Inventar die allgemeinen Entwicklungsphasen nicht; sie sollten freigestellt sein, damit wenn Jemand durchaus nicht von den traditionell gewordenen ablassen könnte, er nicht durch andere belästigt würde.

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Durch den grossen Streifen, den die zweihundertjährige Wanderung (375-568) zwischen das alte Rom und das christliche Europa hindurch gezogen hat, wird die Aussicht auf zwei noch allgemeinere Ueberschriften eröffnet; die erste würde lauten:,,Geschichte des Orients mit Einschluss der Hellenen, der Makedonien und der Römer, soweit sie ihre Erben waren" die zweite:,,Geschichte Europa's, mit der Geschichte der Römer, soweit sie West- und Mittel-Europa civilisirt hatten, als Einleitung."

Zweitens. Das Inventar beginnt erst mit den Hellenen, weil sie, die nach unserer geographischen Auffassung Europa bewohnen, die europäische Geschichte einzuleiten aus einem besonderen Grunde geeignet sind. Eigentlich hätte, weil sie nach vornhin gemachten Andeutungen ihrerseits die letzte Stufe einer Entwicklung bezeichnen, das Inventar entweder auf noch Früheres zurückgreifen, oder auf sie verzichten müssen, zusammt den Macedoniern und den nach ihnen die orientalische Erbschaft sich aneignenden Römern, die, soweit sie Europa westlich vom Adria und Rheine civilisirt hatten, als Einleitung genügt hätten. So wird die Einwendung der Kritik lauten. Ja, wiese die Geschichte Europa's in der Renaissancezeit nicht auf die hellenisch-römische Zeit zurück, so möchte allerdings jene Einwendung ihre Richtigkeit haben. Aber eben um des letzterwähnten Umstandes willen beginnt das Inventar mit der Geschichte der Hellenen, wenngleich durch sie eine andere als ästhetische und philosophische Einwirkung auf Europa wesentlich nicht stattfand. Dass aber die Hellenen mit ihrer ganzen Entwicklung in die Schicksale des Orients verflochten blieben, zeigte sich 1) unter den Römern, unter denen sie ein abgewandtes Stillleben führten, und 2) als die tausendjährige Periode begann, während welcher dem byzantinischen Reich den Faden der römischen Entwicklung eine Parce gnädig weiter spann, unter diesem, und 3) nach zweihundertjähriger Unterbrechung, während welcher sie unter westeuropäischen Dynasten standen, seit dem Uebergang der Türken (Osmanli) nach Europa, besonders wegen des Falles von Con

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stantinopel (1453), unter diesen. Während die Hellenen ihrem geistigen Einfluss, den sie zweimal auf Europa geübt hatten, zuerst durch die Römer, dann durch die Renaissancezeit, den Vorzug verdanken, der Geschichte Europa's als Einleitung zu dienen, sind die älteren Völker, mit denen sie als letzte Stufe doch in longitudinalem Zusammenhange standen, die Völker in den Ländern am Euphrat, am Libanon und am Nil, ohne allen und jeden Anspruch auf eine derartige methodische Inbetrachtnahme. Die Verwerthung des Materials, das diese gewähren, soweit es gehoben ist, und noch gehoben wird, weist auf eine andere Gelegenheit hin.

Möge vorderhand dem Abschnitt, welcher als erste allgemeine Entwicklungphase bezeichnet ist, als der höchsten Stufe einer Entwicklung, zu welcher voraufgegangene Völker geführt hatten, die Geltung einer methodischen Vorstudie zur Geschichte Europa's erhalten bleiben!

Drittens. Es ist darauf Bedacht genommen, individuelle Entwicklung eines Volkes und internationale Berührungen desselben wo möglich gesondert zu betrachten, 1) weil diese Art der Inventorirung den Erfolg der Belehrung über den Zusammenhang der Thatsachen erhöht. Die Betonung dieses Vortheils berührt sich mit dem Bedürfniss dessen, was man praktische Darstellung überhaupt nennt. Wie es Niemanden begegnen wird, dieses gegenwärtige Werk zur Philosophie der Geschichte zu rechnen, so würde andererseits demselben ein Unrecht geschehen, sollte es um des Inventars willen zu den Schulcompendien gezählt werden. Es lässt den letzteren ihren Werth, ohne dass der Verfasser in den Vorwurf einstimmt, den man denselben zu machen pflegt, dass sie das Ablenken der Leser von der praktischen Bedeutung der Geschichte gleichsam systematisch betreiben. 2)

