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schweige von Amulius und Numitor oder gar von Latinus bewiesen. gelten. Auf diese Erzählungen dürfte also die Erläuterung des historischen Gesetzes nicht zurückgreifen; sie darf sich nur durch historische Erzählungen bedienen lassen. Denn Gleiches soll durch Gleiches erkannt werden.

Auch in Bezug auf die hellenische und die römische Vorzeit ist die Forschung fortdauernd thätig gewesen, der Sage Terrain zu entreissen. Wir können daher verhältnissmässig weit zurückgreifen, und handelt es sich auch nicht durchaus um historische Ereignisse, so wird doch noch das Zeugniss ethnographischer Thatsachen angerufen werden können.

Im Allgemeinen darf als empfehlenswerth gelten, die geschichtliche Erläuterung des Gesetzes, sei es, dass sie aus dem Material der semitischen Geschichten, oder aus dem der, hellenischen bzw. der römischen geschehe, da zu beginnen, wo eine Concurrenz zweier Stämme oder Völker d. h. wo internationale Beziehungen eintraten.

Die Fortsetzung der historischen Erläuterung durch die PeriodenGeschichten bis auf die Gegenwart herab wird einer Classification der Völker gleichen. Wir werden diese Geschichten je auf ihren Gewinn prüfen, und daraus wieder Gesetze ableiten, welche die Entstehung der Geschichte im Allgemeinen bestimmen, ihre Entfaltung. regeln und ihr Aufhören im Einzelnen herbeizuführen. Durch diese psychologische Forschung werden wir das historische Gesetz, das der erste Haupttheil logisch abgeleitet hat, als wissenschaftliche Thatsache begründen, so weit dies durch die Erforschung des Antheils der Völker an der Geschichte erreicht werden kann.

Was es aber empfehlenswerth macht, die geschichtliche Erläuterung des Gesetzes erst da beginnen zu lassen, wo internationale Beziehungen eintraten, das ist, abgesehen davon, dass das Gesetz selbst die parallele Entwickelung meint, der Umstand, weil man vor dem Eintritte internationaler Beziehungen sich zwar Geschichten, aber nicht der Geschichte gegenüber steht. Aber selbst das Beginnen bei solchen Anlässen schliesst die Frage nach der Glaubwürdigkeit nicht aus.

Der Weg der Erläuterung ist also ein inductorischer. Mit jedem neuen Beispiel wird durch die Erläuterung der Inhalt des Gesetzes um eine neue Stütze reicher, bis die höchste Wahrscheinlichkeit sich mit der Gewissheit deckt.

Erste Abtheilung.

Klima. Herkunft und Vorrang der Jonier, Achäer, Dorer,

Aeoler.

Vorbemerkung.

Wir können uns die Natur nicht denken ohne den Menschen; ohne ihn wäre sie zwecklos. Aber wie kommt es, fragen wir, dass die Geschichte ihren Anfang im Süden genommen hat? Wie viel hat die Natur dazu gethan, dass in Europa z. B. die Jonier am Eingange zur Geschichte erscheinen?

Ferner werden wir, wie immer später der Mensch heissen mag, ob Jonier oder Dorier oder Samniter, fragen, woher der Jonier u. s. w. kam, und endlich, worin das specifisch Hellenische, bzw. Römische besteht, wodurch die voraufgegangene Entwicklungsstufe verwischt worden war? Religion und Sprache waren vorhanden gewesen, ehe es Hellenen und Römer in der Geschichte gab; sie waren im Ausdruck des Ariers bezeugt gewesen, und wurden hellenisirt bezw. romanisirt. Was war von Arischem darin noch erkennbar?

Auf diese Fragen zu antworten, ist schwierig. Aber die geschichtliche Erläuterung des Gesetzes verlangt, dass sie zuvor beantwortet werden. Jede dieser Fragen verlangt also eine Betrachtung. Die Ursache der zeitlichen Priorität des Joniers (Hellenen), die Angabe seiner Herkunft, der Zug seiner Religion und die typischen Grundelemente seiner Sprache sind der Inhalt dieser Betrachtungen.

Erster Abschnitt.

Vom Klima.

