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Augenblicke, wo eine feindliche dem Kriegsrechte unterworfene Person entweder unfähig zu fortgesettem Widerstande in des anderen Theiles Gewalt geräth und ihres Lebens geschont werden kann, oder wo sie sich freiwillig, sei es mit, sei es ohne Bedingung als kriegsgefangen übergiebt.

Weder in dem einen noch anderen Falle kann nach Rechtsregeln dem Gefangenen noch das Leben genommen werden; denn jede erlaubte Gewalt endiget, wenn der Gegner widerstandslos geworden ist und berechtiget sind blos etwaige Sicherungsmittel. Nur wo diese unter den vorwaltenden Umständen nicht zur Hand liegen oder ergriffen werden können, würde die Noth der Selbsterhaltung und der ferner zu verfolgenden Kriegszwecke eine Zurückweisung der angebo= tenen Uebergabe und selbst eine Vernichtung des widerstandlosen, jedoch noch widerstandfähigen gefangenen Feindes entschuldigen. Ist die Uebergabe auf Treue und Glauben geschehen und angenommen, so fällt auch diese Entschuldigung weg, es müßte denn ein Treubruch des Gefangenen oder eine neue durch sein Dasein verstärkte Gefahr hinzugetreten sein.

Sollte sich ein Gefangener, der sich nicht auf bestimmte Bedingungen ergeben hat, vorher einer Verletzung der Kriegsmanier schuldig gemacht haben, so würde zwar dem Sieger ein Recht der Ahndung, innerhalb der Grenzen menschlicher Wiedervergeltung, nicht bestritten werden können'; verdammungswürdig aber wäre jede Rache an einem Feinde, der nur seine Pflicht als Krieger gethan hat, wie z. B. die Tödtung eines tapferen und ausdauernden Vertheidigers einer Festung, sollte man ihn auch zuvor mit Rache bedroht haben2. Die Annalen der Geschichte werden dergleichen unter christlichen Mächten hoffentlich nicht reproduciren.

129. Das Wesen der heutigen Kriegsgefangenschaft besteht lediglich in einer thatsächlichen Beschränkung der natürlichen Freiheit, um die Rückkehr in den feindlichen Staat und eine fernere Theilnahme an den Kriegsunternehmungen zu verhindern. Mitglieder der souveränen Familie werden zwar bewacht, jedoch rücksichtsvoll behandelt, vorzüglich auch, wenn sie ihre Treue verpfänden, von

1) Vgl. Vattel III, § 141.

2) Ders. § 143. Wildman II, 25. 26.

drückenden persönlichen Belästigungen befreit. Ebenso gestattet man gefangenen Officieren auf ihr Ehrenwort größere Freiheiten; Unterofficiere und Gemeine werden unter engerer Aufsicht gehalten und zu angemessenen Arbeiten gebraucht, um einen Theil des Unterhaltes abzuverdienen, welchen der Staat, in dessen Gewalt sie sich befinden, wenn auch mit Vorbehalt der Erstattung oder Ausgleichung, ihnen verabreichen muß. Unbedenklich ist der Gefangene während der Dauer der Gefangenschaft der Gerichtsbarkeit des auswärtigen Staates unterworfen, insbesondere der Strafgerichtsbarkeit wegen der daselbst von ihm begangenen Verbrechen. Eine willkürliche Behandlung durch Mißhandlung und Gewaltthätigkeit anderer Art liegt außer den Grenzen der Nothwendigkeit im Kriege; nur wenn die Gefangenen selbst die gesetzten Beschränkungen überschreiten oder den auswärtigen Staat auf gefährliche Weise bedrohen, finden Zuchtmittel und strengere Reactionen gegen sie Anwendung; nicht aber sollten an ihnen, wegen der von ihnen selbst nicht verschuldeten Thatsachen, Repressalien an ihrer Person gebraucht werden, obgleich dies sonst als Kriegsraison in Ermangelung anderer Mittel behauptet, ausgeführt, oder wenigstens gedroht worden ist'. Zwang zum Eintritt in feindliche Militärverhältnisse ist unerlaubt.

Geendet wird die Kriegsgefangenschaft:

mit dem Frieden;

durch freiwillige Unterwerfung unter den sie annehmenden feindlichen Staat;

durch bedingte oder unbedingte Loslassung;

durch Selbstranzionirung.

