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müssen die Staatsgewalten selbst wieder ausgleichen. In der Natur eines Waffenstillstandes liegt übrigens die Erhaltung des Status-quo in Bezug auf die gegenseitige kriegerische Stellung, ohne weitere Ausdehnung derselben zum Schaden des Gegners. Zur Befestigung und Sicherung der bisherigen kann jeder Theil thun, was ihm gut dünft'. Auch kann ein unschädlicher Privatverkehr mit rechtlicher Verpflichtung unter den im Waffenstillstande eingeschlossenen Unterthanen der feindlichen Staaten Statt finden2. Die Wiedereröffnung von Feindseligkeiten pflegt, wenn die Frist keine ganz momentane ist, geziemender Weise wenigstens, durch eine vorherige Aufkündigung angezeigt zu werden; bei dem unbestimmt eingegangenen Waffenstillstande ist sie sogar wesentlich, wenn nicht durch einen anderen bestimmten Grund der Vertrag seine Existenz bereits verloren hat.

143. Von sämmtlichen vorstehend bemerkten Verträgen gelten im Allgemeinen die nämlichen Grundsäge, wie auch im Frieden, ja, die kriegerische Ehre gebietet eine um so strengere Beobachtung jener Grundsäße. Befugt zur Abschließung solcher Conventionen ist von Amtswegen jeder Truppenbefehlshaber, so weit das Bedürfniß der= selben in seinen besonderen Wirkungskreis eingreift, ohne daß es dazu der Ratification des Souveräns bedarf. Insofern* aber die Verpflichtungen oder Zusagen über jenen Wirkungskreis hinausgehen, sind sie als persönliche Sponsionen zu betrachten und daher ohne Ratification des Souveräns nicht giltig, sondern einer Rescission unterworfen (§ 84). Sendboten, z. B. s. g. Parlamentärs, desgleichen die f. g. Cartelschiffe, welche dazu bestimmt werden, Verhandlungen

1) Dies scheint die richtigste Formel, welcher die von Pinheiro - Ferreira zu Battel III, 245 vorgeschlagene schwerlich vorzuziehen ist, de ne rien faire de ce que l'ennemi aurait été intéressé d'empêcher et que, sans la trève, il aurait probablement empêché.“ Besonders streitig ist, ob einem belagerten Orte erlaubt sei, seine Mauern wieder herzustellen und neue Vertheidigungsbarrièren aufzuführen. Bejahet wird es mit Recht von Groot § 7, noch bestimmter in Bezug auf jede Vertheidigungsmaßregel von Pufendorf § 10. Geleugnet von H. Cocceji zu Groot § 10, von Vattel und Wheaton IV, 2, 20. Daß der Belagerer seine Belagerungsarbeiten nicht fortseßen dürfe, ist außer Zweifel. Vgl. Riquelme p. 163.

2) Darauf ist wohl zu beschränken, was Pufendorf, Iur. univ. IV, obs. 207 ausführt.

3) Pufendorf, I. N. et G. VIII, 7, 6.

4) Riquelme p. 165.

mit dem Feinde einzugehen oder authentische Mittheilungen über den Abschluß einer Verhandlung zu machen, stehen unter dem Schuße des Kriegsrechts als unverlegbar'.

Als Verstärkungsmittel und zur größeren Sicherheit der auferlegten Verpflichtung dienen die schon oben (§ 96) angegebenen, mit Ausnahme der rein privatrechtlichen, für einen Feind nicht realisirbaren, namentlich also die Gestellung von Geiseln, deren Rechtsverhältniß auch im Kriege kein anderes sein kann, als im Frieden, ferner die Einräumung von Waffenplägen, endlich auch die Ueberlieferung von Faustpfändern, woran sich der Feind im Falle der Nichterfüllung factisch gleichsam im Wege der Repressalien halten kann.

Jede Contravention des anderen Theiles berechtiget zur sofortigen Aufhebung des Vertrages ohne weitere Aufkündigung2. Es machen daher Verträge dieser Art eine vorzüglich sorgfältige Abfaffung nothwendig und eine sofortige Erfüllung ohne einigen Verzug räthlich.

Dritter Abschnitt.

Die Neutralen und ihre Rechte1.

I. Ueberhaupt.

144. Nichts ist so wichtig für den rechtlichen Bestand einer fittlichen Staatengesellschaft, als ein klares und festes Verhältniß der Neutralität.

Neutral (medius in bello) ist in der weiteren Bedeutung jeder Staat, welcher an einem Kriege nicht als Hauptpartei Theil nimmt;

1) Phillimore III, 161.

2) Groot III, 21, 11. Pufendorf VIII, 7, 12.

