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die Flagge der Nationalität des Kriegschiffs, so steht dem Kriegsschiff das Recht zu, das Kauffahrteischiff zunächst in Bezug auf die Befugniß zur Führung der Flagge nach Maßgabe der Grundsäße des gemeinsamen Heimathsrechts beider Schiffe zu prüfen. Stellt sich hierbei der Ver. dacht der Piraterie des Privatschiffes heraus, so hat das Kriegsschiff nach Maßgabe seines staatlichen Rechts und insbesondere seiner Instructionen das andere Fahrzeug mit Beschlag zu belegen, die Mannschaft zu verhaften u. s. w. Fraglich ist, ob ohne bestehenden Vertrag der Befehls. haber eines Kriegsschiffs ein der Piraterie verdächtiges Fahrzeug einer andern Flagge anhalten, eventuell festnehmen kann. Die Frage ist des halb schwierig, weil kein Rechtssag besteht, wonach der Commandant eines Kriegsschiffs ein Privatschiff, namentlich einer andern Flagge, zwingen könnte, seine Flagge zu hissen, sich in Bezug auf Nationalität zu legitimiren. Nach der gewöhnlichen Lehre sollen Kriegsschiffe be rechtigt und verpflichtet sein, auf der hohen See Schiffe, welche offenbar Seeraub treiben, ohne Rücksicht auf ihre Flagge anzuhalten und zu überwältigen; daraus wird der Sag abgeleitet, daß, wenn ein Schiff zwar nicht auf frischer That des Seeraubs betroffen wird, wohl aber dieses Verbrechens verdächtig ist, der Führer eines Kriegsschiffs auch hiergegen einzuschreiten hat; dieses Einschreiten hat damit zu beginnen, daß der Commandant des Kriegsschiffes die Enquête de pavillon ein leitet,5) indem er in der völkerrechtsüblichen Weise sein Schiff als Kriegsschiff und seiner Nationalität nach legitimirt (Wimpel und nationale Kriegsflagge zeigt) und das andere Schiff durch einen blinden Kanonen. schuß oder durch einen unschädlichen scharfen Schuß (affirming gun) einladet, sich seinerseits zu legitimiren. Zeigt das Schiff hierauf die nationale Flagge des Kriegsschiffs, so hat der Commandant des lezteren, wie vorhin erwähnt, mit Untersuchung und eventuell Beschlagnahme u. s. w. vorzugehen. Zeigt das Schiff auf die Aufforderung des Kriegsschiffs hin die Flagge einer fremden Nationalität oder verweigert es die Legitimation, so kommt es in Ermangelung etwa bestehender völkerrechtlicher Verträge lediglich darauf an, ob der Kriegsschiffsführer den Verdacht der Piraterie, so wie die Sache liegt, für schwer genug hält, daraufhin ein Einschreiten zu wagen. Nach Perels' mehr militärischconventioneller als streng juristischer - Meinung muß der Commandant, der sich entschlossen hat, die Forderung an ein anderes Schiff zu stellen, die Flagge zu zeigen, alles daran sezen, um dieser Forderung Geltung zu verschaffen, weil er andernfalls seine Autorität und die seiner Flagge aufs Spiel sehen und damit Nachtheile hervorrufen würde, welche bedenk. licher find, als die sich aus der Verfolgung einer Forderung möglicherweise ergebenden, die ein Commandant stellen zu dürfen oder stellen zu müssen glaubte, selbst wenn sich hinterher ein Irrthum desselben herausstellen sollte.

Unter allen Umständen ist zwischen Staatsrecht und Völkerrecht in Bezug auf die Rechte und Pflichten der Führer von Kriegsschiffen zu unterscheiden:

Handbuch des Völkerrechts II.

