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schaft nur vegetirt hätte, um endlich einer geschichtlich wichtigen Aenderung, nämlich der Abschaffung des lebenslänglichen Königthums (Archontat sagte man bisher)1) und der Einsetzung eines Archon auf zehn Jahre (752) uns gegenüber zu sehen. Man kann, da bei den Doriern die erste Eroberung nicht die ganze gewesen, daraus wohl vermuthungsweise dort auf Fortsetzung der Eroberungen, und bei den Athenern auf vorausgegangene innere Vorgänge zurückschliessen; aber man wird keine Thatsache dort oder hier erfassen.

In dem nämlichen achten Jahrhundert, d. h. während der zwei auf Lykurg folgenden, hat die Geschichte auf spartanischer Seite nur einer fassbaren Thatsache zu erwähnen, der Unterwerfung Messeniens unter die spartanische Herrschaft nach vorausgegangenem Kriege (724).

Erst von dem siebenten Jahrhundert ab (seit 6852) und 6823) mehren sich die historisch bedeutsamen Thatsachen; es selbst erlaubt, Ursachen, Ereignisse und Folgen deutlicher zu unterscheiden.

1) Es ist das Verdienst Lugebils, nachgewiesen zu haben, dass die Verfassungsform in Athen nach Kodrus Tode das lebenslängliche Königthum war. Vgl. Zur Geschichte der Staatsverfassung von Athen. (Separatabdr. aus d. Jahrbo. f. class. Philologie) Leipzig 1871.

Der letzte lebenslängliche König war Megakles. Sein Vater gab dem Geschlechte der Alkmäoniden den Namen.

2) vgl. S. 25 unt.

3) vgl. S. 28.

Zweite Abtheilung.

Die Werkstätte der Geschichte Europa's und ihr Inventar.

Vom siebenten Jahrhundert ab datirt, nicht zu erwähnen gewisser Controversen, die noch auftreten, aber in der Folge immer seltener werden, eine ihrem äusseren Gange nach zunehmend erkennbarere Entwicklung in den beiden für die Nachwelt typisch bedeutsamsten Centren Sparta und Athen. Indem wir die Betrachtung derselben unternehmen, werden wir zwischen der separaten Entwicklung und der gegenseitigen (internationalen) auseinanderhalten, da wir dadurch dem Studium derselben um so wirksamer vorzuarbeiten glauben. Wem aber diese Betrachtung schon für sich als Selbstzweck Interesse gewähren kann, der wird auch in ihr den Commentar zu eines alten Dichters Wort finden. „Lerne erkennen, sagte er, was für Gegensätze in der Menschenwelt am Ruder sind." Was er mit Bezug auf tägliche Erfahrungen gemeint, gestattet auch eine Anwendung auf die Geschichte:

Γίγνωσκε δ ̓ οἷος ρυθμός ανθρώπους ἔχει.

Erste allgemeine Entwicklungsphase.

Erster Abschnitt.

Dorer (Sparta). Joner (Athen u. a.). Aeoler. Achäer.

Betrachtung ihrer politischen Entwicklung im
Einzelnen.1)
I.

Das Ereigniss, womit auf der Seite Sparta's die Geschichte im siebenten Jahrhundert beginnt, ist der Aufstand und sieben- 685

1) Grote, G. History of Greece. Curtius, E. Griechische Geschichte. Duncker, Gesch. des Alterthums, IV, vgl. Télfy, J. B., Evrazwyǹ etc. s. Corpus iuris Attici. Graece et Latine,

zehnjährige, unglücklich endende Freiheitskampf der Messenier. Ueber ein Decennium hatte ihr Hauptführer Aristomenes die Anstrengungen der Spartaner in Athem gehalten, und nach ihm, als die Bergfeste Eira gebrochen war, ein neuer Führer Gorgos den Kampf fortgeführt. Der Sieg blieb den Spartanern; die noch wehrhaften Messenier retteten sich auf arkadisches Gebiet, um dem Schicksale der Kriegsgefangenschaft zu entgehen.

