Page images
PDF
EPUB

militärische Capacität der Römer von dem letzterwähnten Kaiser im Jahre zuvor mit eigener Hand niedergestossen worden war! Ueber den entsetzlichen Katastrophen, die das Reich nach einander erfahren hatte, war auch aus den Legionen die Neigung der langgeübten Initiative gewichen. Avitus war der letzte Kaiser, den, als er die Leitung der Geschäfte übernahm, um der Hülfe der Westgothen gegen die Vandalen u. a. versichert zu sein, die Legionen in seiner Würde bestätigten (Ende Juli). Dieses lange Vorrecht war verbraucht, sonst hätte nicht ein Befehlshaber der von Rom besoldeten Hülfstruppen ausländischen Ursprungs die Ernennung der Kaiser als eine Function, wie er sie freilich usurpirte, üben können. Dieser Befehlshaber, eine Sueve von Geburt, Rici475 mer mit Namen, übergab die Leitung zuerst | an Majorianus, und vergab sie darauf während sechszehn Jahren noch dreimal, und als er starb, suchte sein Neffe, ein König der Burgunder, Gundobald, gleicherweise als Kaisermacher zu functioniren. Er hatte schon seinen Candidaten in einem Oberst der Haustruppen (Comes domesticorum) bezeichnet, als der Hof von Constantinopel Einsprache erhob.

Unter dem dritten Kaiser der Epoche, den der byzantinische Hof, aber mit Bewilligung Ricimer's ernannt hatte, trat der Verlust 470 Spanien's ein, durch die Sueven, und der Verlust des lugdunensischen Galliens (G. Lugdunensis) sowie des Sequanerlandes am Oberrhein (der sogen. Maxima Sequanorum).

Die erwähnte Einsprache des byzantinischen Hofes liess es zu 472 keiner anerkannten Succession kommen. Der Tod Ricimers war der Anfang von Wirren in der Frage wegen Uebertragung des Kaiseramtes. Eine Invasion unter Odoaker, die Italien sich 476 als Beute ausersehen hatte, machte den Wirren, und auch der Fortdauer der Unabhängigkeit Italiens ein Ende. Der Fall von Ravenna, das seit Honorius in dem Vorrang mit Rom alternirt hatte, war der Anfang dieses Endes.

So wurde das, was bisher immer aufgeschoben war, vollendete Thatsache d. h. die Kaisergewalt hörte auf. Wo bisher sie Geltung gehabt hatte, errichtete ein Barbar seine Herrschaft unter der officiellen Bezeichnung eines Königs von Italien.

Betrachtung der auswärtigen Politik des altrömischen Reichs.

Hinsichtlich dieser ist vorauszusetzen, das ein Volk seine Wande

rung eingestellt, und eine Staatsgemeinschaft zu errichten begonnen hat. Dieses war mit den Westgothen der Fall, nachdem Wallia seit 415 Tolosa zum festen Wohnsitz gewählt hatte, deren Reich, sechzig Jahre später unter Eurich auch noch die Sueven in Galläcien in sich begriff; ferner mit den Burgundern, deren Reich das südöstliche Gallien begriff, und seit 435 seine feste Hauptstadt in Lugdunum hatte, endlich mit den Vandalen, 1) bevor sie (429) aus Andalusien aufbrachen, und 2) nachdem sie dort die Provinz Africa theilweise vom Kaiser abgetreten erhalten (435 durch Vertrag mit Geiserich), und einige Jahre darauf (439) sich durch die Eroberung Karthago's eine Hauptstadt selbst geschaffen hatten.

Die gefährlichste unter diesen Mächten waren für die Römer die Vandalen, wegen ihrer Flotte! Wessen Geiserich fähig war, um sich eines Angriffs seitens der Westgothen zu erwehren, zeigte sich darin, dass er Attila gegen sie aufhetzte. Seine eigene Invasion, welche er, bald nachher wie erwähnt, einem Rufe der von ihrem Dränger (Petronius) zur Ehe begehrten kaiserlichen Wittwe Eudocia folgend, gegen Rom, die Campagna und Campanische Küste ausführte, und welche an der ersteren das Schicksal Palmyra's vollzog, gehört in diesen Zusammenhang, da man auch 455 den Hülferuf einer Kaiserin für einen politischen Schritt halten muss, aber für einen verhängnissschweren.