In modernen Werken über Geschichte der Civilisation wird dem Einflusse des Klima's ein grosser Werth beigelegt. Mit Recht, so lange davon im weiten Rahmen eines Welttheils Schlüsse ent lehnt werden. Aber unwahrscheinlich sind die Resultate, sobald man z. B. wegen gewisser Literatur- oder Kunstrichtungen aus klimatischen Momenten prognosticirte, wie es hin und wieder einem Monographen begegnete. Das rührte von dem langgenährten Vorurtheil her, dass die hellenische Cultur ohne Vorgängerin wäre. Fanden sich aber die Anfänge zu dem, was die Hellenen befähigte, am Eingange der Geschichte Europa's zu erscheinen, nur bei ihnen selber, und wäre demnach sie etwas Anfangsloses zu nennen? Wer dieses bejahen wollte, müsste allerdings dem Klima einen absolut bedingenden Einfluss zuschreiben. Aber da es in Griechenland seit alten Zeiten sich gleich geblieben, warum hat jenes Land, nachdem seine classische Bevölkerung Rom erlegen und dadurch zu Grunde gegangen war, nicht mittlerweile ein zweites jenem ersten ebenbürtiges Volk hervorgebracht? Oder thun wir mit dieser Frage Unrecht, und wird es nur von unserer Geduld einst abgehangen haben, um zu sehen, oder jenem Lande bezeugen zu können, dass es allerdings fähig war, noch einmal ein ähnliches Volk mit einem ähnlichen Vorrang in der geistigen Welt zu erzeugen? Sollte dieser Fall einmal eintreten können, dann möchte allerdings den vom Klima hergenommenen Beweisgründen für die Ursache des Vorrangs der alten Hellenen nicht entgegen getreten werden dürfen. Aber wir brauchen nicht zu warten, ob jener Fall eintreten wird, um zu wissen, dass dem Klima Griechenlands nicht die absolut bedingende Bedeutung zukommt. Denn erstens würde die Natur als erziehlicher Faktor mit sich in Widerspruch 'gebracht werden. Ist doch heute der Vorrang bei den nördlicher und westlicher wohnender Völkern! Es müsste also, da consequenter Weise abermals die Erklärung dafür aus klimatischen Ursachen geholt werden dürfte, bedenklich um die absolute Geltung der Ursachen stehen, wie sie für Griechenland aus seinem Klima entnommen werden. Zweitens steht fest, dass die den Vorrang der Hellenen bedingende Cultur die höchste Blüthe einer Cultur war, zu der ostwärts und südwärts wohnende Völker als Vorstufen gedient hatten.

Also hat die Benutzung der klimatischen Ursachen als eines methodischen Beweismittels bei der Erklärung der Entstehung der Geschichte ihre Grenze. Sie können im Allgemeinen beweisen, aber die nationale Mitgift der Hellenen ist ihr Correctiv. Das Klima kann erklären, warum z. B. die Hellenen eine frühere Cultur hatten, als die Batavier oder Britanner. Dieses Zurückgehen auf klimatische Ursachen hat aber auch nur Tragweite, insofern es sich darum handelt, die zeitliche Priorität jenes Vorranges der alten Hellenen zu erklären. Heute kann das Klima als massgebendes Erklärungsmittel nicht mehr dienen. Was heute anderswo die höhere Cultur bedingt, erklärt nicht mehr das Klima, sondern die Geschichte selbst.