Die erobernde Politik der Spartaner, sofern sie den Zweck verfolgte, die Königsherrschaften im Peloponnes zu beseitigen, hatte mit der Wiederunterwerfung der Messenier den ersten endgültigen Schritt auf ihrem Wege vorwärts gethan. Es verging aber weit über ein Jahrhundert, bis sie einen neuen Schritt zur Erweiterung ihrer Herrschaft thun konnten. Ihr König Kleomenes eroberte um 555 die Mitte des sechsten Jahrhunderts das östlich angrenzende Kynuria und die Insel Kythera. So waren sie Herren des halben Peloponnes, und schon die tonangebende Macht daselbst. Endlich führte in der zweiten Hälfte des fünften, nach dem Frieden des Nicias, der Widerstand einiger peloponnesischen Staaten (Argos, Elis, Mantinea) die Gelegenheit herbei, jene unitarische Politik von Neuem zu bethätigen. Sie hatten bei Mantinea über das Heer des 417 argivischen Bundes gesiegt, und setzten im Jahre darauf eine Expedition gegen Argos ins Werk, die aber misslang.

Dieses Missgeschick setzte ihrer Politik ein Ziel; sie blieben aber, was sie bis dahin geworden, die erste peloponnesische Macht. Was erklärt aber die lange Pause nach Messeniens Unterwerfung, und die zweite nach der Einverleibung Kynuria's? Dort waren es die inneren Verhältnisse, hier die antijonische Politik. Die inneren Verhältnisse könnten uns veranlassen, in die Controverse über die Phasen der spartanischen Verfassung einzugehen. Aber der Zweck der Betrachtung gebietet, kurz zu sein. Diese Verfassung entwickelte sich wie jede andere, die in der Geschichte nachher von sich reden machte, allmählich. Was Lykurg festgesetzt hatte, war nur die Einleitung dazu gewesen; er hatte das Erziehungswesen an feste Normen (§ɛoα) geknüpft. Zu einer Verfassung im politischen Sinne führte erst der Untergang der Selbstständigkeit Messeniens. Das erste politische Bedürfniss war die Vermessung des spartanischen Grundbesitzes, der zur Hälfte steuerfrei den Spartanern zugetheilt wurde, zur Hälfte gegen die Verpflichtung permanenter Abgaben den Halbbürgern. Die daraus hervorgegangenen Classen des grossen Grundbesitzes und der Klein

besitzer stellte sich als eine Staatsangelegenheit dar, die einen enormen Aufwand von Zeit zur Lösung erforderte. Die beiden Könige, selbst auch Grossgrundbesitzer wie die übrigen Spartaner, nur je doppelt so reich an Besitz geworden, wie von diesen einer, waren dadurch abgehalten, ihres königlichen Amtes in Sparta permanent zu warten, und mussten geschehen lassen, dass Vorsteher der Stadtbezirke ernannt wurden, um in ihrer Abwesenheit die Aufsicht zu haben (Ephoren). Hatte die Collision zwischen ihren Interessen als Grundbesitzern und ihren Pflichten als Königen diese Selbsthülfe der herrschenden Partei zur Folge gehabt, so sollten die lähmenden Conflikte zwischen den Königen eine noch entscheidendere Aenderung in den hergebrachten Gewohnheiten herbeiführen. Obgleich Stellvertreter der Könige, hatten die Ephoren doch keine richterliche Gewalt ausüben dürfen. Das kam nun anders, als Chilon ihnen dergleichen Befugnisse einräumte. Es war sehr 580 bezeichnend, dass der Seher Epimenides dieser Einrichtung eine religiöse Weihe, wohl nach dem Verlangen der Ephoren selbst, verlieh. Ein Jahrhundert später galten sie, schon für die richterliche Oberinstanz, dass sie den Königen einen Eid auf die Verfassung abverlangen durften, ähnlich wie heute in der Union der Oberrichter den neuen Präsidenten vor Uebernahme seiner Präsidialgeschäfte in Eid nimmt. Als eine weitere Folge erkennt man, dass zu ihrer Competenz auch gehörte, die Könige ins Gefängniss zu setzen, sobald sie der Verrätherei überführt wurden. Nicht allein, dass in Friedenszeiten daheim das Ephorat diese Macht bedeutet hätte, auch auf die Wirksamkeit der Könige nach Aussen erstreckte sie sich, und hier könnte man sie den Agenten vergleichen, die in Frankreich z. B. vom Convent einem General an die Seite gesetzt wurden. Wenn die Könige in den Krieg zogen, musste sich jeder die Begleitung eines Ephorus gefallen lassen, ja seit der unglücklich abgelaufenen Expedition des Agis gegen Argos sogar die Begleitung mehrerer.