Diese Verheerungen waren die Ursache, warum die Kaiser Anthemius (der dritte, auf dessen Erhebung Ricimer Einfluss gehabt hatte) und Leo | eine Flotte rüsteten, um das Vandalennest 468. in Karthago, wo Eudocia noch trauerte, auszuheben. Das Unternehmen blieb ohne Erfolg, da der byzantinische Flottenführer nicht zuverlässig war, und bei den Fehlern desselben der König Geiserich Gelegenheit fand, die Gefahr zurückzuweisen.

Es verdient nachträglich erwähnt zu werden, dass die Kaiser aus der Wahl Ricimers Versuche machten, den Verlusten Einhalt zu thun, so der erste, Majorianus, in Spanien und Gallien, Anthemius in Gallien, vergebliche freilich.

II. 1)

Die Betrachtung der die Neurömer betreffende Geschichte während dieser Zeit, soweit sie nicht dem nachfolgenden Abschnitte

1) vgl. Finlay, Greece under the Romans. London 1857. Muralt, Essai de chronographie byzantine. 1855. Manso, Gesch. des ostgothischen Reiches in Italien. 1824.

vorbehalten ist, wird erkennen lassen, warum sie das Reich im Westen überdauerten, und was sie in Bezug auf die Wiedererweckung des letzteren für möglich hielten.

Die besseren Lebensbedingungen des östlichen

Reichs.

Die innere Politik.

Im Gegensatze zu dem östlichen Reiche, welches zwei Hauptstädte, nämlich ausser Rom seit Honorius noch Ravenna, hatte, wodurch von vornherein Schwanken in die Wahrnehmung der Interessen gebracht war, besass das östliche Reich nur eine, Neurom, oder wie es nach und nach hiess, Constantinopel. Constantin hatte sie gebaut (325 u. ff.), um der christlichen Religion eine würdige Repräsentation zu bereiten, und Collisionen zwischen dem Vorrang der Culte zu verhüten. Ihre Lage am Meere war überdies weit günstiger, als die Lage Alt-Roms, und wie sich nach Eintritt der Invasionen zeigte, unnahbarer. Der andere Vortheil, den das östliche Reich vor dem westlichen während dieser Zeit bis zum Untergange des letzteren voraus hatte, bestand in der grösseren Unangefochtenheit. Der Einfall der Westgothen in Griechenland zu Anfange der Regierung des Arkadius war lediglich durch die Ränke des Stilicho verursacht. Ganz unangefochten blieb das östliche Reich, wie wir hören werden nicht, doch wurden nur die äussersten Grenzen' heimgesucht.

Diese grössere Unangefochtenheit erlaubte dem Handel und Wandel Musse, daher Erhaltung und Vermehrung des öffentlichen und privaten Wohlstandes, und Beschäftigung mit dem Ausbau der von dem grossen Theodosios begründeten Staatskirche in Glaube und Ritus. Durch die von der Tradition der christlichen Theologen abweichende Lehre eines Erzbischofs von Constantinopel wurde das 431 Concil von Ephesus unter Theodosios II., | durch eine andere ebenso selbstständig aufgetauchte Lehre das Concil von Chalcedon unter 451 Markianos verursacht.

Die Linie des grossen Theodosios erlosch im Osten nur einige Jahre früher, als im Westen, nämlich schon mit dem Tode des zweiten Theodosios (450). Zwar entstand, da letzterer noch auf dem Sterbebette seinem Nachfolger ernannte, keine Vacanz. Aber als dieser starb, da wiederholte sich, was während der letzten Jahrhunderte des alten Roms Regel gewesen war, der Kaiser wurde

gewählt, doch so dass der Senat, der Oberbefehlshaber (magister militiae) und der Patriarch zur Wahl zusammentraten. Zu einer jeden künftigen Fall dieser Art ordnenden, gesetzgeberischen Massregel hätte man sich wohl endlich entschliessen sollen. Man hatte jedoch der Erfahrungen noch nicht genug hinter sich. Aus der Wahl ging Leo hervor. Schon zwei Jahre nachher verheirathete er seine 457 Tochter an den Isaurier Zenon, der bald den hohen Posten eines magister Orientis mit dem Wohnsitz in Antiochia angewiesen erhielt. Die durch Ricimer im Westen geübte Wahlpolitik drohte in Constantinopel eine Nachahmung zu finden. Der Magister Militiae, Aspar, in seinem Verhalten nichts weniger als loyal, suchte nach einer ähnlichen Grösse für sich. Das Misslingen der Anstrengungen gegen Karthago war die Frucht seiner Ränke. Noch anderen Verrathes überführt, wurde er aus dem Wege geräumt. Es wäre nach dem Wunsch Leo's gewesen, wenn auch Anthemius sich des Ricimer entledigt hätte.

