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Das

Staats- Lerik on.

Dritte Auflage.

3 weiter Band.

Das

Staats-Lexikon.

Encyklopädie

der

sämmtlichen Staatswissenschaften

für

alle Stände.

In Verbindung mit vielen der angeschensten Publicisten Deutschlands
herausgegeben

Karl von Rotteck und Karl Welcker.

Dritte,

umgearbeitete, verbesserte und vermehrte Auflage.

Herausgegeben

von

Karl Welder.

3 weiter Band.

Leipzig:

F. A. Brockhaus.

1858

LOAN STACK

R7

1856

4. 2.

A.

Athen. Attika, 45 DM. groß, bergig, günstig gelegen für die Seefahrt, ward die hauptsächlichste Macht der ionischen Griechen und ihr Stüßpunkt gegen die dorischen Griechen. Eine alte Geschichte dieses Landes, dessen Bewohner sich ureinheimisch nannten, gibt es nicht und selbst an Sagen der Heldenzeit steht es den andern Griechen meist nach. Erst mit Solon, welcher 594 v. Chr. den Staat einrichtete und die Gesezgebung ordnete, beginnt die wirkliche historische Zeit dieses merkwürdigen Staats, und aus den Einrichtungen dieses Ordners muß vorzugsweise auf die der frühern Zeit geschlossen werden. König Theseus, welcher eher dem Mythus als der Geschichte angehört, gilt als der Gründer der Stadt Athen und es wird ihm die Eintheilung der Bewohner des Landes in drei Stände, die der Adeligen (Eupatriden), der Landbauern (Geomoren) und der Handwerker und Künstler (Demiurgen), zugeschrieben. Dieser König galt der Sage als im Peloponnes (in Trözen) geboren und soll vertrieben worden sein, was auf einen Streit des Adels gegen das die Allgemeinheit berücksichtigende Königthum hindeutet. Wie Theseus, so erscheint auch der Nelide Melanthus aus dem Peloponnes als eingewanderter Jonier und erlangt das Königthum unter dem Beistande des Bacchus, des Gottes der Weinbauern und Ziegenhirten, und das Kannenfest in Athen zeigt eine deutliche Spur, daß die geringe Classe über den Adel einen Sieg davontrug, welcher sie zu einer wenn auch nicht vollkommenen bürgerlichen Gleichheit führte. An diesem Feste des Bacchus tranken Vornehme und Geringe in Gemeinschaft, aber Jeder hatte seine Kanne für sich und schwieg still, sodaß diese Mischung der Stände nichts Freundliches, sondern den Schein des Erzwungenen darbot.

Der Adel aber verwandelte (angeblich 1068 v. Chr.) das Königthum in eine Vorsteherschaft, und der Sohn des lezten Königs ward erblicher Vorsteher (Archon); doch später (752 v. Chr.) ward diese Würde zehnjährig, dann (683 v. Chr.) wurden neun jährliche Archonten eingeseßt, sämmtlich aus dem Adel, sodaß nun die Aristokratie alle höchste Gewalt im Staate hatte und ihn im Laufe von 90 Jahren in eine solche Lage brachte, daß die Aristokratie dem Principe nach in eine Demokratie verwandelt werden mußte, was Solon mit Beibehaltung der Grundeinrichtungen that, indem er das Vorrecht der adeligen Geburt zur Beherrschung des Staats abschaffte und die Gesammtbürgerschaft zur höchsten Entscheiderin in allen Staatssachen machte. Damit war der Keim gelegt, aus welchem das Schicksal Griechenlands sich entwickelte, der Kampf des dorischen Adels gegen die jonische Demokratie, welcher die Kluft zwischen den beiden Stämmen, von welchen der dorische ernsterer Art, der jonische heiterer und beweglicher war, erweiterte.

Die Grundverfassung Athens, welches keine Spur eines durch Eroberung unterworfenen Stammes zeigt, war familienhaft, wie die aller aus eigenem Boden erwachsenen Staaten. Vier Stämme (Phylen) zerfielen in 12 Brüderschaften (Phratrien), jede Brüderschaft in 30 Geschlechter und jedes Geschlecht hatte 30 Familienväter. Da die Geschlechter ihren eigenen Religionscult hatten, so gab dieses der Fortdauer der Familiengrundlage einen bedeutenden Halt. Damit dieser Cult nicht gefährdet werde, mußte, wer keinen berechtigten Erben hatte, einen Bürgerssohn adoptiren, und hatte er es unterlassen, so adoptirten ihm die Verwandten einen noch nach seinem Tode. Doch dieser konnte nicht wieder seinerseits adoptiren, sondern die Verwandten erbten das Vermögen, sodaß man mit einmaliger Adoption der Familienpflicht genügte, die Fortsetzung dieser Verwandtschaftsfiction aber aus uns nicht überlieferten Gründen anstößig fand, wiewol ein Adoptirter so ganz als vollkommenes Mitglied der adoptirenden Familie angesehen war, daß er auf ein Erbrecht seinem natürlichen Vater gegenüber keinen Anspruch hatte und in dessen Haus als Sohn zurückzukehren ihm nur unter Beobachtung gesezlicher Formen gestattet war. Schwägerschaft gab kein Erbrecht, sondern nur Blutsverwandtschaft. War nur eine Tochter in dem Hause des Bürgers übrig, so galt sie, wiewol die Töchter sonst von der Erbschaft ausgeschlossen blieben und nur eine Aussteuer erhielten, als Erbtochter und der nächste Verwandte mußte sie heirathen oder durch eine Ausstattung für ihre Verheirathung Staats-Lexikon. II.

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