Was ist das Klima? Man versteht hierunter die Gesammtheit der Temperaturverhältnisse. Insofern man diese unter dem Gesichtspunkt der Breiten betrachtet, heisst sie solarisches Klima. Unter dem geographischen Gesichtspunkte d. h. nach See, Küste, Binnenland, Hoch- oder Tiefland betrachtet, heisst sie physikalisches. Uns interessirt zuerst das solarische. Die tägliche Erfahrung lehrt, dass der Einfluss der Sonnenwärme Leben weckt, und Leben erzeugt, dass die Abwesenheit dieser Wärme erstarren macht. Durch die Stellung der Erde im Sonnensystem ist bedingt, dass einige Länder unter dem Einfluss der Sonnenwärme mehr stehen, als andere. Mithin dort bunte und üppige Vegetation, hier einförmige und ärmliche; dort eine reiche Flora, hier Moose und und Gräser. Die Betrachtung der physikalischen Karte Europa's 1) ergiebt verschiedene Culturgürtel, von der reichsten Vegetation angefangen, wo der Oelbaum wächst, und die Orange blüht (Griechen. land, Italien, Spanien); dann folgen Länder, wo noch Wein gedeiht, Obst und Kastanien angetroffen werden, ferner solche, wo noch Eiche, Kiefer und Birke wachsen, und Weizen und Gerste fortkommen. Man kann, um diese Gürtel durchzustudieren, ohne eine Reise von Süden nach Norden oder umgekehrt zu machen, sich auf die Besteigung eines Berges des südlichen Europa's z. B. des Aetna beschränken, dessen Kuppe bei einer Höhe von 10,280' in die Eisregion hinaufragt, 2) oder des Montblanc, nur dass dieser an seinem Fusse nicht die Vegetation des Aetna besitzt, und daher nicht dem Studium so mannigfaltige Anhaltspunkte bietet.

1) Bei Berghaus, Cotta - Humboldt, Glaser - Bromme.
2) vgl. Sartorius, Atlas des Aetna. (1848–53.)

Sollte da, wo der Boden Erzeugnisse wie Oliven und Orangen hervorbringt, nicht auch der Mensch vielseitiger und früher die geistige Cultur entfalten, deren Keime vor ihm zum Vorschein gekommen waren, als der gleiche Mensch unter weniger günstigen Bodengürteln? Kann es wundern, dass die Geschichte Europa's im Süden begonnen hat, statt im Norden, und könnte dies selbst wundern, auch wenn nicht schon am Euphrat und am Nil Culturarbeit vorausgegangen wäre? Obgleich früh eine Entwicklung auch in Italien zum Durchbruch kam, so steht doch nichts desto weniger im Allgemeinen fest, dass ein Volk wie die Hellenen, nicht wegen der grösseren physikalischen Vorzüge ihres Bodens früher zur Reife gelangten, sondern weil in der Uebertragung der voraufgegangenen Culturergebnisse zuerst die Reihe an sie kam. Sie waren die ersten Empfänger derselben auf ihrem Wege von Osten nach Westen. Ein Glück, dass sie empfänglich waren, und dass ihre Arbeitsleistungen Nachfrage hatten! Sonach kommt das Klima nur insoweit in Betracht, als es darüber belehrt, dass es die Beschäftigung mit Culturaufgaben bei den Hellenen begünstigte. Aber die Nachfrage erklärt, warum sie in den ihnen zufallenden Aufgaben die Meisterschaft erlangten. Nachfrage ist gleichbedeutend mit Aufmunterung, und ihre Vermittlung der Handel. Während also die Uebertragung der Cultur von Osten her die zeitliche Priorität der hellenischen Cultur in Europa erklärt, der Arbeitstrieb der Hellenen die Eigenartigkeit der Cultur, erklärt die ermunternde Nachfrage nach hellenischen Leistungen die Steigerung der letzteren bis zu dem höchstmöglichen Grade ihrer Fähigkeit. Ansprüche und Wetteifer in Kunst und Wissenschaft anticipirten, als sie auf ihre Höhe gelangten, die Leistungsfähigkeit kommender Jahrhunderte. Im Hellenen gab sich der Mensch aus.

Auf italischem Boden gab es eine ähnliche Tradition der Culturaufgaben, wie diejenige, die am Nil begonnen, und die phönikische Küste entlang mit den Karawanen an den Euphrat gewandert und von da wieder südlich vom Taurus die kilikische Küste entlang gegangen war, bis sie an dem Jonier ihren Hüter fand, der ihr in Athen eine Metropole errichtete. Jene italische Tradition ging von den Etruskern aus; die Römer gaben ihrer Cultur die Richtung, und Grossgriechenland war, was Kunsterzeugnisse betrifft, der Markt, wo einheimische Cultur und fremde (hellenische) um den Vorrang kämpfen sollten. In Etrurien begann, wegen der Todtenkammern, ein zweites Aegypten. Es wäre

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