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Dem theuren Andenken

des verewigten Präsidenten der I. Berner Konferenz

I. Heer

in dankbarer Würdigung seiner hohen Verdienste um das Zustandekommen des Vertragswerkes

ehrerbietigst gewidmet

vom Verfasser.

Vorwort.

Docendo discimus.

Zum ersten mal tritt der Verfasser, ein im Staats- und ReichsDienst ergrauter Beamter, mit einem wissenschaftlichen Werk vor die Öffentlichkeit. Er thut dies nicht mit jener Sieges-Zuversicht, welche der Jugend eigen ist, sondern im vollen Bewußtsein der Schwierigkeit seiner Aufgabe. Sie ist an ihn von selbst herangetreten als eine in der Natur der Sache liegende schwere, aber ehrenvolle Verpflichtung, welcher er freudig nachkommt und der er sich schon deßhalb nicht entziehen kann und will, weil von Unberufenen mehrfach Auslegungen einzelner Vorschriften des Uebereinkommens verbreitet werden, welche dem Wesen der Sache und den Absichten der Urheber des Vertragswerkes nicht entsprechen.

Als im Jahr 1874 aus den benachbarten schweizer Bergen der Ruf nach einer großartigen internationalen Verständigung auf dem Gebiete des Eisenbahn-Frachtrechts erscholl, fand er sympathischen Wiederhall in der Brust des damals in der besten Schaffenskraft stehenden Mannes. Ein gütiges Geschick machte ihm zur dienstlichen Pflicht, was seiner innersten Neigung entsprach. Von den ersten Verhandlungen und Entwürfen an bis zur Krönung des Gebäudes durfte er als Referent im Reichs-Eisenbahn-Amt und als einer der deutschen Delegirten zu den Berner Konferenzen an dem großen Werke mitarbeiten. Er hat dies während eines langen Zeitraumes und unter dem Wechsel der Verhältnisse mit stets gleicher Freudigkeit gethan. In achtzehn Jahren dem Doppelten dessen, was ein schalkhafter Dichter für das Zustandekommen eines reifen Werkes fordert ändern sich gar mannigfach die Zeiten, und wir ändern uns in ihnen. Nicht immer waren die Umstände dem Unternehmen, welches in Deutschland und dem ihm eng verbündeten Desterreich-Ungarn an maß

gebender Stelle von vornherein thatkräftige Unterstüßung gefunden
hatte, gleich günstig. Die wechselnden Strömungen der Staats-
kunst, namentlich der Wirthschaftspolitik, ließen die Aussichten für
sein Gelingen mehr als einmal recht trüb erscheinen. In solchen
Zeiten galt es, der großen Sache unwandelbare Treue zu bewahren.

Doch Hingebung und Beharrlichkeit allein thun es nicht. Ein
Werk, an dessen Zustandekommen fast ganz Europa betheiligt ist,
durch welches die größten und verschiedensten Interessen theils ge-
fördert, theils gekreuzt werden, erheischt neben der in erster Reihe
maßgebenden Rücksicht auf die Bedürfnisse des eigenen Vaterlandes
vor Allem ein verständnißvolles Eingehen in die Anschauungen und
Wünsche anderer Nationen, somit eine gewisse internationale Selbst-
verläugnung. Dies zu begreifen, erfordert keine besonders große
Weisheit; aber es ist zuweilen nicht ganz leicht, das als richtig
Erkannte praktisch durchzuführen.

Dankbar gedenkt der Verfasser aller derer, welche durch ein
gleiches Bestreben das Werk gefördert haben. In freudiger Aner-
kennung gedenkt er vor Allem des liebenswürdigen Entgegenkommens
der Herrn Kollegen auf den Berner Konferenzen, namentlich der
Delegirten der übrigen Vertragsmächte. Diesen hochverehrten
Männern, von welchen leider so mancher inzwischen von uns hat
scheiden müssen, für ihre hingebende und selbstlose Mitarbeit an dem
großen Werke auch hier den innigsten Dank auszusprechen, ist mir
eine liebe und heilige Pflicht.

