Das Jahrbuch wird vorläufig, wie in diesem, so auch im nächsten Jahre in der Mitte des Sommers, nach dem Erscheinen der bundesräthlichen Geschäftsberichte und dem Vorübergang der ordentlichen Bundesversammlung herauskommen. Feder Jahrgang soll ein selbständiges Werk für sich, im ungefähren Umfange von 30 Bogen bilden und die Abnahme mehrerer Fahrgänge nicht nothwendig machen. Wir benutzen die erste Gelegenheit, um den Herren Mitgliedern des Bundesraths, welche sich für diese Publikation interessirt haben, sowie dem Herrn Bundesarchivar unseren Dank für ihren Beistand auszusprechen. Moderne Grundlinien für die Politik. Die Zeit, in der wir leben, hat das Eigenthümliche, dass sie nach jeder Richtung der menschlichen Bestrebungen hin die leitenden Gedanken derselben in Zweifel zieht und auf ihre Solidität untersucht. Es hat sich dabei bereits herausgestellt, dass ein erheblicher Theil dieser Grundlagen der nöthigen Sicherheit und Zuverlässigkeit entbehrt. Andere, deren Credit zeitweise erschüttert schien, stehen hingegen im Begriffe, wieder Wurzeln zu schlagen und sich, wenigstens auf eine neue Zeitperiode hinaus, in den Ueberzeugungen der Menschen zu befestigen. In einer solchen « Revisionszeit» zu leben, ist im Ganzen nicht erfreulich, jedoch sollten uns zwei Erscheinungen dabei mit ihr versöhnen können: die Freude an der Wahrheit, der Ernst dieselbe aufzusuchen, die Sehnsucht nach wirklichen und festen Ueberzeugungen und der Glaube, dass es überhaupt solche geben könne, ist wieder im Wachsen begriffen, -die Heuchelei hingegen ist jetzt dem einzelnen Menschen weit weniger nothwendig, als diess in irgend einer bisherigen Geschichtsperiode der Fall war. 1) 1) Aus diesem Grunde vielleicht verstehen wir Jetztlebenden die feinen und liebenswürdigen Menschen aus dem vorigen Jahrhundert (Bonstetten und seinen Kreis, Müller-Friedberg, selbst Göthe) nicht mehr. Der Grundzug ihres Wesens war Sceptizismus, Verzweiflung an einer wirklichen Wahrheit, und Beruhigung dar Die Besseren unserer Zeit glauben nicht mehr mit dem Dichter der englischen Revolution des 17. Jahrhunderts, dass die Welt « dahin gehn wird, dem Guten feindlich und dem Bösen hold, aufstöhnend unter ihrer eignen Last », sondern sie sehen in dem rücksichtslosen Realismus, der an manchen Punkten die bisherige Welt in Trümmer schlägt, den zwar etwas rauhen, aber nothwendigen Anfang zu einem reelleren Idealismus, als ihn die Periode der Revolutionen, in der wir bisher gelebt haben, im ersten Anlaufe hervor zu bringen vermochte. Was jetzt unzweifelhaft zu Ende geht, das sind die « unsterblichen » Prinzipien von 1789. Sie enden aber wie der erste Band eines Buches, dem bald eine logische Fortsetzung in einem zweiten folgt. An dem Erscheinen derselben arbeitet die Zeit und es werden daher auch in der Politik, die die Wissenschaft des << Möglichen» für das organisirte Gesammtleben der Völker ist, eine Reihe von bisherigen Glaubenssätzen in einer Umgestaltung begriffen sein, aus der zuletzt neue Vorstellungen, Interessen und Parteien hervorgehen. Das « Mögliche » wird sich hier sogar besonders rasch geltend machen. Aus dem nämlichen Grunde eines raschen Verlaufes der Dinge zeigt sich aber auf diesem Gebiete auch vorzugsweise eine Gefahr, welche durch die Abneigung unserer Generation gegen alle abstrakte Philosophie vergrössert wird und die ein berühmter Theologe mit über dass es keine gebe mittelst eines feineren Lebensgenusses, der bei den Besseren von ihnen mit einem allgemeinen natürlichen Wohlwollen und einer ästhetischen Neigung, Andere von oben herab zu beglücken verbunden war. Die letzten Repräsentanten dieses Geschlechtes, die noch