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1. Es ist eine Consequenz der gewohnheitsmäßig feststehenden Völkerrechtswidrigkeit des Seeraubs, daß kein Kriegsschiff das Völkerrecht dadurch verlegt, daß es auf hoher See ein wirkliches Piratenschiff anhält, bekämpft und überwältigt; durch diese Anerkennung wird in der That eine allgemeine gegen die Seeräuber gerichtete internationale Seepolizei rechtlich geschaffen. 2. Wird ein Schiff angehalten, welches sich von dem Verdachte des Seeraubs reinigt oder dessen nicht überführt werden kann, so hat der Commandant völkerrechtlich für die Folgen der unrechtmäßigen Forderung aufzukommen, sofern das angehaltene Schiff nicht seiner Nationalität ist.

3. Staatsrechtlich kann dem Commandanten eines Kriegsschiffes die Pflicht, Kauffahrteischiffe zu controliren, wirkliche Piraten. schiffe zu bezwingen und verdächtige zu untersuchen, auferlegt werden; ohne solche Instruction besteht für den Commandanten eines Kriegsschiffs ebensowenig wie für den Führer eines Kauf. fahrteischiffs eine Rechtspflicht, sich mit der Jagd auf Piraten zu beschäftigen. Nur das muß wohl anerkannt werden, daß die Betheiligung an der Vertheidigung eines von Piraten angegriffenen Privat- oder Kriegsschiffs, welche dem Kauffahrteischiff als ein Recht der Nothwehr zusteht, für das Kriegsschiff eine Ehrenpflicht ist, sofern es nicht durch ganz besondere Um stände daran verhindert wird.

4. Die erwähnten Regeln gelten für Begegnungen auf hoher See und mangels eines völkerrechtlichen Vertrags; in fremden Küstenoder Binnengewässern steht sowohl Kriegs- wie Privatschiffen nur das Recht der Nothwehr zu, soferne nicht ein weitergehendes Recht durch völkerrechtlichen Vertrag eingeräumt ist. (Vgl. Vorläufige Instruction für die Commandanten Deutscher Kriegsschiffe in Betreff der Unterdrückung der Seeräuberei in den Chinesischen Gewässern, vom 20. August 1877.)6)

Nach diesen Grundsäßen ist hier die bestrittene Frage des Anhalterechts praktisch zu beantworten.

1) Phillimore a. a. D. S. 412, 414, und Loccenius, De jure maritimo lib. 2, cap. 3, § 1.

2) Deutsches Strafgesetzbuch, § 53.

3) Deutsches Handelsgesetzbuch, Art. 523, 524, 708; Seemannsordnung, §§ 49, 51.

*) Deutsches Strafgesetzbuch, § 53, Abs. 3.

5) Perels, a. a. D. S. 69, 70.

6) Perels a. a. D.

§ 110.

Die Bestrafung des Seeraubs.