Die vorliegende Arbeit ist die Frucht von Studien, welche der
Verfasser zunächst zum eigenen Gebrauch unternommen hat. Seine
Aufzeichnungen, ursprünglich dazu bestimmt, ihm selbst ein in allen
Einzelheiten flares Bild des unter seiner Mitwirkung entstandenen,
im Laufe der Verhandlungen vielfach umgestalteten Werkes zu geben,
stellten in ihrer Gesammtheit bereits nahezu dasjenige dar, was man
insgemein als „Kommentar" zu bezeichnen pflegt. Um weiteren
Kreisen nußbar zu werden, bedurften diese Studien indeß gründlicher
Sichtung und Durcharbeitung, in Folge deren sie sich zum „Lehr-
buch" gestaltet haben, ohne dadurch ihren ursprünglichen Charakter
einer Erklärung des Tertes zu verlieren.

Das dem wissenschaftlichen Aufbau zu Grunde liegende System
befolgt möglichst genau den schon für den vorläufigen schweizerischen

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Entwurf von der Meisterhand meines hochverehrten Freundes Professor
Dr. Fick vorgezeichneten und demnächst der Hauptsache nach für das
Uebereinkommen selbst beobachteten Plan. Indem hierdurch unter-
stüßt die Darstellung die Vorzüge einer systematischen Entwickelung
des Inhalts mit den Vortheilen einer sich an den Tert eng an-
schließenden Erläuterung der einzelnen Stellen des Vertragswerkes
zu vereinigen sucht, möchte sie den Anforderungen der Wissenschaft
und den Bedürfnissen der Praxis gleichmäßig gerecht werden.

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Die im Anhang erfolgte Beigabe der Original-Terte in
deutscher und in französischer Sprache — soll den Leser selbst in den
Stand sehen, die Richtigkeit der gegebenen Erklärungen an der Hand
des von jedem fremden Zusaße freien, in seinem vollen Zusammen-
hang erscheinenden Vertragswerkes zu prüfen. Des Gesetzes bester
Ausleger ist das Gesez selbst.

-

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Wenn grundsäglich davon ausgegangen ist, den Sinn der einzelnen
Bestimmungen nicht nur nach ihrem eigenen Wortlaut, sondern vorzugs-
weise in ihrem Zusammenhang mit verwandten Textesstellen und mit
dem ganzen Vertragswerke, unter vorsichtiger Zuhülfenahme ihrer
dem Verfasser aus erster Hand zugänglichen Entstehungsgeschichte,
zu erklären, so wird diese Methode auch bei solchen Anerkennung
finden, die im einzelnen Falle zu einer andern Auslegung gelangen.
Eine weitgehende Kasuistik ist grundsäßlich vermieden, da sie bei ihrem
Unvermögen, den Reichthum der Kombinationen der Praxis auch
nur annähernd zu erschöpfen, leicht irreleitet und verwirrt. Da-
gegen sind Beispiele angeführt, wo sie geeignet schienen, den Sinn
eines Sazes zu verdeutlichen. Jurisprudenz und Rechtsprechung sind
insoweit herbeigezogen, als eine Vergleichung der Rechtsanschauungen
in den betheiligten Ländern zum Verständniß des durch das Ueberein-
kommen geschaffenen Rechts dienlich erschien. Auch die bereits vor-
handenen Besprechungen des Berner Uebereinkommens oder einzelner
Theile desselben durch andere Schriftsteller haben insoweit Berück-
sichtigung gefunden, als dies dem Zweck des Werkes förderlich sein
fonnte.

Dabei sind verschiedene durch das Uebereinkommen veranlaßte
Neuredaktionen der internationalen Tarife und Reglements, sowie
die dem gleichen Anlaß entsprungenen bedeutsamen Vorgänge auf
dem Gebiete der inneren Gesetzgebungen, auch die für die Anwendung
und Fortbildung des neuen Rechts hochwichtige Organisation und
erste Thätigkeit des Centralamts für den internationalen Verkehr

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