Diejenigen, welche den Compendien so einen Vorwurf machen, übersehen, dass bei ihrer Beschaffenheit ein Moment in Betracht kommt, dem gegenüber ein Verfasser elastisch genug sein muss, um nicht Alles oder gar nichts zu wollen. Pädagogisch betrachtet ist die Belehrung über die Geschichte an eine stufenweise fortschreitende Behandlung geknüpft, und, indem sie von dem Mosaik ausgeht, steigt sie allmählich auf, bis sie psychologisch verfahren

1) Vgl. Aristoteles I. S. 71 u. ff.

2) Vgl Kolb, Culturgeschichte der Menschheit u. s. w. Bd. I. S. VI.

darf. Dass die Geschichte eine Lehrmeisterin sei, hat seine Anwendung auf die, welche am Staatsleben theilnehmen, und in eminentem Sinne auf die Leiter der Politik. Davon können die Discorsi des Florentiners über Livius Jeden überzeugen. Ein Staatsmann war es auch gewesen, der jenes Lob von ihr prädicirte. Für Alle im Ganzen genommen, reicht der Standpunkt aus, dass durch die Geschichte die Erkenntniss der im Men schen liegenden Kräfte, der Fähigkeit und Bestimmung derselben während jeder Phase in immer weitere Kreise getragen werde. Verfolgt die Vorlesung an der Universität diese Methode, so versteht sich, dass sie es mit dem Zweck des geschichtlichen Studiums sehr praktisch nehmen muss. Die Tragweite dieses Princips liegt aber über das Compendium hinaus; es ist die psychologische Ergründung zum lebendigen Vortheil der Zuhörer. Das Compendium dient der Memorirübung.

Zweiter Abschnitt.

Die Continuität.

(Beerbung in der Geschichte).

Wir setzen, obgleich der neue Abschnitt einen neuen Gegenstand zu versprechen scheint, die Erläuterung der Methode noch eine Weile fort, und verbinden beides miteinander, die Erläuterung und die Thatsache der Continuität.

Die allgemeinen Entwicklungsphasen weisen je in ihrer Epoche je auf eine abgelaufene Phase zurück. Dem Zwecke auf die Epoche aufmerksam zu machen, dienen die Excurse zum Schlusse jeder Phase. Von diesem Standpunkt dürfte daher der vierte Abschnitt der ersten Phase in seinem ersten Theile auch als Excurs anzusehen sein. 1) Jede folgende Phase bildet sich aus dem Materiale jeder vorangegangenen heraus. Dies ist die Continuität innerhalb derselben; sie ist anolog derjenigen, von der das Staatsrecht hinsichtlich des öffentlichen Rechts handelt. Den Nachweis der Continuität geben für die letzten Jahrhunderte die Excurse des Inventars. Vorbehalten war der Nachweis der Continuität zwischen

1) S. oben S. 72 u. ff.

der Epoche die Geschichte des christlichen Europas und dem römischen Reiche. Zwischen die Geschichte der Staaten und das alte Rom schieben sich 1) das karolingische Reich und 2) das universale Staatswesen der Päpste ein. Die Entstehung des ersteren, welches der kaum begonnenen Entwicklung der einzelnen Staatswesen, wie sie sich in den von Westgothen, Burgundern, Franken aufgestellten sogenannten romanischen Verfassungen (leges Romanac) angekündigt hatten, das Capitularienrecht substituirte, weicht hinsichtlich der Gelegenheit, die es bietet, um zu erfahren, wie die geschichtliche Beerbung zu verstehen ist, an Interesse der Entstehung des päpstlichen Staatswesens. Das altrömische kaiserliche Staatswesen war durch die Barbareninvasion aus der Geschichte gestrichen. Aber die Fähigkeit, welche sein Rechtsinventar repräsentirte, konnte nicht gestrichen werden. Sie wartete eines Erben, der mit ihr auch ihre Bestandtheile, die Formen und die durch sie geschützte Cultur, übernehmen könnte. Das karolingische Reich hatte das nur unvollständig verstanden. Solchergestalt musste sich die Kirche, von ehrgeizigen Oberhirten geleitet, gefallen lassen, 1) die altrömischen Formen sich wie ein ihr verfallenes Vermächtniss anzueignen. Darin lag etwas Normirendes, die Dressur zur Anwendung der ihr eigenen Kraft; sie hätte der politischen Aufgabe der neu entstehenden Nationen überlassen werden dürfen. Aber die Kirche trat als Erbin auf. Mag man sie deshalb als nothwendige Schule für die Nationen betrachten, was noch fraglich sein kann, oder als überflüssige, was auch nicht geradezu behauptet werden kann, jedenfalls wird die Darstellung des Processes der Controverse mit für und gegen gleichviel Material zuführen.