Geräth ein Selbstranzionirter von Neuem in Feindesgewalt, so wird dies ungeahndet gelassen; denn der Gefangene hat nur dem natürlichen Triebe zur Freiheit oder zum Vaterlande Folge gegeben. Aber der Bruch des Ehrenwortes oder einer gestellten Bedingung der Loslassung, z. B. nicht mehr gegen den anderen Staat dienen zu wollen, berechtiget zu einer entsprechenden Ahndung durch eine schlimmere als die sonst gewöhnliche Behandlung.

1) Vgl. Vattel § 142. Merkwürdige Bestimmungen über Behandlung von Kriegsgefangenen finden sich im Preußisch-Nordamerikanischen Vertrage von 1799. Art. 24.

Recht auf einzelne feindliche Sachen überhaupt1.

130. Nach dem Geiste des älteren Kriegsrechtes, welches jeden Krieg als Vernichtungskrieg und jeden Feind als rechtlos behandelte, war es eine natürliche Consequenz, daß auch alles feindliche Eigenthumsrecht an Sachen, welche in die Gewalt des anderen Theiles geriethen, hinfällig und wirkungslos wurde und dem Sieger die Aneignung dieser Sachen mit allen Wirkungen des Eigenthums anheimfiel. Ja, man hielt das dem Feinde abgenommene Gut für das sicherste und gerechteste Eigenthum3! Was man nicht behalten wollte, unterlag willkürlicher Zerstörung. Nichts hatte auf Schonung Anspruch; Verwüstungen des feindlichen Landes, der Städte und Wohnungen, ja selbst der Tempel waren wenigstens der Regel nach nicht ausgeschlossen; noch in der römisch-christlichen Zeit wurden die sonst so heilig gehaltenen Grabmäler, worin Leichen der feindlichen Staatsangehörigen geborgen waren, nicht als unverleßbar geachtet*. Auch was sich beim Ausbruche des Krieges in Feindesland befand, verfiel dem Feinde als Beute".

Hinsichtlich der Person des Erwerbers bestand nicht überall ein gleiches Recht. Im Römerreiche beobachtete man hauptsächlich den Unterschied, daß alles feindliche unbewegliche Gut durch die Wegnahme des Siegers (occupatio bellica) Eigenthum des siegenden Staates ward, wogegen das bewegliche Gut der Feinde als Beute (praeda bellica) den befißergreifenden Einzelnen anheimfiel, die in Gemeinschaft gemachte Beute aber in gewissen Verhältnissen unter den Theilnehmern, auch wohl mit bestimmten Abzügen für den Staatsschat und die Tempel, getheilt ward®.

1) Groot III, c. 5 u. 6. Vattel III, 9 u. 13. Martens, Völkerr. S. 274 f. Einzelne Schriften bei v. Ompteda p. 308. v. Kampt p. 306.

2) L. 1. § 1. l. 5. § 7 pr. D. de acqu. rer. domin. L. 20, § 1. .D. de captiv. et postl. Gaii Comment. II, 69. § 17. J. de div. rer.

3) „Omnium maxime", sagt der Jurist Gaius a. D. IV, 16 von den Vorfahren, sua esse credebant quae ex hostibus cepissent. Unde in centumviralibus iudiciis hasta praeponitur."

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4) L. 4. D. de sepulcro viol. L. 36. D. de religios. „sepulcra hostium nobis religiosa non sunt."

5) L. 51. D. de acqu. rer. dom. I. 12. pr. D. de captiv.

6) Vgl. Groot III, 6, 14 f. Cujacii Obss. XIX, 7. Vinnius zu § 17. J. de rer. divis. J. J. Barthelemy, Oeuvr. div. Par. 1798. I, 1.

Ein ganz anderes Recht mußte sich aus der Idee des neueren Kriegsrechtes ergeben, die wir bereits oben dargelegt haben. Der Krieg begreift nicht nothwendig, sondern nur soweit als nothwendig eine Vernichtung oder Auflösung aller Rechtsverhältnisse; es ist kein ewiger Krieg unter sittlichen Nationen, sondern sein immer im Auge behaltenes Ziel ist der Frieden. Dieser ist nur einstweilen suspendirt; jener, eine vorübergehende Thatsache, welche jeder Theil, wie ihn das Glück mehr oder weniger begünstiget, zu seinem Vortheile als glücklicher Besizer für die rechtlichen Zwecke des Krieges benußen kann, ohne einer Dikäodosie deshalb unterworfen zu sein. Immer findet jedoch dieser Besitzstand wesentlich nur gegen die feindliche Staatsgewalt Statt, wider die Angehörigen derselben blos in so weit, als sie derselben unterworfen sind und die Nothwendigkeit dazu treibt. Man sieht diese Idee des neueren Kriegsrechtes seit Groot immer entschiedener hervortreten; sie kann gegenwärtig jede Schüchternheit ablegen; denn sie findet überall in den gesitteten Völkern Europas einen Nachhall1.