Es ist eine weit verbreitete Lehre, daß jedes Gericht zuständig sei,1) den überführten Seeräuber zu bestrafen, und daß die Strafe für den Seeraub der Tod sei.) Noch Bluntschli3) lehrt, es könne das Piratenschiff in jeden Hafen eines civilisirten Staates, nicht nothwendig des Nehmestaates, gebracht und daselbst die Mannschaft vor Gericht gestellt und bestraft werden. Das betreffende Prisengericht entscheide auch über Schiff und Gut. Diesen Säßen kann nicht beigetreten werden; nicht die Prisengerichtsbarkeit, sondern die Strafgerichtsbarkeit entscheidet über den Seeraub und den Seeräuber; selbst wenn nach der Gesetzgebung eines einzelnen Staates (nicht nach der Deutschen) das Schiff dem Ueberwinder als sog. gute Prise zugesprochen werden könnte oder sollte, so liegt doch kein Fall des Prisenrechts, sondern des Strafrechts vor, und für dieses gibt es keinen allgemeinen internationalen Gerichsstand des Piraten, auch keinen Gerichtsstand der Nachbarschaft, wenn das Piratenschiff etwa auf hoher See überwältigt und in den nächsten Hafen gebracht wird von einem Sieger, der einer andern Nationalität angehört als Schiff und Pirat. Mit allgemeinen Erwägungen, wie mit der der Feindschaft der ganzen Welt (Phillimore und die meisten Andern)4), wird kein Strafgericht irgend eines Landes zuständig gemacht, und internationale Gerichte, die eine Competenz über den Seeraub hätten, gibt es nicht; für das praktische Völkerrecht bleibt nichts anders übrig, als anzuerkennen, daß die staatlichen Gerichte, welche mit der Bestrafung befaßt werden sollen, ihre Competenz nach dem Rechte ihrer Staaten festhalten. Dasselbe ist in Bezug auf die auszusprechende Strafe zu sagen. Wenn die Völker. rechtslehrer constatiren, daß früher der Seeraub mit dem Tode Ertränken im Meere,5) Aufhängen an der Raa- bestraft wurde oder sich in Erwägungen über die Zweckmäßigkeit und Nothwendigkeit der Todesstrafe für Seeraub ergehen, so überschreiten sie ihre Competenz. Nach heutiger Auffassung des Strafrechts muß jeder Bestrafung ein Strafanspruch zu Grunde liegen, und einen solchen hat nur ein Staat. Für die Competenz der aburtheilenden Gerichte, sowie die wegen Seeraub zu verhängende Strafe ist demnach das locale Strafrecht maßgebend. (Für Deutschland Reichsstrafgesetzbuch §§ 249, 250, 251: Raub durch vier Momente complicirt: Waffen, Bande, offene See, schwere Menschenverletzung. - Vgl. Französisches Gesetz vom 10. April 1825.) Wenn Binding) sagt: „Das Recht, den auf frischer That überwältigten See. räuber sofort vom Leben zum Tode zu bringen, ist als ein echtes Strafrecht nicht zu halten“, so ist zu bemerken, daß ein solches Recht, abgesehen von den Fällen der Nothwehr, überhaupt nicht besteht, auch nicht Kriegsschiffen zusteht.

1) Phillimore a. a. D. S. 411.

2) Ortolan a. a. D. Bd. I, S. 251; Heffter Geffæen a. a. D. S. 224, Anm. 5; Heffter, § 104; Loccenius a. a. D. lib. II, cap. III, § 8. 3) Bluntschli, a. a. D. S. 346.

4) Vgl. die von Zorn a. a. D., Anm. 233, angeführte Literatur.

5) So ertheilte Kaiser Sigismund im Jahre 1412 dem Fürsten von Savoyen mit der Gerichtsbarkeit auch das Recht piratas mari submergendi. Cod. jur. gent. dipl. edd. Leibnitz, Tom. I, Urk. Nr. CXXIV.

6) Binding a. a. D., § 79, Anm. 6.

§ 111.

Das jus postliminii der Reprise.

Eine vielbestrittene Frage war früher die, ob das einem Piraten abgenommene Schiff und dessen Ladung (die Reprise) dem früheren Eigenthümer wieder zuzustellen oder ob es zu confisciren oder ob es dem Besieger des Piraten (dem Repreneur) zu überweisen sei. Die Spanische, Französische, Niederländische und Venetianische Praxis des 17. Jahrhunderts weisen die Reprise dem Repreneur als Belohnung für die Befiegung des Seeräubers zu, und in diesem Sinne spricht sich insbesondere ein Urtheil des Pariser Parlaments vom 24. April 1624 aus, welches die einem Algierischen Piraten abgenommene Reprise nicht dem früheren Eigenthümer, sondern dem Repreneur zuwies. Auch Hugo Grotius und sein Commentator Barbeyrac halten dieses Princip für richtig, jedoch nur unter der Voraussetzung, daß der beraubte frühere Eigenthümer und der Repreneur Unterthanen desselben Staates find. War das wiedergewonnene Gut vor dem Seeraub Eigenthum eines Ausländers, so kann es nicht zur Belohnung für den Repreneur verwendet werden, denn ein Fremder braucht sich nicht gefallen zu lassen, daß auf seine Kosten Belohnungen ertheilt werden. Gegen diese Auffassung wendet sich Loccenius (a. a. D.) mit den Worten:

„Ea quae piratae nobis eripuerunt, non opus habent postliminio: quia ius gentium illis non concedit, ut jus domini mutare possint, arg. 1. 24, 1. 27. D. de captiv. et postlim., quo innixi, Athenienses Halonesum, quam ipsis praedones praedonibus Philippus eripuerat, ut redditam a Philippo non ut donatam volebant accipere."

