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Vorwort.

ie beiden ersten Hefte dieses Bandes, behandelnd „Das Deutsche Reich als Nationalstaat“ und „Die Besiedelung des deutschen Volksbodens", sind von Freund und Feind als die Niederschläge der im Ulldeutschen Verbande maßgebenden Unschauungen bezeichnet worden, ohne daß ich selbst dies getan hätte, aber auch ohne daß ich gegen diese Uuffassung Widerspruch erhebe. Ich kenne doch so ziemlich die Entwickelungsgeschichte des Ulldeutschen Verbandes, seiner Kundgebungen und Beschlüsse und ich meine in der Tat, daß das, was ich in den ersten beiden Heften gesagt habe, kaum gegen die Grundanschauungen meiner alldeutschen Freunde verstoßen wird. Unders in dem vorliegenden dritten Heft. Hier gehe ich ganz meine eigenen Wege, ohne daß ich mit meinen zum Teil weitgehenden forderungen meine freunde oder gar den Verband belasten will. Ich trage allein die Verantwortung. Aber es würde unnatürlich sein, wenn ich nicht den Wunsch hätte, daß meine Freunde allmählich meine Auffassung auch auf diesem Gebiete teilen möchten, ein Gebiet, das in den Verhandlungen und Beratungen des Ulldeutschen Verbandes noch nicht behandelt worden ist.

In den kritischen Besprechungen der geschichtlichen Teile der erschienenen beiden ersten Hefte hat man mir mehrfach den Vorwurf gemacht, die Unschauungen fremder Schriftsteller mosaikähnlich neben= einander gefügt zu haben. Über das war gerade meine Ubsicht. Denn ich wollte möglichst mit den eigenen Worten meiner Gewährsmänner den Beweis erbringen, daß vieles von dem, was man bei mir, dem „Ulldeutschen“ als radikal zu bezeichnen beliebt, oft bei ganz konservativen Schriftstellern, oder bei solchen, an deren Gedankengang die deutsche Leserwelt sich bereits gewöhnt hat, seine volle Unterstützung findet. Ge= schichtlich und politisch geschulte Leser brauchen diese fremden Unführungen allerdings nicht. Uber es brauchen sie alle diejenigen, die

sich schwer in neue Gedankenreihen hineinfinden. Wer sich dazu nicht rechnet, möge fremde Unführungen überschlagen. Denn auch in dem vorliegenden dritten Hefte bin ich so verfahren, wie in den beiden ersten.

Die Zeit für eine Widerlegung meiner Kritiker glaube ich noch nicht gekommen. Ich will warten bis die Veröffentlichung meines Werkes noch weiter vorgeschritten ist. Uber ich möchte schon jezt meine Gegner doch wenigstens darum bitten, sich nicht auf Nebensächliches zu stürzen, wie sie dies bisher meist getan, sondern meine Bücher wörtlich zu lesen, ehe sie sie verurteilen, wie sie dies nachweislich oft nicht getan haben.

Man wird ja sicher die Frage aufwerfen, ob es politisch zweckmäßig sei, fragen, wie die von mir behandelten, in einer Zeit öffentlich zu erörtern, die von Versicherungen überschwenglicher Friedensliebe trieft Uber die Politik ist nicht nur die Kunst des Möglichen, sie ist auch die planmäßige Vorbereitung des Willens zur Tat.

Und gerade meine Darlegungen werden zeigen, wie verhängnisvoll es oft in der deutschen Geschichte gewesen ist, daß die öffentliche Meinung durch wichtige Ereignisse überrascht worden ist, ohne Gelegenheit gehabt zu haben, das nur zu erörtern, was zur Erreichung des für die Volkswohlfahrt Nötigen von der öffentlichen Meinung mit Entschiedenheit gewollt werden mußte.

Ernst Hasse.