3) Treffend bemerkt Mr. Wheaton IV, 2, 23. „In these compacts, time is material: indeed it may be said to be of the very essence of the contract. If any thing occurs to render its immediate execution impracticable, it becomes of no effect, or at least is subject to be varied by fresh negotiation." Warnende Beispiele: die wieder aufgehobene Convention von Kloster Zeven, 1757. Die Convention von El Arisch, 1800. Die Capitulation des Marschalls St. Cyr, 1814.

4) Die Schriften über diese Materie s. im Allgemeinen bei v. Ompteda § 319 und v. Kampß § 315. Zu den bedeutenderen Monographien gehört: H. Cocceji,

der allgemeine Charakter dieses Verhältnisses ist: Fortbestand aller Rechte des Friedens mit Parteilosigkeit und ohne Feindseligkeit gegen die Kriegführenden. Hier finden allerdings Abstufungen Statt.

Es giebt eine vollkommene oder strenge Neutralität, welche sich jeder Art von Theilnahme zu Gunsten einer Kriegspartei enthält. Es giebt aber auch eine unvollständige Neutralität, wo von der Strenge der Regel etwas nachgelassen wird. Ein solcher Fall tritt ein:

Einmal bei derjenigen Macht, welche vor dem jezigen Kriege und ohne Hinsicht auf denselben eine particuläre Kriegshilfe oder auch selbst eine ungemessene Defensivhilfe zugesagt hat, so lange diese nicht in einen Angriff übergeht und der Gegner sich dabei beruhigt (§ 117), im Uebrigen auch die Bedingungen der Neutralität beobachtet werden'.

Zweitens: wenn ein Staat allen kriegführenden Theilen dieselben Vergünstigungen wirklich gewährt; oder zwar nur dem einen Theile, jedoch vermöge früherer Verträge; oder mit ausdrücklicher Genehmigung des anderen Theiles; oder auch nur vorübergehend und bona fide im Drange der Umstände.

Disp. de iure belli in amicos. 1697. (Exerc. curios. t. II.) Jo. Phil. Vogt, Sammlung auserlesener Abhl. Leipz. 1768 No. III. Io. Fr. Schmidlin, de iurib. et obligation. gentium mediar. in bello. Sttg. et Ulm. 1780. Ferd. Galiani (Neapolitanischer Diplomat, 1787), Dei doveri dei principi guerregianti verso i neutrali. Napoli 1782, übersetzt und mit Commentar von C. Ad. Cäsar. Leipzig 1790. Samhaber (oder Stalpf), Abhl. über einige Rechte und Verbindlichkeiten neutraler Nationen in Zeiten des Krieges. Würzb. 1791. Aug. Henning's Abhandl. über die Neutralität, in s. Samml. v. Staatsschr. I. Hamb. 1784. Dann sind zu vergleichen: de Real, Science du gouv. V, 2. J. J. Moser, Versuche X, 1, 147 f. Bynckershoek, Quaest. 1, c. 8-15. v. Martens, Völkerr. VIII, 7. Klüber, Dr. d. g. § 279 f. Wheaton, Intern. L. IV, ch. 3. Oke Manning p. 166. Pando p. 455. Ortolan II, 65. Hautefeuille, Droits des nations neutres en tems de guerre maritime. Par. 1848. 4 tomes. Riquelme p. 141. 270. Phillimore III, 201.

1) Beispiele solcher Neutralität s. im Pyren. Frieden vom 7. November 1659 Art. III. Du Mont t. VI, P. II, p. 265; in dem Dänisch-Schwedischen Kriege von 1658, 1659 hinsichtlich der Niederlande; im Spanischen Successionskriege hinsichtlich Dänemarks. Vgl. Nau, Völkerseer. § 233. 234. Schmidlin § 10. Die Zulässigkeit der Annahme einer solchen Neutralität bestreitet Hautefeuille I, 382-393. In der That handelt es sich aber auch nur um eine gemeinsame Bezeichnung einiger möglicher, obschon ganz precärer Ausnahmefälle.

Außer dieser qualitativen Verschiedenheit der Neutralität giebt es auch eine quantitative, indem sie nämlich sowohl eine allgemeine, dem Staate in seiner Gesammtheit zustehende oder nur eine partielle, auf gewisse Theile oder Personen desselben beschränkte sein kann'.

Grund und Ende der Neutralität.