Schon die Ordonnance de la marine vom August 1681 und ein Französisches Decret vom 2 Prairial an XI. Art. 56 theilen jedoch die Reprise dem früheren Eigenthümer zu, und dies ist gestützt auf den privatrechtlich und völkerrechtlich richtigen Sat: pirata non mutat dominium (Pirate ne peut changer le domaine), auch das richtige Princip (s. oben §107 a. E...), von welchem nach Hautefeuille und Ortolan nur die Spanische Praxis noch in neuerer Zeit abweichen soll. Die mit diesem Gegenstand sich beschäftigenden internationalen Verträge sprechen meist ebenfalls diese Restitutionspflicht aus, wenn auch mitunter mit einem Abzug (Droit de recousse).1)

1) Hautefeuille a. a. D.

§ 112.

Völkerrechtliche Verträge in Betreff des Einschreitens gegen Seeraub. Der sog. uneigentliche Seeraub.

Durch Verträge der Staaten untereinander kann an den bestehenden einfachen völkerrechtlichen Verhältnissen selbstverständlich geändert werden. Solche Verträge beziehen sich auf die Gestattung des Anhalte- und Durchsuchungsrechts, auch des Verfolgungsrechts in Küstengewässern oder zu Lande, ferner auf Feststellung des Begriffes des Seeraubs, der Com petenzen der Gerichte, das Schicksal des dem Seeräuber abgenommenen Guts und auf die Bestrafung des Seeraubs überhaupt. (Vgl. Ortolan, Bd. I. S. 261 ff.; ferner den Handelsvertrag zwischen Deutschland und China, Art. 33; den Handelsvertrag zwischen Deutschland und Siam, Art. 11; Phillimore I. S. 427, 428.) Mit solchen Verträgen sind die in früheren Zeiten mit den Barbaresken Staaten abgeschlossenen Schußtributverträge nicht zu verwechseln. Diese sind glücklicherweise jezt unpraktisch geworden.1)

Neben dem heutzutage glücklicherweise immer seltener werdenden Seeraube im eigentlichen und echten Sinne des Wortes spricht man auch von uneigentlichem Seeraub und meint damit folgende Fälle: 1) die Kaperei, wenn dieselbe auf Grund mehrerer Kaperbriefe, nämlich zweier gegen einander kriegführender Parteien getrieben wird, dann 2) den Sklavenhandel, insofern Verträge diesen dem Seeraub gleichstellen, ferner 3) die unbefugte Führung einer Flagge und die Ausübung von Gewaltacten unter dieser Flagge (Fälle dieser Art zählt namentlich Perels a. a. D. S. 127 auf); 4) Meuterei und jedes zur See begangene Verbrechen, welches, wenn zu Lande begangen, mit dem Tode bestraft würde (Nordamerikanische Praxis).")

Mit Recht wendet sich Geffcen, der auch den neuen von Desterreich gemachten Vorschlag, die Beschädigung internationaler Telegraphen. tapel als Seeraub zu behandeln, tadelt, gegen diesen Sprachgebrauch; es soll mit diesem 3. B. im Sinne des Quintupelvertrags vom 20. December 1841 nur gesagt sein, daß für die als uneigentlichen Seeraub bezeichneten Handlungen dieselbe Strafe wie für Seeraub auszusprechen sei; allein es dürfte doch bedenklich und jedenfalls incorrect sein, die Identität der Strafe durch die Identität des Delicts auszudrücken.

1) Perels a. a. D. S. 128 und die in Anm. 2 angeführte Literatur.
2) Geffen a. a. D. S. 224, Anm. 7; Perels a. a. D. S. 126 ff.

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