Fortsetzung.

131. Als unmittelbare Folgerungen aus dem vorstehenden neueren Kriegsprincipe ergeben sich die nachstehenden Säße:

I. Der eindringende Feind tritt nicht sofort durch die bloße Besitzergreifung des anderseitigen Gebietes oder eines Theiles desfelben an die Stelle der bisherigen Staatsgewalt, so lange der lezteren noch eine Fortsetzung des Krieges, mithin auch eine Umkehr

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1) Unter den neuesten Schriftstellern nennen wir Isambert, Annales politiques et diplomat. Introduction Par. 1823 p. CXV. Nous pensons avec Grotius qu'on acquiert par une guerre juste autant de choses qu'il en faut pour indemniser complètement les frais de la guerre; mais il n'est pas vrai que par le droit des gens on acquière le droit de la propriété entière des biens des sujets. On n'admet plus aujourd'hui le principe que la conquête engendre des droits. Il n'y a d'immuable, dans la pratique des nations, que les principes qui dérivent immédiatement du droit de la nature." Zachariä, 40 B. vom Staate IV, 1. S. 102. Feindesgut, das Privateigenthum ist, steht unter dem Schuße des Völkerrechtes; es darf nur ausnahmsweise, wenn und inwiefern der Zweck des Krieges nach Zeit und Umständen nicht anders erreichbar ist, angetastet werden. Denn das Privatvermögen der Unterthanen ist nur insofern ein Bestandtheil der Kriegsmacht der Staaten, als einem jeden Staate die Herrschaft über das Vermögen seiner Unterthanen zusteht.“

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des Kriegsglückes möglich ist. Erst wenn eine vollständige Besiegung der bekriegten Staatsgewalt (debellatio, ultima victoria) eingetreten und dieselbe zu fernerem Widerstande unfähig gemacht ist, kann sich der siegreiche Theil auch der Staatsgewalt bemächtigen und nun ein eigenes, wiewohl usurpatorisches, Staatsverhältniß mit dem besiegten Volke beginnen, ein Verhältniß, welches weiter unten (Abschn. IV.) feine nähere Erklärung erhalten wird. Bis dahin findet lediglich eine thatsächliche Beschlagnahme der Rechte und des Vermögens der inzwischen suspendirten bisherigen Staatsgewalt Statt. Der Sieger darf zu seiner Schadloshaltung alle Vortheile benußen, welche das bisher bestehende Staatsverhältniß darbietet, soweit sie thatsächlich realisirt werden können; er darf sich in den Besitz der Staatseinnahmen seßen, ja, er darf Anstalten treffen, welche dazu dienen, um sich das eroberte Gebiet bei der künftigen Beendigung des Krieges zu sichern; ein Mehreres aber, nämlich eine vollkommene Subrogation des eingedrungenen Feindes in die Staatsgewalt des Andern, vermag juristisch nicht sofort gefolgert zu werden'.

II. Privat-Eigenthumsrechte Einzelner erleiden durch eine bloße Kriegsinvasion an und für sich keine Veränderung; allein der Sieger kann dieselben allerdings für die ihm an den feindlichen Staat zustehenden Forderungen, die er im Kriege verfolgt, zur Mitleidenheit ziehen und daraus seine Befriedigung suchen. Zu jenen Forderungen gehört aber nicht blos der Anspruch, welcher die Veranlassung zum Kriege gegeben hat, sondern auch eine Entschädigung für die auf den Krieg verwendeten oder noch zu verwendenden Opfer. Andererseits ist nicht zu bezweifeln, daß die Unterthanen des bekriegten Staates für dessen Verbindlichkeiten aufkommen und, wie sie von ihrer eigenen Staatsgewalt dafür in Anspruch genommen werden könnten, so auch dem Feinde unmittelbar für seine Befriedigung haften. Derselbe kann dem= nach Contributionen ausschreiben und beitreiben, Naturallieferungen und persönliche Dienstleistungen fordern, auch im Falle der Noth oder des Widerstandes die erforderlichen Mittel selbst wegnehmen, indem

1) Die Schriften über diese große Frage s. in v. Kampß, Lit. § 307. Fehlerhaft ist die Theorie der Meisten, insofern sie nämlich nicht zwischen der bloßen Landesoccupation und der völligen Besiegung des Feindes unterscheiden. Auf richtigem Wege war H. Cocceji, diss. de iure victoriae, und in seinem Commentar zu H. Groot III, 6.

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