I. Die natürlichen, geschichtlichen und künftigen Grenzen Deutschlands.

Vede Grenzpolitik muß ihren Ausgang nehmen von der Entstehung der vorhandenen staatlichen Grenzen und von der Würdigung der Beziehungen zwischen den Grenzen des Staatstums zu den Grenzen des Volkstums, sowie von der wirtschaftlichen und militärischen Zweckmäßigkeit der vorhandenen Grenzen zu den Aufgaben, die sich ein Staatswesen gestellt hat. für uns Deutsche sind derartige Würdigungen besonders schwierig, weil wir niemals unsere staatlichen Gebilde von dem Wesen unseres Siedelungsgebietes in unseren Vorstellungen und in unserem Sprachgebrauch scharf abgehoben haben. Wir sprachen früher von Deutschland und meinten das heilige römische Reich deutscher Nation, schlossen also alle die vom deutschen Kaiser mehr oder weniger abhängigen, mehr oder weniger selbständigen fremden Gebilde romanischen und slawischen Volkstums mit ein; wir sprachen von Deutschland und meinten entweder den „geographischen Begriff" Deutschland oder ein Gebiet, das sich mit dem späteren deutschen Bunde deckte, oder auch den Teil dieses Gebildes, der „draußen im Reiche" der Hoheit der Habsburger nicht unmittelbar untergeordnet war. Wir sprechen heute von Deutschland, während wir doch das Deutsche Reich von 1871 meinen, und alles das Deutsche ausschließen wollen, was außerhalb der Grenzen des Deutschen Reiches liegt und nichtsdestoweniger deutsches Land geblieben ist.

Auch in unseren folgenden Darlegungen werden wir, wenn wir von den Grenzen Deutschlands reden, nicht immer zwischen diesen zwei Urten Deutschlands unterscheiden können, wenn wir uns auch einer derartigen Scheidung befleißigen wollen. Ganz natürlich. Denn gerade bei diesen Grenzen haben wir es mit Erscheinungen zu tun, die unausgesetzt im Flusse sind, und bei denen manchmal mehr die Seite des

Hasse, Deutsche Politik, I. Bd., 3. H.

Staatstums, manchmal mehr die des Volkstums in den Vordergrund tritt. Über das ist durchaus kein Unglück. Denn, wenn unsere Grenzen auch begrifflich zu einwandfreien Gebilden erstarrt wären, dann würden sie nicht lebensfähig, nicht entwickelungsfähig sein und dann müßte eine Politik, ein Versuch, sie den künftigen Bedürfnissen entsprechend zweckmäßiger zu gestalten, von vornherein aussichtslos erscheinen.

Eine Beschreibung der im Laufe der Geschichte tatsächlich vorhandenen staatlichen Grenzen des jeweilig als Deutschland anzusprechenden staatlichen Gebildes können wir uns sparen. Sie finden sich in übersichtlicher Weise in jedem geschichtlichen Utlas.1)

Der kartographischen Darstellung der früheren und jetzigen Siedelungsverhältnisse des deutschen Volkes ist erst in neuerer Zeit einige Beachtung geschenkt worden. Uber in den Schulatlanten geschieht dies leider noch immer nicht in genügender Weise. Wir glauben deshalb unseren Lesern einen Dienst zu erweisen, wenn wir im Anhange zu diesem Buche eine Uebersicht über die einschlägigen Werke aus der Hand eines Fachmannes, des Leiters der Geographischen Unstalt von Justus Perthes, Professor Paul Langhans bieten.

Das für unsere politischen Zwecke entscheidende liegt in den Beziehungen zwischen den Grenzen des deutschen Volkstums und des deutschen Staates und zwischen beiden und den sogenannten natürlichen Grenzen.

Unter diesen sogenannten natürlichen Grenzen versteht man gewöhnlich Erscheinungen der physikalischen Geographie: Gebirge, Meere, Flüsse, Sümpfe, Einöden und ähnliches. Die Bedeutung dieser Erscheinungen auch für die staatlichen Entwickelungen liegt auf der Hand, selbst wenn man unsere im ersten Hefte dieses Bandes dargelegte Meinung teilt, daß der Staat, wenigstens der Nationalstaat, nicht vom Raume und dessen Grenzen gebildet wird, sondern von der Nation und deren Siedelungsgrenzen. Wir stehen dabei auf dem Boden der Unschauungen Ernst Moritz Urndts, die dieser in seiner berühmten 1813 unmittelbar nach der Schlacht bei Leipzig in Leipzig selbst abgefaßten Flugschrift „Der Rhein, Deutschlands Strom, aber nicht Deutschlands Grenze" entwickelte.

Ernst Moritz Arndt stellt sich die Frage: Was sind die Naturgrenzen eines Volkes ?" und beantwortet sie dahin: „Die einzige

1) Don Spruner-Menke: Historischer Handatlas. Gotha. Justus Perthes. Professors G. Droysens allgemeiner historischer Handatlas in 96 Karten mit erläuterndem Tert, ausgeführt von der Geographischen Anstalt von Velhagen & Klasing in Leipzig unter Leitung von Dr. Richard Andree, Bielefeld und Leipzig, Verlag von Velhagen und Klasing 1886.

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