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145. Das Recht der Neutralität, jedenfalls der strengen Neutralität versteht sich von vorn herein bei jedem Theilnahmlosen ganz von selbst. Es kann aber auch ein durch Verträge besonders garantirtes sein und dadurch seine eigenthümlichen Grenzen erhalten, ja die Neutralität kann selbst eine nothwendige, durch Verträge auferlegte sein. Im letteren Falle befand sich bisher nach den Verträgen von 1815 die Schweiz und bis 1832 die Stadt Krakau*; ferner nach neuerer Regulirung das Königreich Belgien gegen alle anderen Europäischen Staaten auf immerwährende Zeiten. Wiederum giebt es Staaten, denen unter Umständen die Annahme oder Beibehaltung der Neutralität unmöglich gemacht ist, wie z. B. denjenigen, die durch eine Familien - Alliance zu einer vollständigen selbst offen= siven Kriegshilfe zu Gunsten eines anderen Staates verpflichtet sind, desgleichen denjenigen, welche zu einer Staatenconföderation gehören, wenn diese einen Krieg unternimmt, oder aber welche in dem Verhältniß einer Realunion zu einem anderen Staate stehen, sie sei nun eine gleiche oder ungleiche Verbindung'; wogegen eine nur 1) Vgl. Moser a. D. S. 154.

2) Darüber s. Hautefeuille I, p. 393.

3) Declaration vom 20. März 1815. Acceptation der Schweizer Tagsaßung vom 27. Mai d. J. Congreßacte Art. 84, 92 und Anerkennungsacte vom 20. Nvbr. 1815. de Martens, Suppl. VI, 157, 173, 740. Auch ein Theil Sardiniens (Savoyens) war miteinbegriffen. Art. 92 der Wiener Congreßacte und Protokoll vom 3. Nvbr. 1815. Martens, N. R. IV, 189. Dies erwartet seine fernere Regelung. 4) Convention vom (21. April) 3. Mai 1815 Art. 6 und Congreßacte Art. 118. de Martens 1. c. p. 254. 429.

5) Separationsvertrag vom 15. Novbr. 1831 Art. 1. Nouv. recueil t. XI, p. 394 und Vertrag vom 19. April 1839 Art. 7. Ebendas. XVI, 777. Eine vorzügliche Untersuchung darüber findet sich in M. Arendt, Essai sur la neutralité de la Belgique. Brux. et Leipz. 1845.

6) Vgl. für den Deutschen Bund die Wiener Schlußacte Art. 41.

7) Man vergleiche z. B. wegen Schweden und Norwegen den Vereinigungs

persönliche Union mehrerer Staaten unter einem gemeinschaftlichen Oberhaupte ohne Realverband die Möglichkeit einer Neutralität nicht ausschließt.

Unleugbar ist jeder Staat berechtigt, die Annahme und Erhaltung der Neutralität mit den Waffen in der Hand zu schützen und jede Beeinträchtigung durch Vertheidigungsmaßregeln, die sich auf jenen Zweck beschränken, zurückzuweisen. Dies ist die bewaffnete Neutralität, zu deren Erhaltung selbst auch wieder Bündnisse ge= schlossen werden können.

Jede Neutralität endiget mit einer Kriegserklärung, welche an den neutralen Staat oder von ihm an einen der kriegführenden Theile ergeht, oder mit einer sofort factischen Kriegseröffnung. Dagegen kann der Ablauf einer vertragsmäßig der Neutralität vorbestimmten Zeit jene noch nicht von selbst in einen Kriegsstand verwandeln1.

Bedingungen und Pflichten der Neutralität.

146. Die Bedingungen, unter welchen man allein auf Anerkennung und Achtung der Neutralität Anspruch machen kann, soweit nicht eine Relaxation davon mit der Bedeutung einer unvollkommenen Neutralität Statt findet, find wesentlich diese2:

Erstlich: die Nichtduldung von unmittelbar feindlichen Handlungen einer kriegführenden Partei wider die andere innerhalb des neutralen Gebietes.

Zweitens: die Nichtstörung einer Kriegspartei in ihren rechtmäßigen Kriegsoperationen außerhalb des neutralen Gebietes.

Drittens: die Unterlassung jeder positiven Begünstigung eines kriegführenden Theiles, wodurch dessen Angriffs- oder Vertheidigungssystem verstärkt werden würde, desgleichen die Nichtgestattung von Befugnissen, welche der einen Partei einen besonderen Vortheil vor der anderen gewähren, sollte man auch bereit sein, die nämlichen Befugnisse der letzteren einzuräumen3.

vertrag vom 31. Juli bezüglich 6. Aug. 1815 Art. 4. de Martens, N. R. II, p. 612. In Betreff der einzelnen Fragen: Galiani I, c. 3.

1) Moser a. D. S. 491.

2) Klüber § 287.

3) Viele Publicisten meinten, mit dieser Clausel die Neutralen gegen alle Ver

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