Nach dem Gesagten waren die spartanischen Könige hinsichtlich der ihnen gebliebenen Befugnisse das gewesen, als was heute der Präsident der amerikanischen Union erscheint. Die Verfassung hatte sich nicht monarchisch, sondern aristokratisch fortentwickelt. Was war aber die Ursache gewesen? Dass das collegiale Königthum hatte fortbestehen dürfen. Doch würde es fehlerhaft sein, dafür Lykurg verantwortlich zu machen, da dieser mit seiner Erziehungsreform das Grosse geleistet hatte, die rohen Instinkte der

Nationalität der schulmässigen Disciplin zu unterwerfen. Diesen Dualismus der Königsgewalt, der Sparta's Schicksal war, zu beseitigen, hätte die Aufgabe der herrschenden Partei sein sollen. Aber diese, der auch Lykurg hatte Rechnung tragen müssen, fühlte von jeher, dass ihr Interesse dabei nur Opfer würde zu bringen haben. So stand, ähnlich wie nachmals in Polen der Adel dem König, schon in Sparta also die dorische Partei den beiden Königen während der ganzen Dauer der spartanischen Geschichte misstrauisch gegenüber; die Entstehung und Stärkung des Ephorats war die natürliche Folge davon gewesen und geblieben.

Sparta sollte übrigens als Weltmacht noch auf ein Jahrhundert. 362 sich fühlbar machen, bis der Verlust Messeniens es auf die zweite Stufe herabdrückte.

II.

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Das Ereigniss, womit auf der Seite Athen's im siebenten Jahrhundert die Geschichte beginnt, ist die Abschaffung der Amts682 zeit des Archon auf zehn Jahre. Man beschloss und bestimmte dass das höchste Staatsamt (aex) Jahr um Jahr seinen Besitzer wechseln, und dass dieser Besitzer ein Collegium von neun Personen sein solle. Mit dieser Einsetzung von Jahresarchonten glaubte sich die athenische Bevölkerung aller Chikanen seitens des Adels (Eupatriden) ledig. Es verging ein halbes Jahrhundert, und die traurige Lage änderte sich nicht. Die Experimente mit der Abschaffung der Erblichkeit, mit der Kürzung der Amtsdauer, mit der Trennung der Befugnisse waren verausgabt. Ein anderes Mittel musste versucht werden. Man hoffte von geschriebenen Gesetzen (εoμoi) Heilung und wurde demgemäss der Archon Drakon beauftragt. Wie getäuscht sah sich aber die Bevölkerung. Die Ge624 setze waren eher gegen sie als für sie. Die Lage war reif für eine Empörung des Volkes gegen den Adel; auch benutzte sie ein Adliger, Kylon, um sich mit Hülfe des Volks zum Herrn (Tyrannos) in Athen zu machen. Aber er schlug zu früh los, und wurde in die Akropolis zurückgeworfen. Die Seinigen verfielen, nach dem er selbst entkommen, theils dem Hunger, theils der Rache der Alkmäoniden. Die Folge war noch das Herzeleid mehr, weil es gerade Familien aus dem Volke der Ihrigen beraubt hatte. In dieser Noth nahm das Volk zu der Hülfe eines Sehers auf Kreta, Epimenides, seine Zuflucht, und fand durch sein Wirken die erste

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