Beziehungen des östlichen Reiches zum westlichen; seine auswärtige Politik.

[ocr errors]

Die Anfechtungen, die die Unabhängigkeit des Reiches erfuhr, beschränkten sich darauf, dass unter Arkadius die Isaurier in Kleinasien das unvertheidigte Seleucia in Syrien ausraubten (408) und dass unter Marcian die Hunnen, nach ihrem Rückzuge aus Italien (452) den Plan hatten, gegen Constantinopel zu rücken; aber Hunger und Krankheit hielt sie auf. Die Sarakenen, die bis Damaskus vordrangen, unterlagen in einer Schlacht (453). Eine solche Macht, die, wie die Oströmiscbe, wesentlich integra geblieben, musste Vertrauen in den Sieg wecken, wo sie als Verbündete erschien. Kein Wunder, dass der Kaiser des Westens (Italiens vielmehr), Anthemius, die Hülfe der Oströmer anrief, | 465 gegen die Vandalen! Wir kennen das Schicksal der Expedition, welche die beiden Kaiser gegen Karthago unternahmen, und die Ursache davon. Es sollte sich unter der nachleonischen Regierung zeigen, wie verhängnissvoll das schmähliche Fiasko der Armada dem oströmischen Reiche werden sollte. Kein Patriotismus! Africa war doch eigentlich für Ostrom verloren gegangen.

Endlich starb Ricimer, und man beschloss die Angelegenheiten 472 des Westens wieder in die Hand zu nehmen. Aber ehe noch der Hof von Constantinopel dieser Initiative froh werden konnte, warf

sich ein neuer Fremder, Odoaker, zum Herrn Italiens auf. Dadurch war dem Hof das Heft der Einmischungen auf italischem 486 Boden gewaltsam aus der Hand gewunden. Nicht lange, so erbot sich der Magister Militiae, der Ostgothe Theodorich mit seinen Gothen, die ohnedies daheim lästig waren, mit kaiserlicher Auctorität nach Italien abziehen zu dürfen, damit sie dort der usurpirten Herrschaft Odoaker's ein Ende machten. Dies nahm der Kaiser an. Er ahnte nicht, dass dieses Mittel sich bald in eine Waffe gegen ihn selbst kehren würde.

Zweite allgemeine Entwicklungsphase.

Fünfter Abschnitt.

Franken und Byzantiner.

Die christliche Kirche und der römische Patriarch.

I.

Betrachtung der inneren Politik Neu-Roms. 1)

Nach dem Untergang der Selbstständigkeit Alt-Roms wurde die Bezeichnung Neu-Rom hinfällig; aber die Tradition erhielt sich noch, wie im Namen, so in den Sitten.

Die Schöpfung Constantin's war in den hundert und mehr Jahren eine bedeutende Weltstadt geworden; ihr Umfang konnte sich mit dem Umfang Alt - Roms messen, wie denn bezeugt ist, dass die Mauergrenze des heutigen Stambul von Theodosios II. gezogen worden war. Ihr Aeusseres sah freilich noch Zeiten grösseren Glanzes entgegen. Aber schon hatten sie das Palatium, den Hippodrom, Bäder mit glänzenden Räumen, Kirchen und stolze Privatgebäude. Mit der Uebersiedelung war auch altrömisches Herkommen und Unsitte eingezogen. Gegen den Einfluss, den bereits dieses Constantinopel auf den Gang der Schicksale des Ostens zu üben begann, trat das Leben der Provinzen zurück.

Dieser Einfluss concentrirte sich in dem Leben, welches sich in dem Hippodrom abspielte. Das war der grosse Contrast zu dem

1) vgl. Schlosser, Gesch. d. bilderstürmenden Kaiser. 1812. Finlay, Greece u, s. w. Muralt, Essai u. s. w.

« PreviousContinue »