Der Abschnitt wird sich zuerst mit ihr als Erbin, und hernach mit dem Staat als Erbe beschaffen. Beide sind die allgemeinen Organismen, worin die Arbeit der Geschichte Europa's aufgeht.

Erster Unterabschnitt.

Die Erbschaft der Papstkirche.

1. Controliren wir die Analogie einiger Einrichtungen. Als der christliche Cultus Dank der Initiative Constantin's aus den Ver

1) Vgl. Aristoteles I. S. 52 u. f. 66 u. f.

stecken hervor an das Tageslicht hatte treten dürfen, nahmen ihn Gebäude auf, die die Christen für ihn erlangten, oder ihm besonders errichteten. Durch Theodosius, der die heidnischen Opfer bestrafte, trat die vollständige Umwandlung der bisher dem polytheistischen Cultus gewidmeten Tempel in Orte der Anbetung des einzigen Gottes ein. Die Basiliken, welche vordem von dem Lärme der Parteien widergehallt hatten, wurden Stätten des Gebetes. Lediglich lag es in der Bestimmung, welche der christliche Cultus denselben gab, dass der Raum für das Publikum (Auditorium) zum Schiffe wurde unter Vergleichung der Kirche mit der Arche, welche die durch Christus Erlösten aufnimmt. Die Schranken (cancelli), welche das Auditorium von dem für den Prätor reservirten höher gelegenen Raum getrennt hatten, erhielten die Bestimmung für die geistliche Anrede (Bua; aus cancelli wurde nachmals Kanzel). Die Anhöhe selbst erhielt die Bestimmung für die liturgischen Handlungen im Namen der Gemeinde. Darunter die Krypte als Erinnerung an die Katakomben. Der Amtsstuhl (tribunal) des Prätors wandelte sich in die Kathedra des Bischofs, und das Götterbild (simulacrum) an der Hinterwand in der Nische, gegenüber dem Auditorium, wich dem christlichen Opfertisch, über dem sich erst spät, als das Kreuz bzw. der Gekreuzigte keine Zielscheibe des Spottes mehr war, auch dieses Zeichen der Erlösung sich erhob.

Die Dalmatica wurde die der Stellung des Priesters, wenn er ausser Function war, entsprechende Robe, wenn er administrirte, die Stola.

Seit die christliche Gesellschaft aus der ursprünglichen Brüdergemeinde hervorgegangen war, und, ein sociales Ingredienz, die römische und provinciale Welt allerwärts im Reiche durchdrungen, hatte sie sich äusserlich nach Priestern und Laien gegliedert, wenn auch innerlich durch die Vorstellung von dem beide Elemente umfassenden Bande der Zugehörigkeit zu Christus (Klerus) vereint. Wesentlichen Unterschied begründete der Stand des Sünders. Dieser Lehre kam die Anschauung von dem Unterschiede zwischen Sclaven und Freien entgegen. Die Gebundenheit des Sünders entsprach vom geistigen Standpunkt dem, was socialpolitisch unter römischer Herrschaft die Gebundenheit des Sclaven zu bedeuten gehabt hatte. Daraus folgte die Lehre von dem Bedürfnisse der Absolution nach dem Falle des Christen unter die Macht der Sünde und des Fleisches durch den Priester, in Verwandtschaft mit dem Gnadengeschenk der Manumission durch den Prätor für den Sclaven.

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