vereinzelt leben, werden nicht mehr verstanden und verstehen auch ihrerseits den viel härteren Idealismus unserer Tage nicht. den Worten bezeichnet: « Wehe dem, der in der Welt nur die Mittelursachen kennt »>. Ein sehr erheblicher Theil unserer jetzigen europäischen und insbesondere auch unserer schweizerischen Politik ist Politik der Mittelursachen, die nicht tiefer geht, noch gehen will, als bis zur Beschwichtigung der <realen», das heisst der augenblicklich am stärksten sich geltend machenden Bedürfnisse. Man nennt diess jetzt gewöhnlich mit einem irreleitenden Ausdruck << Realpolitik » und sie ist es, die das grosse Wort in den politischen Versammlungen, den Vereinen zu politischen Zwecken und in der Presse führt.) Selbst in der Wissenschaft nehmen die Werke auffallend ab, welche es versuchen, politische und überhaupt staatsrechtliche Dinge nicht den Gestaltungen des Augenblicks anzupassen, sondern mit einer grösseren idealen Grundsätzlichkeit zu untersuchen, während Encyclopädien, Materialsammlungen, Werke von zahlreichen Mitarbeitern. im Vordergrunde stehen. Als das einzige Buch der modernen Zeit, welches, über alle Mittelursachen hinweggehend, eine genügend tiefe Anregung für die politische Betrachtung enthält, obwohl es derselben, wenigstens in den bereits vorhandenen Theilen, gar nicht gewidmet ist, erscheint uns Ihering's «Zweck im Recht». Würde es nicht zu weitläufig sein 1) Das letztere ist kein Vorwurf. Die politische Tagespresse hat den Zweck augenblicklich zu wirken, das ist ihr berechtigtes Hauptinteresse; sie muss sich daher an die Mittelursachen halten. Zu bedauern sind nur diejenigen immer zahlreicher werdenden Gebildeten, die ihren ganzen geistigen Bedarf von daher beziehen und unrichtig ist es, wenn mitunter in der Presse selbst eine Art von Grundsatzlosigkeit als der beste Theil der Politik gepriesen wird. Damit erzieht man << leitende Staatsmänner » und ihr Complement « beschränkten Unterthanenverstand ». und sich namentlich nicht mit einer gewissen breiten Behaglichkeit in allerlei rein philologischen Wortspielereien ergehen, so würden wir aus ihm für die Rechtsphilosophie mehr und mit grösserer Annehmlichkeit lernen, als aus irgend einem andern bekannten Werke. Versuchen wir es, im Folgenden einige daraus geschöpfte Grundanschauungen auf die heutige Politik und ihre Probleme anzuwenden und dem denkenden Leser zu weiterer Ueberlegung anzubieten. Der Ausgangspunkt ist der, dass Alles, was wir Recht, Moral, Sitte nennen, durch einen Zweck geschaffen werde. Es sind diess also keine eigentlichen Prinzipien, oder sagen wir lieber, es ist wenigstens nicht nothwendig, sie als solche anzusehen, sondern sie haben einen Zweck, um dessentwillen sie entstehen. Sie entwickeln sich sogar nur allmälig, diesem Zwecke entsprechend, und sie pflegen erst in Worten ausgesprochen zu werden, nachdem sie längst vorhanden waren und sich als Bedürfnisse erwiesen haben. Der Zweck, um dessentwillen Recht, Moral, Sitte vorhanden sind, ist die Herstellung der Möglichkeit eines Zusammenlebens der Menschen in grösseren Gesellschaften, wozu die Menschen der Erfahrung gemäss bestimmt zu sein scheinen. Dieses Letztere allein, die Bestimmung der Menschen, in Gemeinschaft zu leben und die günstige Wirkung des gemeinsamen Lebens für ihre Cultur muss angenommen, beziehungsweise als durch Erfahrung erwiesen angesehen werden, indem es sich auf anderem Wege nicht beweisen lässt. Von hier ab jedoch beginnt die logische Folgerung. Zuerst mit der Frage, welches sind die Kräfte, welche solche menschliche Gesellschaften zum dauernden Zusammenhalten bewegen, sobald dieselben den ersten natürlichen Kreis |